Vermarktung der Fußball-WM: Sommermädchen, schwer unter Druck

Diese WM soll ein „Sommermärchen“ werden. Genau wie bei den Männern 2006. Doch davon wollen die WM-Macher nun nichts mehr wissen.

Lässt sich ein Sommermärchen wiederholen? Bild: reuters

BERLIN taz | Es könnte klappen. „Laut Wetterbericht hat es am Sonntag 29 Grad“, sagt Bernhard Rotter. Für den Mann, der bei der Stadt Augsburg für alles verantwortlich ist, was mit der WM zu tun hat, ist die Sache mit dem Sommermärchen ganz einfach. Das Wetter muss stimmen, dann passt das schon. Für alles andere ist gesorgt. Mit jeder Menge Blech wird das Turnier am Sonntag in Augsburg begrüßt. 600 Blasmusikanten und jede Menge Trachtengruppen aus ganz Bayerisch-Schwaben werden das WM-Turnier am Sonntag begrüßen.

Um zwölf Uhr mittags werden die Kirchenglocken läuten. Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Juden und vielleicht auch Muslime werden gemeinsam beten. „City of Peace“ nennt sich Augsburg während der WM in Anspielung auf den Religionsfrieden, der 1555 hier geschlossen wurde. „Gehe hin und du wirst ein besserer Mensch!“ Mit diesem Satz sollen die Augsburger ins Stadion, zum Public Viewing und in das Kulturstadion am Rathausplatz gelockt werden. „Und vielleicht“, so Rotter, „kommt auch der Ministerpräsident.“ Die Fußball-WM als bayerisches Volksmärchen – so ists gedacht.

Vier Spiele werden in Augsburg stattfinden. Am Mittwochnachmittag spielt Norwegen gegen Äquatorialguinea im fast noch nagelneuen Stadion des Bundesligaaufsteigers FC Augsburg. Keine elftausend Karten waren dafür bis Mitte der Woche verkauft. Doppelt so viele Menschen passen rein. Zwei andere Spiele finden an Wochenendtagen statt. Für die gibt es kaum noch Karten. So oder so – Rotter ist sicher, dass die WM ein Erfolg für Augsburg wird. Diesmal stehen nicht Nürnberg oder München im Fokus, die Augen werden sich auf die mit 270.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Bayerns richten.

Das war der Kommune viel wert. Bevor der Stadtrat dem Ausrichtervertrag mit dem Organisationskomitee unterschrieben hat, wurde ausgerechnet, was das Turnier die Stadt kosten könnte. 6,4 Millionen Euro, so ein „Worst-Case-Szenario“ (Rotter). Ausgegeben wurden nur 3,5 Millionen Euro: Auch bayerische Schwaben sind Schwaben.

„Sommermärchen reloaded“

Und was ist mit der Stimmung? „Augsburger sind keine Rheinländer“, stellt Rotter klar, der aus der Finanzverwaltung der Stadt zum WM-Organisieren abgestellt wurde. Mit Slogans wie „Sommermärchen reloaded“, mit denen der DFB auf einer Facebook-Seite fürs Turnier wirbt, kann er nichts anfangen.

Sommermärchen. Das ist der Begriff, um den sich alles dreht. Seit dem 31. Oktober 2007, dem Tag, an dem die Fifa die Frauen-WM nach Deutschland vergeben hat, wird von einer neuen, unglaublichen Fußballgeschichte gesprochen. Was den Männern 2006 geschah, das soll nun auch den Frauen zuteilwerden.

Vor fünf Jahren entwickelte sich eine schier unglaubliche Dynamik. Die Sonne schien. Millionen Fans feierten sich selbst und den Fußball. Deutschland legte sich ein neues Image zu. Marketingstrategen hätten es nicht besser erfinden können: Der dröge Deutsche galt plötzlich als weltoffen und feierwütig. Damit muss das Frauenturnier jetzt leben. Es wird überfrachtet mit Erwartungen. Das ganz große Ding soll diese WM werden. Der Frauenfußball soll in eine neue Dimension katapultiert werden.

