Vernetzung tibetischer Intellektueller: Widerstand aus dem Hinterzimmer

Zu dritt sitzen sie in der Kneipe: Ein Musiker, ein Künstler, ein Student. Ihr Ziel: Mit dem Handy versuchen sie, den tibetischen Widerstand zu vernetzen.

Der Widerstand ist ungebrochen: Exiltibeter in Indien. Bild: reuters

LANZHOU taz Sie sitzen zu dritt im fensterlosen Hinterzimmer einer Kneipe der chinesischen Millionenmetropole Lanzhou und telefonieren. Es sind junge tibetische Männer; ein Musiker, ein Künstler, ein Student. Mit dem Handy suchen sie den Kontakt zu den Klöstern außerhalb der Stadt, die von der Militärpolizei umzingelt sind. Sie vernetzen den tibetischen Widerstand.

Ciren Wangdui*, der Student, hat es aus einem tibetischen Steppendorf in der Provinz Sichuan bis an die Universität der Minoritäten von Lanzhou in der Provinz Gansu geschafft. Sein Vater besitzt 200 Yaks, außerdem Pferde und Schafe. Ciren trägt schulterlanges glattes Haar und eine schwarze Nike-Sportjacke. Er ist einer von nur drei jungen Leuten aus seinem Dorf, die studieren. Er gehört zu einer vom chinesischen Bildungssystem geförderten tibetischen Elite, ist Mitglied der Kommunistischen Partei und studiert Sinologie, um Übersetzer zu werden. Doch jetzt macht er etwas ganz anderes. Am 16. März fanden an seiner Universität die bislang größten Studentenproteste des seit zwei Wochen andauernden tibetischen Aufstands statt. Ciren machte mit und will nun im Namen seiner Kommilitonen Kontakt zu buddhistischen Mönchen aufnehmen, die den Aufstand anführen.

Duoji Cidan, der Musiker, will ihm dabei helfen. Er stammt von der weiten Hochebene der Provinz Qinghai. Er trägt ein kleines Amulett am Hals, Khakihosen mit Fußballaufnähern und rote Stiefel. Er ist nie richtig zur Schule gegangen, half seinem Vater, Weizen und Gerste anzubauen. Mit 18 Jahren verließ er das Elternhaus, wanderte viele Kilometer zu Fuß zum Potala-Palast nach Lhasa, der Hauptstadt der Autonomen Region Tibet. Dort verdingte er sich als Nudelbäcker. Später zog er als Sänger tibetischer Hirtenlieder mit seiner Mandoline durch China. Auf dem Weg ließ er kein tibetisches Kloster aus. Er ist der Typ, der überall Freunde hat, auch in der Kreisstadt Xiahe südlich von Lanzhou. Xiahe ist Sitz des Labrang-Klosters, das im tibetischen Buddhismus den zweiten Rang nach dem Potala-Palast einnimmt. Dort fand am 15. März die erste große Demonstration von Mönchen außerhalb von Lhasa statt. Doch seither ist das Kloster von der Polizei abgesperrt.

Xijia Cunren, der Künstler, hat die beiden anderen zusammengebracht. Er hat lange Locken, trägt Kapuzenpulli und Jeans und kommt aus einem der tibetischen Dörfer in Südgansu nahe dem Labrang-Kloster. Er kellnerte für Touristen, bis er vor einem Jahr den Anschluss an eine Künstlergruppe in Lanzhou fand. Von zu Hause hört er, dass die Dorfbewohner alle Angst hätten und ihre Häuser nicht verließen. Die Lage in Gansu sei nicht anders als die in Lhasa, wo die Militärpolizei in allen Straßen Posten bezogen habe, sagt er. Dabei freut er sich, dass die Tibeter "endlich was losmachen".

Die drei halten die Tür ihres Hinterzimmers geschlossen und weisen die chinesische Bedienung an, vor dem Eintreten zu klopfen. Sie bestellen grünen chinesischen Tee. Dann rufen sie mit ihren Handys Freunde und Bekannte der Mönche vom Labrang-Kloster an. Sie wollen sich über die politischen Forderungen der Mönche informieren und sie an die Universität weitertragen.

