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Verleger KD Wolff über seine Memoiren„Der Vorwurf war, wir verraten die Revolution“

Revolte, Dutschke, Adorno: KD Wolff stand im Zentrum der 68er-Bewegung. Später verlegte er Theweleit und Hölderlin. Ein Gespräch über seine Memoiren.

Schulterschluss mit Ché Guevara: KD Wolf im Frankfurter Büro des Sozialistischen Studentenbundes, Mai 1968 Foto: Manfred Rehm/dpa
Sebastian Moll
Interview von Sebastian Moll

taz: KD Wolff, Ihr Buch heißt „Bin ich nicht ein Hans im Glück?“ Fühlen Sie sich so, wie ein Hans im Glück?

KD Wolff: Also, im Nachhinein wundere ich mich selber, wie gut ich es geschafft habe, aus manchen Verzwicktheitssituationen überhaupt wieder herauszukommen. Wir haben zum Beispiel die Unverschämtheit gehabt, anzukündigen, dass wir die 20-bändige Frankfurter Hölderlin-Ausgabe in fünf Jahren machen. Als wir von der Pressekonferenz im „Frankfurter Hof“ nach Hause fuhren, hat mein Mitstreiter Michael Leiner zu mir gesagt, KD, jetzt müssen wir fünf Jahre lang Verlag machen. Und wir haben gelacht. Tatsächlich haben die Bände dann 32 Jahre gebraucht. Aber wir haben viel gelernt.

taz: Klaus Theweleits „Männerphantasien“ zu verlegen, war auch ein Projekt, bei dem viele dachten, das sei verrückt: ein Buch mit 1.800 Seiten in einer Auflage von 10.000 Stück. Und es war ein Erfolg. War das Instinkt für die Themen der Zeit oder Beharrlichkeit?

Wolff: Ich glaube eher die Beharrlichkeit. Es hätte auch passieren können, dass wir nicht genug Subskribenten finden. Aber wir haben gesagt, wir probieren es erst mal. Dass wir dann 500 Rezensionen im ersten Jahr bekommen und nach zwei Jahren bei 1.500 Subskriptionen waren, das hätte man nicht vorher garantieren können. Als wir anfingen, Bestellungen zu sammeln, sind wir zu Hunderten Buchhandlungen gegangen, um sie zu überzeugen. Was wir da gehört haben, hat uns geärgert. Aber wir wollten trotzdem nicht einfach kapitulieren.

Historisch-kritisch

KD Wolff

Als klar wurde, dass es nach 1968 mit der Revolution in der alten Bundesrepublik nichts wird, spaltete sich die linke Szene der rebellierenden Studierenden. Manche radikalisierten sich und gingen in den Untergrund, siehe RAF. Der 1943 geborene Karl Dietrich Wolff, den alle nur KD nennen, ging einen radikal anderen Weg. Er setzte auf langfristige Bildungsprozesse und gründete den Verlag Roter Stern, später Stroemfeld.

Stroemfeld/Roter Stern

Die „Männerphantasien“ von Klaus Theweleit gehören zu den einflussreichsten Büchern der Bundesrepublik. In den Untersuchungen über gepanzerte Männerkörper fanden ganze Studentengenerationen ihre Väter, teilweise auch sich selbst wieder. Außerdem verlegte KD Wolff eine legendär monumentale historisch-kritische Ausgabe der Schriften Friedrich Hölderlins und viel Kafka, gern die faksimilierten Handschriften. Das Autorenverzeichnis reicht von Kim Il Sung bis Peter Kurzeck. 2018 musste der Verlag Insolvenz anmelden.

Das Buch

KD Wolff: „Bin ich nicht ein Hans im Glück? Studentenrevolte – Hölderlin – Kafka“. Redaktion Dietegen Müller. Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main, 2025. 262 S., 28 Euro

taz: Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die „Männerphantasien“ für Sie persönlich ein wichtiges Projekt waren, weil es eine neue Art war, über die eigene Generation und über die Vätergeneration nachzudenken. Wie hat das funktioniert?

Wolff: Erhard Lucas war der erste Historiker, der systematisch die Unterlagen studiert hat, die zur sogenannten Ruhrarmee geführt hatten. Ehe wir diese Vorarbeiten nicht studiert hatten, wussten wir gar nicht, was sich in der Frühzeit der Weimarer Publik schon auf die Nazizeit hin entwickelt hat. Die Arbeit am „Männerphantasie“-Projekt begann in den Seminaren, die wir in den 60er Jahren mit Lucas im Freiburger SDS gemacht haben. Ohne diese Vorarbeiten hätte Klaus Theweleit gar nicht die Dimension der Auseinandersetzung mit der Generation unserer Väter so in Gang setzen können.

taz: War das Nachdenken über diese Themen gar nicht so sehr eine einsame Gelehrtenarbeit von Theweleit, sondern ein gemeinsames Nachdenken?

