Verkehr in London: Bahnprojekt Big Brother

Die Errichtung der neuen Ost-West-Strecke in London liegt im Zeitplan. Dafür gibt es eklatante Sicherheitsmängel und ein erstes Todesopfer.

Davon träumen sie in Berlin: einem Großprojekt, das im Budget bleibt. Dafür sind die Tunnel staubig. Bild: ap

LONDON taz | 18 Milliarden Euro Budget, 10.000 Arbeiter, 42 von 100 Kilometern als Tunnel: Crossrail, die neue zukünftige Ost-West-Verbindung Londons, ist das größte Bauprojekt Europas. 2018 soll sie fertig sein, den Flughafen Heathrow und das Umland besser anbinden. Trotz der Größe des Projekts schien bis jetzt alles wie am Schnürchen zu laufen, laut staatlichem Revisionsamt, liegt Crossrail im fünften Jahr seines Baus im Budget.

Das scheint allerdings mit mangelnder Sicherheit erkauft zu sein: Im März kam ein tschechischer Bauarbeiter bei einem Arbeitsunfall ums Leben, nun deckte die britische Zeitung The Observer auf, dass das multinationale Baukonsortium BBMV (Balfour Beatty, BeMo Tunneling, Morgan Sindal und Vinci) seit über einem Jahr einen Bericht über die schlechten Arbeitsbedingungen bei Crossrail unter Verschluss hält. Auch der taz liegt der Bericht vor.

Die Beziehung zwischen Auftraggeber Crossrail und den Auftragnehmern BBMV sei so angespannt, dass es fast zum Bruch komme. „Uns wurden Berichte über Spionage und hinterlistige Aktivitäten zugetragen“, heißt es in dem Bericht, für den an zwei Baustellen ein großer Teil der Belegschaft interviewt wurde. Crossrail warte nur darauf, dass Fehler passierten. Es sei wie bei Big Brother, so zitiert der Bericht die Belegschaft: Arbeiter werden ohne Vorwarnung gefilmt, machen sie Fehler, werden Videos oder Fotos per E-Mail an die restliche Belegschaft verschickt, ohne dass zuvor mit den Betroffenen gesprochen wird. Der Druck gefährde die Sicherheit aller, weil Arbeiter Unfälle und Sicherheitsprobleme verschwiegen – sie fürchten, entlassen zu werden.

Dass das stimmt, beweist der Fall des Elektrikers Frank Morris, der auf Sicherheitsmängel hingewiesen hatte und entlassen wurde. Erst ein Jahr später, nach Druck durch Gewerkschaften und einem BBC-Bericht, wurde er wieder eingestellt. Die Gewerkschaft für das Bauwesen, Ucatt, versuchte nach eigenen Angaben, Bürgermeister Boris Johnson, als eigentlichen Auftraggeber, zu alarmieren – der aber reagiere seit 2012 auf keine Anfrage. Stattdessen müssten mit jeder Baufirma einzeln Gespräche geführt werden. Nur zwei versprachen, mehr unabhängige Sicherheitsbeauftragte zuzulassen.

Tödlicher Unfall im März

Die Rechtsanwältin Helen Clifford, die einige Crossrail-Arbeiter vertritt, bestätigte eine generell feindliche Einstellung gegenüber den Gewerkschaften. Auch ihre Klienten erwähnten die im Bericht beschriebenen Mängel. Obwohl der Bericht schon ein Jahr alt sei, hätte sich nichts geändert, so Clifford. Das Magazin Construction News schreibt, die Zahl der gemeldeten Verletzten habe sich zwischen 2012 und 2013 mit 39 Fällen verdoppelt. Im März 2014 kam es dann zu dem ersten Todesfall.

BBMV und Crossrail bestreiten die schlechte Sicherheitslage. Die Baufirmen gaben an, der an die Öffentlichkeit geratene Bericht sei nur ein Vorentwurf, der die Gegebenheiten vor Ort falsch wiedergebe. Laut Crossrail werden Arbeitsunfälle gemeldet.

Ein Sprecher des London Hazard Center, das vor Gefahren am Arbeitsplatz warnt, sah das Problem aber eher politisch. „Ich führe es auf die Entscheidung David Camerons zurück, der Sicherheitskultur ein Ende zu setzen. Seitdem gab es massive Kürzungen der Etats“, sagt er. Gewerkschaftliches Sicherheitspersonal gebe es nun weniger, obwohl sie die Bedingungen für die Belegschaft stark verbessern würden. Während des Baus des Londoner Olympiageländes seien sie noch anwesend gewesen. „Probleme wie Einschüchterung der Arbeiter, geheime Bespitzelung und versteckte Berichte gab es da nicht“, so der Sprecher.

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