Einfach ist das nicht. Die Mönche nehmen nur Anrufe von engen Vertrauten entgegen. Duoji kennt die Labrang-Mönche aber nur flüchtig, und Xijia kennt nur die Mönche aus den Dorfklöstern in seiner Heimat. Stundenlang telefonieren sich die beiden die Finger wund, während Ciren zuhört. Doch am Ende klappt es, ein Mönch aus dem Labrang-Kloster ist am Apparat. Er will aber zunächst einen Beweis dafür, dass er Duoji vertrauen kann. Dem fällt die Geschichte seiner Wanderung in Richtung Indien ein. Er wollte zum Dalai Lama, wurde aber im Himalaja von der chinesischen Grenzpolizisten geschnappt und ins Gefängnis gesteckt. Er erzählt dem Mönch Einzelheiten seiner Gefängniserfahrung. Das genügt.

Der Mönch fasst Vertrauen und nennt die Forderungen seines Klosters. Seine Stimme klingt hell und klar durch Duojis winziges Mobiltelefon der chinesischen Marke Bird. Der Mönch verlangt die Rückkehr des Dalai Lama und die Unabhängigkeit Tibets. Die Tibeter besäßen eine lange Geschichte, eine großartige Kultur, eine eigene Sprache und damit die Grundlagen für einen eigenen Staat. Das tibetische Territorium soll unter tibetische Kontrolle gestellt werden. "2008 ist unsere letzte Chance. Die Tibeter müssen die chinesische Fahne einholen und ihre eigene Fahne hissen", sagt der Mönch und erwähnt noch, dass das Kloster von Polizei umstellt sei, aber das religiöse Leben der Mönche weitergehe. Viele Mönche befänden sich in Haft. Er warnt, dass die Handygespräche aufgezeichnet würden. Das Kloster wolle sich aber so weit wie möglich Gehör verschaffen.

Ciren ist gerührt. Er beginnt zu weinen. "Die Mönche denken alle gleich, ob in Lhasa, Xiahe oder anderswo. Sie geben alles für die tibetische Sache", sagt er.

Genau darin liegt das Problem der chinesischen Regierung. Rasend schnell hat sich der Aufstand von Lhasa aus in die Nachbarprovinzen Gansu, Sichuan und Qinghai ausgebreitet. Kein Zufall also, dass Ciren, Duoji und Xijia jeweils aus einer der Provinzen stammen. Obwohl die Tibeter dort nur kleine Minderheiten bilden, befinden sich in diesen Provinzen traditionelle tibetische Siedlungsgebiete und wichtige religiöse Zentren des Lama-Buddhismus. Damit ähnelt die Landkarte des Widerstands den bis heute von der tibetischen Exilregierung im indischen Dharamsala gepflegten Vorstellungen von einem Großtibet. Dieses Tibet hätte eine nur unwesentlich kleinere Fläche als die übrige Volksrepublik China. Und obgleich der Dalai Lama mehrfach - wenn auch nicht immer sehr deutlich - einer solchen Großtibetvision abgeschworen hat, halten viele Tibeter an diesem Ziel fest. Sie verstehen, dass die Labrang-Mönche über der Stadt Xiahe die tibetische Flagge hissen wollen.

Für China aber ist das ein Albtraum. Xiahe und Lanzhou liegen in der geografischen Mitte des heutigen China. Die Entfernung von Lanzhou nach Peking ist geringer als die nach Lhasa. Die über die Provinz Tibet hinausgehenden territorialen Forderungen erklären einen Teil der Härte, mit denen die chinesische Regierung den Aufständischen begegnet. Dieser Konflikt erklärt ebenso die Unbeugsamkeit der tibetischen Mönche und Studenten. Ihnen geht es längst um mehr als die vom Dalai Lama geforderte Autonomie und Religionsfreiheit. Sie fordern ihren eigenen großen Staat. Die Revolte und ihre Niederschlagung hat ihre Forderungen radikalisiert.