Wolff: Der Freiburger SDS …

taz: … der Sozialistische Deutsche Studentenbund …

Wolff: … war eine ganz besondere Sache. Die Forschungen von Lucas im Ruhrgebiet haben dadurch eine Aktualisierung gefunden, die am Anfang niemand geahnt hätte. Wir wussten ja nicht, dass eine Blutlinie von den Freikorps bis in die Nazimachtergreifung geführt hat, wo die mörderische Intention sich schon entfaltete und wo man sich wundern musste, dass nicht mehr Leute bei der Machtergreifung schon begriffen, wie der Zusammenhang mit den mörderischen Sachen am Anfang der Weimarer Zeit war.

taz: Das Buch erfährt derzeit eine Renaissance. Wie sehen Sie das?

Wolff: Für mich ist es interessant, wie Theweleit auftaucht, wenn irgendwelche terroristischen Aktionen ablaufen und man fragt, auf welcher Ebene von Denken und Fühlen die Täter agieren. Der Mörder in Norwegen etwa, der die ganzen Jungsozialisten ermordet hat und beim Morden lacht. Der lachende Mörder. Das hat Theweleit entdeckt. Eine moderne Sorte Mörder, die lachen beim Morden.

taz: Würden Sie, was Theweleit in seinen Büchern beschreibt, als toxische Männlichkeit bezeichnen?

Wolff: Es war eindrucksvoll für uns, zu merken, dass Theweleit Fragestellungen entwickelt, an die vorher niemand gedacht hat. Er hat das sicher nicht nur gemacht, um die Nazizeit zu erläutern, sondern er hat sich mit Texten auseinandergesetzt, die unsere Vorstellung vom Leben und vom Mannwerden mitgeprägt hatten.

taz: Sie beschreiben, dass Ihr Weg in die Politik auch mit der Auflehnung gegen die Vätergeneration zu tun hatte. In Ihrem Fall war das die Konfrontation mit dem Professor Schwinge in Marburg. Sie haben als Student seine Nazivergangenheit publik gemacht.

Wolff: Ich habe verlangt, dass wir berechtigt sind, zu erfahren, was die Professoren während der Nazizeit gemacht haben. Schwinge hat jahrelang gegen wer weiß wie viele Studenten prozessiert, die diesen Sachverhalt auch nur berührten. Es ging mir um die Interpretation eines Gesetzesartikels: Inwieweit toleriert man Meinungsfreiheit im weitesten Sinne, und kann ein kritischer Student etwas sagen über die Vergangenheit seines Naziprofessors? Schwinge war der Erfinder der Befehlsnotstandstheorie und hatte von 1946 bis 48 die gesamte Waffen-SS verteidigt.

taz: War das in dem Augenblick ein Bedürfnis?

Wolff: Das kann man so sagen. Ich musste das machen, weil ich das Gefühl hatte, wenn ich jetzt nicht spreche, dann kann ich nie wieder sprechen. Und ich war überrascht, dass ich der Einzige war, der sich gemeldet hat. Aber als ich gesprochen hatte, kippte nach ein paar Minuten die Stimmung im Saal. Danach war ich Studentenführer in Marburg.

taz: Wie wurden Sie dann Bundesvorsitzender des SDS?

Wolff: Ich habe in Freiburg angefangen, Kampagnen gegen die Notstandsgesetze zu organisieren, bin dadurch innerhalb des SDS bekannt geworden. Rudi Dutschke sollte natürlich eigentlich gewählt werden. Er wollte aber nicht, der fühlte sich als nicht gewählter SDS-Führer viel stärker. So sind dann mein Bruder Frank und ich Vorsitzende geworden.

taz: Sie beschreiben in Ihrem Buch ausführlich Ihr nicht ganz einfaches Verhältnis zu Dutschke.

Wolff: Ich habe ihn natürlich verehrt. Aber wir hatten praktisch kein Verhältnis. Als wir den Vietnamkongress für Februar 1968 vorbereiteten, wurde praktisch alles von der Westberliner SDS-Gruppe gemacht. Ich glaube, sogar die Diskussionen mit den trotzkistischen Jugendverbänden in Frankreich waren intensiver als die Diskussionen mit dem Frankfurter Vorsitz.

taz: Die Berliner und die Frankfurter Studenten haben sich unabhängig voneinander entwickelt?