Daran arbeitet auch die Wirtschaft: Adidas etwa, einer der sechs Fifa-Sponsoren, will dank der Frauen-WM das Ergebnis des Fußballgeschäfts von 2010 wiederholen. Sechs nationale Sponsoren haben je vier Millionen Euro gezahlt, um mit der WM werben zu dürfen. Allianz, Nike, Schwarzkopf, Gatorade und Expert werben mit einzelnen Spielerinnen. Sie alle wollen mit der WM Geld verdienen. Sie hoffen genauso auf ein Sommermärchen wie die Frauenfußballmanager, die den Kickerinnen ein Girlie-Image verpassen, mit ihnen WM-Songs aufnehmen und hübsche Interviews in der Brigitte organisieren, Medienpartner des DFB. Und dann sind da noch die TV-Rechteinhaber. ARD und ZDF übertragen alles live. Man wirbt mit dem Slogan „Der dritte Platz ist was für die Männer“. Ein Herz für den Frauenfußball!

In Frankfurt am Main, wo am 17. Juli das Endspiel stattfindet, werden am Samstag 200.000 Menschen zur Eröffnungsfeier samt nächtlicher Lichtshow erwartet. Wer würde da nicht von einem Sommermärchen sprechen? Alles wie 2006? „Der Vergleich ist einfach unfair“, sagt Thomas Feda. Er ist in der Tourismus GmbH Frankfurts fürs WM-Rahmenprogramm verantwortlich. 100.000 ausländische Fans seien 2006 nach Frankfurt gekommen, allein 60.000 aus England.

Tickets: Bis jetzt sind fast 80 Prozent aller Karten verkauft. Mehr als 700.000 Karten sind damit weg. Fast 200.000 sind aber noch im freien Verkauf. Die deutschen Spiele sind ausverkauft, wie auch das Vorrundenspiel zwischen Brasilien und Norwegen (3. Juli) und das Finale am 17. Juli in Frankfurt am Main. Absatzprobleme gibt es vor allem in den WM-Standorten Bochum und Leverkusen.

TV: In mehr als 200 Länder wird übertragen. Zum ersten Mal in der Geschichte einer Frauenfußball-WM übertragen ARD und ZDF alle Spiele live. Neu ist auch: Die Moderatoren stehen auf einer Tribüne inmitten der Zuschauer. ARD-Expertin ist Nia Künzer. Beim ZDF wird man die Expertisen von Silke Rottenberg und Renate Lingor hören. ARD-Quotenmoderatorin ist Valeska Homburg, beim ZDF treibt Katrin Müller-Hohenstein ihr Unwesen.

Taktik: Die deutsche Auswahl setzt auf zwei Systeme: 4-4-2 und 4-2-3-1 - Bundestrainerin Silvia Neid lässt also einmal mit zwei Angreiferinnen, mal mit nur einer Stürmerin spielen. Am Sonntag im Auftaktspiel gegen Kanada (18 Uhr, ARD) muss sie auf Angreiferin Martina Müller verzichten. Die Spielerin des VfL Wolfsburg zog sich eine Zerrung im linken Oberschenkel zu. Wie die Elf aussieht, verrät Neid erst am Spieltag.

So etwas gibt es im Frauenfußball nicht. Und so tritt ausgerechnet der Mann, der die traumhaften Bilder vom Main liefern soll, auf die Euphoriebremse. 2006 habe es genügt, die Spiele zu übertragen, 2011 müsse man die Menschen mit einem attraktiven Rahmenprogramm anlocken. Bei Feda ist es nicht anders als bei Steffi Jones, der Chefin des Organisationskomitees. Die spricht zwar vom Sommermärchen, das sie den Frauen wünsche, sagt aber zugleich, man dürfe nicht überdrehen.

