Vergewaltigungsvorwürfe gegen Masseur: Missbrauchtes Vertrauen

Jahrelang soll ein Bremer Masseur Frauen sexuell missbraucht haben. Aber von 20 Ermittlungsverfahren hat die Bremer Staatsanwaltschaft 18 eingestellt.

Ein Masseur berührt eine Frau an Fuß und Oberschenkel.

Vertrauensvolle Atmosphäre ausgenutzt: In Bremen ging ein Masseur weiter, als seine Kundinnen wollten Foto: Imago / Zuma Press

BREMEN taz | Sophie Schmidt* ist enttäuscht. „Ich habe wirklich damit gerechnet, dass es in meinem Fall zur Anklage kommt“, sagt die 28-Jährige. „Ich hatte gehofft, dass am Ende nicht ich, sondern der Täter sein Verhalten überdenken muss.“

Schmidts Fall ist einer von 18, in denen die Staatsanwaltschaft Bremen nun das Ermittlungsverfahren gegen einen Ayurveda-Masseur aus Bremen eingestellt hat. Jahrelang soll er in einem Massage-Salon Kundinnen sexuell belästigt und vergewaltigt haben. 20 Frauen hatten schwere Vorwürfe gegen den Mann erhoben.

Laut Frank Passade, Sprecher der Staatsanwaltschaft Bremen, habe es in diesen eingestellten Verfahren „keinen hinreichenden Tatverdacht“ gegen den Mann gegeben. „Um den Täter in diesen Fällen anklagen zu können, hätten die Frauen zum Ausdruck bringen müssen, dass sie mit den Handlungen nicht einverstanden sind“, sagt er. „Nur wenn der Beschuldigte sich dann darüber hinweggesetzt hätte, wäre es eine Straftat gewesen.“

Sophie kann dies als Betroffene nicht nachvollziehen. Sie berichtet, ebenso wie vier weitere Frauen, mit denen die taz gesprochen hat, dass der beschuldigte Masseur und Meditationslehrer die vertrauensvolle Atmosphäre bei der Massage ausgenutzt habe: „Ich lag dort nackt, wollte mich fallen lassen und abschalten“, sagt sie. „Mein Vertrauen wurde an diesem Tag missbraucht. Bei einer Dienstleistung, wie einer Massage, erwarte ich einfach keine sexuelle Handlungen.“

Katharina Charzynski, Frauennotruf Bremen

„Betroffene erstarren in dem Moment und wehren sich nicht, wie man es vielleicht erwarten würde“

Der Beschuldigte habe sie während der Massage zwischen die Beine geküsst und sei mit dem Finger in ihre Vagina eingedrungen. In diesem Moment sei sie wie erstarrt gewesen und hätte nichts tun können. Erst später sei ihr klar geworden, was dort passiert sei. Sie fühle sich vergewaltigt.

Katharina Charzynski, die als Psychologin beim Frauennotruf Bremen arbeitet, kennt dieses Verhalten von betroffenen Frauen. Viele schämten sich nach einem erlebten sexuellen Übergriff und gäben sich selbst die Schuld an dem Geschehen. „Betroffene erstarren in dem Moment und wehren sich nicht etwa mit Händen und Füßen oder durch Schreie, wie man es vielleicht erwarten würde“, sagt Charzynski. Die Grenzüberschreitung werde wie ein Überraschungsmoment erlebt, der eigenen Gefühlslage nicht mehr getraut. „Zurück bleibt oft ein schales, schuldhaftes Gefühl, sich nicht gewehrt zu haben.“

Bei einer Massage käme zudem ein Vertrauensvorschuss und ein situationsbedingtes Machtverhältnis dazu. Wenn es dort zu einem Übergriff, zu unangenehmen oder unerwünschten sexuell intimen Berührungen komme, gelinge es den Betroffenen nicht immer, diese Situation auch für sich als Übergriff zu bewerten, sagt Charzynski.

Kommentare im Internet

Schuldgefühle plagen auch Sophie Schmidt bis heute. „Als ich die Begründung der Staatsanwaltschaft gelesen habe, warum mein Verfahren eingestellt wurde, habe ich die Schuld wieder bei mir gesucht“, sagt sie. Sie mache sich Vorwürfe, dass sie sich falsch verhalten habe. „Dabei sollte sich doch der Masseur vielmehr fragen, was er dort Frauen angetan hat.“

Nach der Massage redete Schmidt mit Freundinnen über das Erlebte und begann im Internet zu recherchieren. Dort fand sie Bewertungen und Kommentare über den Masseur. „Als ich die las, da wurde mir schlecht“, sagt sie. Zahlreiche Frauen berichten im Netz von sexuellen Belästigungen und Übergriffen, die zum Teil Jahre zurückliegen. Eine von ihnen schreibt: „Ich schließe mich der Rezensionen anderer Kundinnen an, das kann als ein ‚raffinierter‘ sexueller Übergriff betrachtet werden.“

Der Masseur schweigt

Anfang dieses Jahres begannen sich betroffene Frauen aus Bremen zu vernetzen, ermutigten andere, über ihre Fälle zu sprechen. Sie tauschten sich aus, warnten per Rund-SMS vor dem Masseur und klagten ihn in einen offenen Brief an. Nachdem die taz im März über die Anschuldigungen berichtet hatte, meldeten sich immer mehr betroffene Frauen. Aus zwei Anzeigen gingen innerhalb weniger Tage 20 Ermittlungsverfahren hervor.

Angeklagt wird der Täter nun jedoch nur in zwei Fällen. Im Unterschied zu den 18 eingestellten Verfahren wehrten sich diese Opfer gegen die Handlungen des Mannes. In einem Fall soll sich der Masseur mit seinem Körpergewicht auf eine Frau gelegt haben und dann ihn sie eingedrungen sein. Sie habe versucht, den Beschuldigten wegzudrängen. In einem anderen Fall habe er die Brüste einer Frau massiert. Die Betroffene forderte ihn nach eigenen Angaben auf, das zu unterlassen.

Nun muss das Landgericht Bremen prüfen, ob es zum Prozess kommt. Bislang schweigt der Masseur zu den Vorwürfen und hat von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.

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