Verlage gegen ÜbersetzerInnen: Nur davon leben kann man nicht

Vor einem Jahr legte der Bundesgerichtshof erstmals höchstrichterlich tarifähnliche Sätze für Literaturübersetzer fest. Hat das etwas gebracht?

Der Literaturbetrieb braucht ÜbersetzerInnen – und andersherum. Bild: dapd

Auf der einen Seite stehen die Verlage, auf der anderen die ÜbersetzerInnen. Hinter den Kulissen des Literaturbetriebs tobt ein Streit. Lange schon, mal lauter, mal leiser. Es geht ums Geld, und die Situation ist verzwickt, denn die Streithähne müssen sich zusammenreißen und gute Miene zu bösem Spiel machen – sie sind abhängig voneinander.

Im vergangenen Jahr sollte eigentlich eine neue, ruhigere Ära der Auseinandersetzung anbrechen. Im Januar 2011 legte der Bundesgerichtshof erstmals höchstrichterlich tarifähnliche Sätze für LiteraturübersetzerInnen fest. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Zum Anfang dieses Jahres darf man also fragen: Was hat sich getan? Wie geht es den deutschen LiteraturübersetzerInnen?

Fast jedes zweite Buch auf dem deutschen Markt ist eine Übersetzung. Die deutsche ÜbersetzerInnenszene ist ebenso traditionsreich wie lebendig, die Dazugehörigen sind "ein buntes Völkchen", findet Jürgen Jakob Becker, Geschäftsführer des Deutschen Übersetzerfonds (DÜF). Dieser unterstützt seit 14 Jahren die Kunst des Übersetzens, vergibt Stipendien an besondere Talente.

"Wir fördern die Kunst, die Qualität, wir sind keine Sozialförderung", stellt Becker klar. Diese Unterscheidung ist ihm wichtig, und sie ist nicht so hinfällig, wie sie zunächst scheint. Denn neben ihrer Leidenschaft für fremde Sprachen und ihre literarischen Kulturen eint die deutschen ÜbersetzerInnen vor allem eines: die ewige Sorge um das Geld.

Jeden Auftrag annehmen

"Ihr wollt LiteraturübersetzerInnen werden? Herzlichen Glückwunsch, ein toller Beruf. Nur leben könnt ihr davon nicht." Mit einem Lachen erinnert sich Karen Witthuhn an diese begrüßenden Worte der Übersetzerin Claudia Steinitz auf einem Seminar des Literarischen Colloquiums Berlin.

Lachen kann die DÜF-Stipendiatin Karen Witthuhn deswegen darüber, weil sie es geschafft hat, heute von der Tätigkeit des Übersetzens zu leben. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Lucy Renner Jones bildet sie seit drei Jahren die Firma "transfiction", beide Freundinnen übersetzen vom Englischen ins Deutsche und andersherum, allerdings nicht nur Literatur, sondern auch Kataloge, Audioguides, Dokumentarfilme – alles, was an Aufträgen hereinkommt.

"Eine Lektorin riet mir einmal, man dürfe keine Genreangst haben", sagt Lucy Renner Jones. So nehmen die beiden fast jeden Übersetzungsauftrag an, mit wenigen Ausnahmen. "Da macht man nicht immer Sachen, die einem gefallen", gibt Witthuhn zu.

Wie existenziell die finanzielle Situation von LiteraturübersetzerInnen ist, verdeutlichen die harten Zahlen, und die kennt Hinrich Schmidt-Henkel. Er ist der Vorsitzende des Verbands deutscher Literaturübersetzer (VdÜ), den man mit seinen 1.250 Mitgliedern auch die Übersetzerlobby nennen könnte. Ungefähr 2.000 ÜbersetzerInnen gebe es in Deutschland, schätzt Schmidt-Henkel. Deren durchschnittlicher Jahresumsatz läge bei etwa 20.000 Euro. "Umsatz, nicht Einkommen!", setzt er nach, "das wird gerne verwechselt, auch von den Verlagen."

Die Verlage, besser gesagt, die Finanzleute der Verlage, sind Schmidt-Henkels größte Gegner. Sie seien schuld an der schlechten finanziellen Situation der deutschen ÜbersetzerInnen - nur seien sie eben auch die Arbeitgeber. Lange und ausführlich kann er sich über ihre mangelnde Kooperationsbereitschaft aufregen. Er muss das können, als Lobbyist der ÜbersetzerInnen, und dabei kann es kompliziert werden. Steigt man aber durch den Dschungel von Rechtsbegriffen, erkennt man die Lebensrealität der ÜbersetzerInnen dahinter, und die ist nahezu dramatisch anschaulich.

Um die 20 Euro Seitenhonorar zahlen die Verlage heute, vor 20 Jahren waren es 35 Mark. "Das Honorar ist also de facto gesunken", erläutert Schmidt-Henkel, wenn man den Kaufwertverlust in dieser Zeit berücksichtigt. Zudem gibt es einen ständigen Kampf um Beteiligungen. Denn während die AutorInnen finanziell von einem Verkaufserfolg ihrer Bücher profitieren, müssen sich die ÜbersetzerInnen oft mit anerkennenden Worten begnügen.

