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Vergessliche AutoindustrieGaspedal und Amnesie

Altwerden nervt – vor allem, wenn die Autoindustrie und Politik ihr Gedächtnis verlieren: Verbrenner-Aus, Dieselgate & verpasste E-Auto-Zukunft.

Vereint am Gaspedal: Markus Söder und Friedrich Merz Foto: Wolfgang Maria Weber/imago

G eburtstag. Früher hieß das: Hurra, Geschenke, Party, wieder ein Jahr erwachsener. Heute mahnt mich mein Geburtstag vor allem daran, dass alle älter werden wollen, aber keiner alt sein will. Und es hat auch so seine Tücken, nicht mehr 35 zu sein: Überall quietscht und knarrt es in den Knochen, aber vor allem: Man erinnert sich an Dinge, von denen andere noch nie gehört haben.

Zum Beispiel bei dieser Debatte um das „Verbrenner-Aus“. Für die Autoindustrie und Markus Söder ist die EU-Regel, dass ab 2035 nur noch Autos verkauft werden dürfen, die nicht sofort das Klima ruinieren, EU-Willkür und der Angriff auf die deutsche Schlüsselindustrie. Was aber alle verdrängt haben: Die Auto­in­dus­trie hat sich die Regel selbst zuzuschreiben, weil sie vor 20 Jahren ihre „Selbstverpflichtung“ zur CO2-Reduktion verfehlt hat. Die Konzerne wurden seit Jahrzehnten gewarnt, sie sollten lieber schicke E-Autos als dicke Verbrenner bauen. Wollten sie aber nicht. Und weil China seitdem die Zukunftsmärkte E-Autos und Erneuerbare ausbaut, ziehen sie jetzt VW, BMW, Mercedes und Konsorten den Stecker.

Mir ist auch noch gegenwärtig, wie vor genau zehn Jahren die deutsche Autoindustrie, allen voran VW, einen Riesenschwindel um gefälschte Abgaswerte aufzogen. Und wie Union und SPD plus alle relevanten Behörden aktiv weggeschaut hatten, um Deutschland als Auto-Kratie nicht zu gefährden. Mein Kurzzeitgedächtnis hat auch noch gespeichert, welche heiligen Eide auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz die Autobauer noch vor fünf Jahren geschworen haben, wie die EU-Kommission auf deutschen Druck ihnen immer wieder Ausnahmen, Sonderwünsche und neue Fristen eingeräumt hat. Und wie die Konzerne zu allen Versuchen, ihre Bilanzen, Absatzmärkte und ihre gutbezahlten Arbeitskräfte endlich zukunftsfest zu machen, immer nur „Nö“ gesagt haben.

Alt werden ist nichts für Feiglinge. Besonders schlimm ist es aber, wenn die Amnesie nicht einen selbst, sondern die anderen befällt. Oder wer erinnert sich und andere daran, dass die Autobauer sich ihre Grube selbst gegraben haben? Dass die deutsche Politik kräftig mitgeschaufelt hat? Dass wir alle mal der Meinung waren, die Industrie müsse so produzieren, dass auch noch für die nächste Generation was übrig ist?

Finsteres Mittelalter

Mein Elefantengedächtnis sagt mir vor allem: Es gab mal eine Zeit, lang, lang ist’s her, in der wir uns eine bessere Zukunft vorstellen konnten. Jenseits von populistischen Angsterzählungen, mit Blick auf wissenschaftliche Lösungen und überzeugt davon, dass wir die Mittel, das Geld und die Fähigkeit haben, um etwas so Banales wie einen nachhaltigen Verkehr – und eine nachhaltige Welt – zu organisieren: Als alle begeistert die UN-Nachhaltigkeitsziele SDG und das Pariser Abkommen feierten. Auch das ist jetzt genau zehn Jahre her. Für den Horizont der heutigen Nichtentscheider also im finstersten Mittelalter.

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Bernhard Pötter
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1965. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik. Wenn die Zeit es erlaubt, beschäftigt er sich noch mit Kirche, Kindern und Konsum. Für die taz arbeitet er seit 1993, zwischendurch und frei u.a. auch für DIE ZEIT, WOZ, GEO, New Scientist. Autor einiger Bücher, Zum Beispiel „Tatort Klimawandel“ (oekom Verlag) und „Stromwende“(Westend-Verlag, mit Peter Unfried und Hannes Koch).
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2 Kommentare

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  • Desinfizieren wir uns endlich von gewissen Teilen der Autoindustrie, öffnen wir die Augen.



    Die bekommen direkt und indirekt -zig Milliarden Zuschüsse jedes Jahr, verdrecken die Umwelt und füllen die Straßen und Plätze. Dann muss mensch es wie Pötter benennen. Selbst schuld, wer auf Lobbyismus setzt und bei Innovation nur auf Spielzeug.

  • Danke Herr Pötter. Sie haben es in dem Artikel hervorragend ausgedrückt.

    Schwierig bis unmöglich ist nur, den vielen Kurzsichtigen das vorausschauende Sehen beizubringen.