Angst schwingt mit

Es gibt nicht nur bei den Agenturen, die im Vorfeld der WM verstärkt auf den Plan getreten sind, den Wunsch, den Frauenfußball als Massenware vermarkten zu können. Gleichzeitig schwingt immer die Angst davor mit, dass die Gesellschaft eigentlich doch noch nicht so weit ist. Und so wird ein Sommermärchen promotet, das vielleicht toll wird, eventuell überragend, aber am Ende vielleicht doch nur ein Sommermärchenchen ist.

„Der Druck ist enorm“, sagt Shelley Thompson, „aber ich hoffe, dass es kein beklemmender Druck ist, sondern ein befreiender.“ Thompson ist Pressechefin des WM-Standortes in Leverkusen. Sie spielt in der Bundesliga für Bayer und hat sogar einmal zwei Länderspiele im deutschen Nationalteam gemacht. Als Insiderin weiß sie, dass es schon ein Riesenerfolg ist, wenn Spielerinnen vor 20.000 Zuschauern kicken – und nicht vor fünfhundert wie in der Liga. „Ich hoffe, dass der Frauenfußball in den kommenden Wochen vieles bestimmt, aber eine Ähnlichkeit mit 2006 ist nicht hinzubekommen“, sagt sie.

Egal, mit wem man mit diesen Tagen spricht, alle warnen vor einer zu großen Erwartungshaltung. DFB-Chef Zwanziger bittet darum, „die Dinge immer realistisch zu sehen“. Vergleiche mit 2006 seien nicht zulässig, „dieses Turnier ist, bei aller Wertschätzung, ein Entwicklungsturnier, eine Station“. Zwanziger hat Angst, den Ansprüchen nicht gerecht zu werden, wie so viele im DFB und Organisationskomitee. Erst hat man das Turnier groß geredet. Nun wird fleißig abmoderiert. Auch Shelley Thompson ist vorsichtig geworden.

„Hauptsache, sie kommen überhaupt“

Die 27-Jährige weiß, dass Leverkusen eigentlich noch nicht bereit ist für die ganz große Frauenfußballshow. Trotzdem versucht sie in der Chemiestadt alles, „um die Sportfans zu emotionalisieren und die WM zu thematisieren“ – mit einem „NRWM-Fest“, mit kostenlosem Eintritt, mit Hüpfburgen und Lockangeboten für Familien, mit Kim Wilde und Christina Stürmer. Man bemüht sich sehr, aber ob die Leute aus echtem Antrieb oder doch nur aus Wohlwollen und Neugier kommen, ist offen. „Hauptsache, sie kommen überhaupt“, sagt Thompson.

In Leverkusen spielen weder das DFB-Team noch Brasilien oder die USA. Hier spielen Kolumbien und Mexiko. Da bekommt man die Arena nicht voll, nicht einmal 80 Prozent Auslastung wird erreicht werden. „Zwei Spiele sind mitten in der Woche um 15 Uhr“, sagt Thompson entschuldigend. Gratiskarten, wie sie bei Frauenfußball-Länderspielen gerne mal verteilt werden, wird es nicht geben. „Das würde den Wert dieser WM schmälern“, sagt Ulrike Brade vom Organisationskomitee. Sie nehme das Wörtchen „Sommermärchen“ jetzt nur noch „sehr selten“ in den Mund, gesteht sie. „Frauenfußball ist eine eigene Sportart, und diese WM ist ein eigenes Event.“ Von der Bedeutung her müsse man das Turnier eher mit Tennis oder Männer-Handball vergleichen.

Die Zahlen geben ihr Recht. Bei 21 Millionen Euro liegt der Etat dieser WM, 2006 standen dem Organisationskomitee 430 Millionen zur Verfügung. 16 Teams streiten heuer um den Titel, damals waren es 32. Vor fünf Jahren schmückte sich ein Land in den deutschen Farben, heute sieht man davon noch nichts. Nur auf das Wetter ist Verlass. Am Montag soll es strahlenden Sonnenschein geben im ganzen Land bei 27 Grad. Und in Augsburg sogar 29.

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