Teil des Kuchens geht vom Gewinn der Verlage ab

Seit 2009 stehen den ÜbersetzerInnen per Gesetz Erfolgsbeteiligungen zu. Nach dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom Januar 2011 müsste der/die ÜbersetzerIn ab 5.000 verkauften Exemplaren ein Fünftel der Gewinne aus den Nebenrechten – Lizenzen für Taschenbücher, Hörbücher oder E-Books – bekommen. Das habe die Verlage zwar veranlasst, den ÜbersetzerInnen etwas entgegenzukommen, jedoch nicht durch die Einbindung der Gesetze in ihre Verträge. Denn natürlich geht der Teil vom Kuchen, der den ÜbersetzerInnen zusteht, vom Gewinn der Verlage ab.

Schmidt-Henkel denkt sich gern Vergleiche aus, die ein bisschen hinken. "Es ist, als würde man seinem Auto einen Katalysator einbauen, aber nicht den neuen, normgerechten, sondern einen alten. Die Luft ist dadurch sauberer als vorher, aber immer noch unsauber." Die Verlage seien sich ihrer Machtposition vollends bewusst.

"Es gehört schon einiges an Mut dazu, seinen Arbeitgeber zu verklagen", sagt Schmidt-Henkel, "und das wissen die genau." Ein Geschäftsführer eines großen Verlages, er will den Namen nicht nennen, habe einmal gesagt: "Ein Übersetzer, der schlechter bezahlt wird, übersetzt nicht schlechter."

Harte Worte für jemanden, dem die Leidenschaft für seinen Beruf später einmal Renten auf Sozialhilfeniveau bescheren wird. Es sind ernüchternde Fakten, die Schmidt-Henkel zu berichten weiß. Er wünscht sich eine gemeinsame, von ÜbersetzerInnen und Verlagen verhandelte Vergütungsregel, die die Probleme langfristig löst, doch sind alle Schritte in diese Richtung bisher im Nichts verlaufen.

Es entsteht das Bild eines Berufs, in den man Herzblut steckt und der mit persönlicher, aber nicht mit finanzieller Anerkennung bedacht wird. Was ist die Motivation dahinter, sich dennoch auf ein Dasein als ÜbersetzerIn einzulassen?

Für Harriet Fricke ist es die Verbindung von beruflicher Leidenschaft und ihrem Hobby, der Musik. Anders als Witthuhn und Renner Jones wartet die Hamburgerin nicht auf Aufträge, sondern bietet Verlagen selber Übersetzungen von Büchern an, die sie interessant findet.

Gerade ist eine von ihr übersetzte Biografie des Popklassikers Paul Simon erschienen. "Ich hoffe, dass ich irgendwann vom Übersetzen leben kann", sagt Fricke. Sie arbeitet halbtags in einem Büro. "Wenn ich an einem Übersetzungsprojekt sitze, ist das anstrengend, weil ich es neben meiner anderen Arbeit machen muss", sagt sie.

Wie viel Energie die Tätigkeit des Übersetzens verlangt, weiß Olaf Kühl. Er ist Inhaber der vom DÜF geförderten August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung an der Freien Universität Berlin. Poetisch sind auch die Worte, mit denen er die Übersetzungstätigkeit und das ÜbersetzerInnendasein beschreibt. "Die erste deutsche Fassung hinzukriegen ist ein gewaltsamer, blutiger Akt. Danach erst kommt der schöne Part, wenn man, befruchtet von einem fremden Stil, kreativ arbeiten kann."

Eine wirtschaftliche Macht

Kühl übersetzt aus dem Russischen und Polnischen und ist mittlerweile in der luxuriösen Situation, sich aussuchen zu können, was er übersetzt. Von Verlagen wird er außerdem oft gebeten, Gutachten anzufertigen, die darüber entscheiden, ob ein Buch auf Deutsch erscheinen soll. "Der Übersetzer ist die Eintrittskarte für die andere Kultur, die man mit seinem Werk ansprechen will", sagt Kühl, "und der deutsche Markt ist sehr beliebt."

In der Funktion als GutachterInnen haben ÜbersetzerInnen also auch eine reale wirtschaftliche Macht. Doch selbst der gefragte, im Übersetzerberuf längst angekommene und etablierte Olaf Kühl widmet sich nur halbtags seiner Leidenschaft. Den Rest der Zeit ist er Russlandreferent im Berliner Rathaus.

Ein/e gute/r ÜbersetzerIn, ist Kühl überzeugt, ist getrieben von einem inneren Bedürfnis, sich auszudrücken, wie ein/e SchriftstellerIn. Tatsächlich scheint er hiermit das anzusprechen, was ÜbersetzerInnen außer der Sorge ums Geld noch vereint. Denn auf den ersten Blick verbindet den Russlandreferenten wenig mit den Freundinnen Lucy Renner Jones und Karen Witthuhn, hat der Lobbyist Hinrich Schmidt-Henkel wenig mit seiner Hamburger Übersetzerkollegin Harriet Fricke gemein. Alle aber schwärmen von der großen Solidarität innerhalb der Szene.

Alle, Kühl, Renner Jones, Witthuhn, Schmidt-Henkel und Fricke, scheinen in ihrem Beruf eine Art Berufung zu sehen. Die alte, verklärte Vorstellung des armen, dennoch – oder deswegen – unaufhörlich kreativen Schriftstellers, sie könnte auch auf ÜbersetzerInnen zutreffen, nur ohne die vermeintliche Romantik.

Denn während SchriftstellerInnen stets auf ihren großen Durchbruch hoffen können, der ihnen einen Beststeller beschert, steht dieser bei ÜbersetzerInnen niemals an. Aufhören, zu übersetzen, werden sie trotzdem nicht. Der Geschäftsführer des großen Verlags, den Schmidt-Henkel grimmig zitiert hat, scheint das genau gewusst zu haben.

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