Verfassungsrang für die Privatwirtschaft: Kuba vor Facelifting der Verfassung

Die KubanerInnen stimmen am Sonntag über eine neue Verfassung ab. Sie enthält Verbesserungen. Die Homoehe gibt es auf Druck der Kirchen aber nicht.

Ein Mann liest

Ein Kubaner studiert die neue Verfassung, über die am Sonntag abgestimmt wird Foto: Reuters

BERLIN taz | „Yo voto sí“ („Ich stimme mit Ja“) ist derzeit die Parole, die an jeder Ecke Kubas zu sehen ist. Selbst die Busse im Stadtverkehr lassen die Buchstaben auf ihren digitalen Anzeigetafeln aufleuchten. Von den Plakatwänden ganz abgesehen, wo für die neue Verfassung geworben wird. Sie sei das Beste für die Kinder und die Jugend auf der Insel, heißt es da.

Am 24. Februar stimmen die acht Millionen wahlberechtigten Kubaner*innen mit Sí oder No über die Verfassungsnovelle ab. Sie wurde im Juni 2018 von einer Sonderkommission mit 33 Mitgliedern unter Vorsitz von Parteichef Raúl Castro und Staatschef Miguel Díaz-Canel auf den Weg gebracht.

Die Reform sei überfällig gewesen, hatte Präsident Díaz-Canel in seinen Reden an die Abgeordneten im Juli und im Dezember 2018 mehrfach klargestellt.

Im Juli 2018 wurde die Verfassungsnovelle den Abgeordneten erstmals vorgestellt. Danach wurde sie in landesweiten Versammlungen auf Nachbarschaftsebene diskutiert, bevor sie im Dezember erneut im Parlament diskutiert und modifiziert wurde.

Druck vor allem evangelikaler Kirchen

Dabei kam es zu einigen Änderungen. Die dürften beispielsweise Mariela Castro, einer bekannten Aktivistin für die Grundrechte von Homo-, Bi- und Transsexuellen und Tochter von Parteichef und Ex-Staatschef Raúl Castro nicht sonderlich gefallen. So wurde der vorgesehene Artikel 68 gestrichen, in dem die Ehe als „freiwillig geschlossener Bund zwischen zwei Personen“ definiert wurde.

Damit wäre der Weg zur Homoehe in Kuba frei gewesen. Dagegen hatte es jedoch massiven Widerstand der Kirchen gegeben, vor allem evangelikaler. Deshalb wird in Artikel 82 die Ehe in abgeschwächter Form nur noch als „soziale und juristische Einrichtung“ definiert. Weiteres soll im Familiengesetz neu geregelt werden, das in den nächsten beiden Jahren per Referendum zur Abstimmung gestellt werden soll.

Die massive einseitige Propaganda für die neue Verfassung stößt manche ab

Doch das geht der Pfarrerin Alida León nicht weit genug. Sie will mehr Schutz für die traditionelle Ehe. Die Präsidentin der Evangelikalen Liga Kubas, einer von zwölf evangelikalen Glaubensgemeinschaften, will nicht für etwas stimmen, was gegen ihre Prinzipien gehe. Sie will deshalb mit „No“ stimmen, was von der Regierung alles andere als gern gesehen wird.

In den letzten Wochen ist es mehrfach zu Festnahmen und Kontrollen von Aktivisten gekommen, die sich öffentlich gegen die neue Verfassung ausgesprochen hatten. Das gilt sowohl für Aktivisten der wohl bekanntesten oppositionellen Parteien, der Unión Patriótica de Cuba, die sich derzeit im Hungerstreik ­befinden, als auch für Kubaner, denen schlicht die Propaganda auf die Nerven geht. Sie stört es, dass die Medien des Landes einseitig Stimmung für das „Sí“ machen.

Ja zu Privatwirtschaft, Genossenschaften, Selbstständigen

Dabei wird auf der Insel kaum in Frage gestellt, dass die Verfassung gerade im ökonomischen Bereich ein Facelifting braucht. Als die derzeit noch gültige Verfassung 1976 verabschiedet wurde, gab es noch keine privaten Restaurants, keine Genossenschaften und keine 550.000 offiziell registrierten Selbständigen.

Für diese legt die Novelle jetzt einen verbindlichen rechtlichen Rahmen fest. Ökonomen wie Pavel Vidal von der Universität Javeriana in Cali begrüßen das neu aufgenommene Bekenntnis zur Privatwirtschaft und zu Genossenschaften.

In der neuen Verfassung soll zudem die Rolle des Parlaments gestärkt und die Insel auf einen neuen Politikstil ausgerichtet werden: weg von den historischen Figuren wie Fidel und Raúl Castro, unter denen die Verfassung kaum reale Bedeutung hatte, hin zu mehr Dialog und der Stärkung der Institutionen unter dem neuen Präsidenten Díaz-Canal.

Zukünftig könnte die Verfassung reale Bedeutung bekommen. Das hat in den letzten Monaten auf der Insel vor allem in den sozialen Netzwerken für Debatten und Kritik gesorgt. Aktivisten für das „No“ agieren dort genauso wie jene, die dafür plädieren, ungültig zu wählen.

Zu denen gehört Rosa María Payá, die „Cuba Decide“ vorsteht, und Tochter von Oswaldo Payá ist. Der bei einem dubiosen Verkehrsunfall ums Leben gekommene Repräsentanten der christlichen Befreiungsbewegung, hatte in den 1990er Jahre in Kuba für ein wirkliches Referendum über die politische Zukunft der Insel geworben.

Ruf nach Pluralismus

Seine Tochter tritt jetzt in seine Fußstapfen und appelliert an die Wahlberechtigten, zum Ausdruck zu bringen, dass sie mit dem Regime nicht einverstanden seien. „Wir brauchen ein pluralistisches System und nicht eines, das die kommunistische Partei als einzige und hervorragende politische Führungskraft der Gesellschaft und des Staates definiert“, sagte die Politikerin Ende letzten Jahres in Berlin.

Diese Haltung teilen etliche Oppositionelle wie etwa Antonio Rodiles. Doch wie viele Menschen sie erreichen, wird sich erst bei der Abstimmung am Sonntag zeigen. Für Staatschef Díaz-Canal ist ohnehin klar, dass die Novelle angenommen wird. Das hat er schon lange vor dem Referendum getwittert.

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