Verfassungsgericht zu Teilhabepaket: Bund darf Städte nicht belasten

Seit 2011 müssen Kommunen das Schulessen oder Musikunterricht für Kinder aus Harz-IV-Familien zahlen. Jetzt muss eine Neuregelung her.

Teller mit Wurst und Käse auf einem Tisch

Frühstück an einer Grundschule Foto: Christian Charisius/dpa

FREIBURG taz | Der Bund hat im Rahmen seiner Hartz-IV-Gesetzgebung die Rechte der Kommunen verletzt. Das stellte jetzt das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzbeschluss fest. Der Bund durfte die Verwaltung des Bildungs- und Teilhabepakets für arme Kinder nicht den Kommunen auferlegen.

Das Bildungs- und Teilhabepaket war 2011 eingeführt worden, nachdem das Bundesverfassungsgericht im Vorjahr die Berechnung der Hartz-IV-Sätze für Kinder und Jugendliche beanstandet hatte. Es sei nicht zulässig, für Kinder einfach nur einen Prozentsatz der Leistungen für Erwachsene vorzusehen. Ihr Bedarf, insbesondere für schulische Aufwendungen, müsse gesondert beziffert werden, so Karlsruhe damals.

Im Bildungs- und Teilhabepaket wurden dann einige Zusatzleistungen für bedürftige Kinder und Jugendliche eingeführt. So bezahlt der Staat derzeit 150 Euro für Schulbedarf pro Jahr und er übernimmt die Kosten für Schul­essen, Schulausflüge, Beförderung zur Schule und Nachhilfe. Außerdem stehen pro Monat 15 Euro für Vereinsmitgliedschaften oder Musikunterricht zur Verfügung.

Das Paket war sozialpolitisch umstritten, weil die Leistungen bei den meisten Berechtigten nicht ankamen. So erhielten in NRW im Jahr 2018 nur 2.643 Kinder und Jugendliche entsprechende Zahlungen. Ab 2020 müssen deshalb teilweise keine Anträge mehr gestellt werden. Die komplizierte Ausgestaltung der Ansprüche war aber nicht Thema am Bundesverfassungsgericht.

NRW-Städte haben geklagt

Zehn Städte aus NRW hatten vielmehr geklagt, weil sie die Zuweisung der Aufgabe per Bundesgesetz für verfassungswidrig hielten. Tatsächlich heißt es im Grundgesetz: „Durch Bundesgesetz dürfen Gemeinden und Gemeindeverbänden Aufgaben nicht übertragen werden“ (Artikel 84 Absatz 1 Satz 7).

Dieses sogenannte Durchgriffsverbot war 2006 bei der Föderalismusreform ins Grundgesetz eingefügt worden. So wollte man sicherstellen, dass nur die Länder den Kommunen Aufgaben zuweisen, weil in allen Landesverfassungen ein Anspruch der Kommunen auf Gegenfinanzierung durch die Länder enthalten ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat nun erstmals systematisch ausgelegt, was das Durchgriffsverbot konkret bedeutet. Danach darf der Bund den Kommunen keine neuen Aufgaben zuweisen, aber auch bestehende Aufgaben nicht erheblich verändern.

Gericht gewährt Übergangsfrist

An diesem Maßstab gemessen, war das Gesetz über das Bildungs- und Teilhabepaket verfassungswidrig. Zwar waren die Kommunen schon bisher für die Mehrkosten bei Schulbedarf und mehrtägigen Klassenfahrten zuständig, alle anderen Ansprüche aus dem Paket, etwa auf die Bezahlung von Schul­essen und Musikunterricht, waren jedoch neu. Auch die Prüfung der Anträge bringe zusätzlichen Aufwand für die Kommunen, erklärte das Gericht.

Obwohl Karlsruhe das Gesetz nun für verfassungswidrig erklärt hat, gilt es bis zum 31. Dezember 2021 fort. Denn die Leistungen an Kinder- und Jugendliche gehörten zum Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum, so die Richter.

Bis dahin muss der Bundestag die Zuständigkeit für das Bildungs- und Teilhabepaket neu regeln. Vermutlich wird er den Ländern die nähere Bestimmung überlassen. Die Grünen sehen allerdings die Chance, nun einen ganz anderen Ansatz einzuführen, sie fordern eine „Kindergrundsicherung ohne Antragsdschungel“. (Az.: 2 BvR 696/12)

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