Verkehrsprojekt in Jerusalem: Abriss im Niemandsland

Israels Sperranlage schneidet ein Jerusalemer Viertel vom Rest der Stadt ab. Hinter der Mauer soll eine neue Straße entstehen. Das sorgt für Ärger.

Die israelische Trennmauer vor blauben Himmer, im Hintergrund Gebäude, im Vordergrund ein Müllberg.

Hier soll eine Umgehungsstraße gebaut werden. Doch die Häuser stehen im Weg Foto: Susanne Knaul

JERUSALEM taz | Auf den letzten drei Kilometern vor dem militärischen Kontrollpunkt Kalandia ist fast immer Stau. Wie ein Trichter verengt sich die Hauptstraße, die von Ramallah durch das Ostjerusalemer Viertel Kufr Aqab führt bis hin zur Trennmauer zwischen Israel und den Palästinensergebieten. Wer in die Stadt will, muss für das kurze Stück Straße eine gute Stunde einplanen.

Nun will die Stadtverwaltung von Jerusalem, die für Kufr Aqab zuständig ist, eine Umgehungsstraße bauen. 900 Meter lang soll sie direkt an der Mauer verlaufen, dann abzweigen und weiter nördlich auf die Ramallah-Straße treffen. Bis zu 40 Minuten würden Autofahrer durch die neue Straße sparen, verspricht das Rathaus.

Trotzdem sind viele Palästinenser unglücklich über den Plan. Vier mehrstöckigen Wohnhäusern, die zu dicht an der Mauer stehen, droht der Abriss. Das Straßenverkehrsamt schreibt mindestens sieben Meter Abstand zwischen Trennmauer und Hauswand vor. Um den Abriss zu verhindern, sind die betroffenen Wohnungseigentümer vor Israels Obersten Gerichtshof gezogen.

Vom Zentrum Jerusalems kommend liegt die umstrittene Straße gleich hinter dem Checkpoint. Bislang ist nur ein Weg zu sehen, ungeteert und streckenweise stark vermüllt. Der junge Jassir Arafat, legendärer Palästinenserpräsident, unverkennbar mit seiner Kafijah, dem auf dem Kopf gebundenen Palästinensertuch, ist an die Sperrmauer gemalt. Neben ihm prangt Marwan Barghuthi an der Wand, der 1987 die „Intifada der Steine“ gegen die Besatzung anführte. Die Porträts verblassen unter schwarzem Ruß. Immer wieder brennen am Kalandia-Kontrollpunkt Autoreifen, fliegen Steine und Rauchbomben.

Die neue Straße sei „auf Wunsch der Anwohner von Kufr Aqab und zu ihrem Wohl“ geplant worden, heißt es in einer Mitteilung der Stadtverwaltung. Nur öffentliche Verkehrsmittel sollen hier fahren dürfen. Busse, Taxis und Ambulanzen machen rund zwanzig Prozent des Verkehrs in Jerusalem aus. Um den Plan umzusetzen, müssten die vier Gebäude jedoch abgerissen werden, die „ohne jede Genehmigung auf der Route der geplanten Straße errichtet wurden“.

Auf dem Papier gehört Kufr Aqab zum Einzugsgebiet der Stadt Jerusalem. Die Mauer schneidet das Viertel aber von Jerusalem und dem Rest Israels ab. Für die hier lebenden rund 65.000 Palästinenser hat das Vorteile. Sie behalten ihren Status als Bürger Jerusalems und dürfen nach Israel einreisen, was anderen Palästinensern nur mit Sondergenehmigung möglich ist. Zudem dürfen sie in Israel arbeiten, sind sozialversichert und können theoretisch sogar die israelische Staatsbürgerschaft beantragen. Gleichzeitig bleiben die Menschen, die hinter der Trennmauer leben, von der strengen Bauaufsicht, wie sie in Israel üblich ist, verschont. In Kufr Aqab wird heftig gebaut, ohne zeit- und kostenaufwändige Genehmigung.

Bauboom in Kufr Aqab

Immobilien in Kufr Aqab sind preiswert. Bauunternehmer Samer Shehade verkauft eine 160 Quadratmeter große Wohnung für 100.000 US-Dollar. Sein kleines Büro direkt über dem Lebensmittelgeschäft, in dem sein Sohn an der Kasse steht, ist unterkühlt. Der Mittvierziger hat einen Bürstenhaarschnitt und tiefe Ränder unter den Augen. In letzter Zeit schlafe er nicht gut. Shehade ist Teileigentümer von 88 der insgesamt 138 vom Abriss bedrohten Wohnungen. Zwar sind fast alle seiner Wohnungen schon verkauft, abbezahlt sind sie aber noch längst nicht. „Die Käufer zahlen 10.000 Dollar an und den Rest zinslos in Raten verteilt auf sechs Jahre“, erklärt er.

Samer Shehade, Bauunternehmer

„Wie kann die Stadt sagen, die Häuser seien illegal? Hier ist alles illegal“

Als die Nachricht vom drohenden Abriss kam, ließ Shehade die Arbeit an einem Neubau umgehend einstellen. Unten ist das Haus nun bewohnt, darüber steht nur der Rohbau. Direkt vor dem halbfertigen Gebäude schiebt ein Schaufelbagger schon riesige Sandberge vor sich her. „Das sind mindestens zehn Meter Zwischenraum“, sagt Shehade mit Nachdruck und übertreibt dabei gewaltig. Sein Haus steht deutlich zu dicht an der Mauer.

„Wir wollen dem Gericht erklären, dass hier keiner eine Baugenehmigung hat.“ Shehade ist wütend. Hunderte Häuser seien seit dem Bau der Trennmauer vor fast 15 Jahren ohne Genehmigung in Kufr Aqab errichtet worden. Sogar eine Schule sei darunter und eine ambulante Krankenstation. „Wie kann die Stadt sagen, meine Häuser seien illegal?“, schimpft er, „hier ist alles illegal.“

Gericht hat den Straßenbau vorerst gestoppt

Sollten die Gegner des Projekts vor Gericht keinen Erfolg haben, würden als nächstes die Nachbarn protestieren, sagt Shehade. „Wenn sie meine Häuser sprengen, ist das wie ein Erdbeben.“ Niemand könne garantieren, dass die Nachbarhäuser dabei nicht beschädigt werden.

Vorläufig liegt der Abriss nach richterlicher Anordnung derzeit auf Eis. Ginge es nach Monir Zughayar, dem Vorsitzenden des Nachbarschaftskomitees von Kufr Aqab, würden die Behörden die Trennmauer an der fraglichen Stelle einfach um ein paar Meter verlegen. Für die palästinensischen Familien bedeuteten die Eigentumswohnungen die „Erfüllung eines Traums, für den sie jahrelang mühsam gespart haben“. Alternativ sei auch eine „einspurige Straße“ möglich, sagt er. Die neue Straße würde das Verkehrsproblem vor dem Checkpoint ohnehin nicht lösen.

Auch die Menschenrechtsorganisation B’tselem plädiert für den Bau einer Umgehungsstraße weiter im Norden. Sprecher Amit Gilutz vermutet, die Verkehrsbehörden hätten gegen den nördlichen Verlauf entschieden, weil die Umgehungsstraße dort „sehr dicht an den Siedlungen Psagot und Kochav Ja’akov“ vorbei geführt hätte. Dies hätte die Sicherheit der Siedler gefährden können.

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