Wolff: Der Berliner SDS hatte damals schon über 500 Mitglieder und der Frankfurter SDS hatte vielleicht 300. Der Frankfurter SDS waren eigentlich alles Adorno-Schüler. Die Entwicklung der Studentenbewegung als antiautoritäre Bewegung kam in Frankfurt aus der Auseinandersetzung mit Adorno.

taz: Das Verhältnis von Adorno mit der Studentenbewegung war kompliziert. Studenten haben ihm Tatenlosigkeit und trockene Intellektualität vorgeworfen, insbesondere Daniel Cohn-Bendit.

Wolff: Ich saß bei einer Diskussion mit Adorno auf dem Podium. Und da ging es darum, was macht jeder für sich persönlich. Da sagte Adorno zu mir, denken Sie, Herr Wolff, ich solle mit meinem Bäuchlein bei Ihren Demonstrationen mitmachen. Dann habe ich gesagt, ja, das wäre toll.

taz: Und, hat er es gemacht?

Wolff: Nein. Und das ist ihm auch übelgenommen worden. Von mir aber eigentlich nicht. Ich habe das verstanden.

taz: In den 70er Jahren fand dann die Spaltung der Studentenbewegung und der Weg in die Radikalisierung statt. Sie schreiben, für Sie sei von vornherein klar gewesen, dass das nicht der Weg sein kann.

Wolff: Ja, das war schon immer klar. Sehr klar.

taz: Warum?

Wolff: In Amerika habe ich als Austauschschüler die Bürgerrechtsbewegung kennengelernt. Der gewaltfreie Widerstand, die Freedom Riders, Martin Luther King, das war viel eindrucksvoller als die ganzen Radikal-Rhetoriker.

taz: Der Erfolg der Civil-Rights-Bewegung hat Sie davon überzeugt, dass auch in Deutschland Gewalt nicht der richtige Weg ist?

Wolff: Das weiß man nicht. Es gab im Grunde ja keine pazifistische Civil-Rights-Bewegung in Deutschland. Es gab den Pazifismus, aber verglichen mit der Bürgerrechtsbewegung in Amerika? Nein.

taz: Würden Sie sich als Pazifist bezeichnen?

Wolff: Ja, das würde ich.

taz: Als sich ein Teil der Studentenbewegung, auch aus Ihrem Umfeld, in die RAF und die Roten Zellen radikalisierte und zu Terroristen wurde, begannen Sie, Hölderlin zu verlegen. Das wurde Ihnen als Rückzug ins Unpolitische ausgelegt.

Wolff: Schlimmer, man hat uns Verrat vorgeworfen. Es gab einen offenen Brief an uns, als wir mit Hölderlin angefangen haben. Der Vorwurf war, dass wir die Revolution hinter uns gelassen haben. Und Leute, die später in die revolutionären Zellen gegangen sind, haben uns persönlich beleidigt und angegriffen, bis hin zu Schlägereien.

taz: Die radikaleren Teile der Bewegung haben damals die Bundesrepublik als repressives Regime gesehen. Und Sie?

Wolff: Man konnte ohne Weiteres sehen, wie repressiv das deutsche Notstandsregime sich in diesen Jahren entwickelte. Und erst die Auseinandersetzung mit dem sogenannten Deutschen Herbst führte dazu, dass es eine neue Diskussion über ein neues politisches Arbeiten gab. Ich glaube, es würde keine grüne Partei in Westdeutschland geben ohne den Deutschen Herbst.

taz: Glauben Sie, dass durch diese Zeit die Bundesrepublik freiheitlicher geworden ist?

Wolff: Überraschenderweise ja. Wir waren am Anfang nicht sicher, aber im Nachhinein gesehen ist es sehr deutlich.

taz: Wie sehen Sie die heutige deutsche Linke?

taz: Ich würde erst einmal fragen, wer ist die deutsche Linke? Sind das die Mitglieder der Linkspartei? Sind das die Freunde von Oskar Lafontaine? Oder ist das ganz jemand anderes?

taz: Sind Sie heute nicht mehr so stark politisch interessiert?

Wolff: Doch, ich bin politisch sehr interessiert. Aber ich glaube nicht mehr so wie früher an klare, schnelle Lösungen.

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