"Der Dalai Lama will Frieden. Das ist wunderbar, aber es ändert nichts", sagt Zhaxi Duoji. Er spricht Englisch, damit ihn auf dem Universitätsgelände von Lanzhou niemand versteht. Er sieht sich vor, dass er nicht verfolgt wird. Tagelang war die Uni von Militärpolizei umstellt. Die Studenten hatten Ausgehverbot, nachdem sie eine traditionelle tibetische Mahnwache für die Opfer den Unruhen von Lhasa im Park der Universität abgehalten hatten. Zweitausend Studenten nahmen abwechselnd teil. Drei Tage sollte die Wache dauern, nach 24 Stunden griff die Universitätsleitung ein und schickte die Studenten zurück in ihre Wohnheime. Doch die Bilder von dem bisher einmaligen tibetischen Studentenprotest vor brennenden Kerzen gingen um die Welt. Nun herrscht wieder weitgehend Normalbetrieb, doch die Polizei patrouilliert auf dem Campus.

Zhaxi schaut ständig über seine Schulter und will er erst einen Platz finden, an dem er unbeobachtet reden kann. Hinter Garküchen und kleinen Hütten findet er einen Abort im Freien. Er schaut sich nach einer sauberen Ecke um. Es gibt keine. Er geht weiter entlang einer Eisenbahnstrecke. "Wir müssen kämpfen. Sonst ist zu spät. Die Chinesen erdrücken uns", sagt Zhaxi. Nach den Olympischen Spielen könne China nur noch dominanter werden und die tibetische Kultur noch weniger respektieren.

Er ist das Kind von Bauern aus dem Kreis Aba in Sichuan nahe der Provinzgrenze mit Gansu. Dort gab es am 16. März heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften. Erstmals räumte anschließend die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua ein, dass Polizisten in Aba auf Aufständische geschossen und vier Menschen verletzt hätten. Angeblich aus Notwehr, weil die Demonstranten Messer benutzt hätten. Doch Zhaxi hat von seinem Vater etwas anderes gehört: Elf Tibeter, darunter zwei Studenten und eine Frau, seien von der Polizei erschossen worden. Zhaxi kennt auch die Fotos von Leichen, die das exiltibetische Zentrum für Demokratie und Menschenrechte (TCHRD) im Internet verbreitet und bei denen es sich um die Toten von Aba handeln soll. Von 15 Todesopfern ist die Rede, und Zhaxi glaubt seinem Vater und dem TCHRD.

Einer seiner sechs Brüder verdient in den USA so viel, dass er ihm das Studium finanzieren kann. Ein anderer studiert in Indien mit einem Stipendium der Exilregierung. "Die Jungen aus meinem Dorf wollen nicht mehr Mönch werden, sondern studieren. Sonst haben sie keine Chance", sagt Zhaxi. Ihn ärgere, dass Tibet still stehe, während sich China entwickele. "Der Glaube ist für mich unwichtig, ich kämpfe für Freiheit, damit wir die Dinge in Tibet ändern und unsere eigenen Entscheidungen treffen können", sagt er.

Zhaxi repräsentiert eine neue, weltliche Elite der Tibeter, der man bisher vor allem in den USA, Europa und Indien begegnet. Man hätte annehmen können, dass Leute wie er sich im boomenden China besser als andere zurechtfinden. Doch Zhaxi sagt, er habe keine chinesischen Freunde. Die Chinesen würden von Freundschaft reden und etwas anderes tun.

Solche Worte lassen für die nächsten Wochen bis hin zu den Olympischen Spielen in Peking wenig Kompromissmöglichkeiten erahnen. Studenten und Mönche pflegen ihre Maximalforderungen. Einen chinesischen Dialogpartner haben sie ohnehin nicht und bewegen sich in einem von der Polizei beschatteten Netzwerk privater Kontakte. Das verstärkt noch ihre Angst und Aggressivität.

Zumal niemand in China ihnen eine Hand ausstreckt, nicht einmal die Kritiker der Kommunisten. "Der Dalai Lama ist ein Clown. Ich bin empört über die tibetischen Unruhestifter", sagt die Pekinger Modedesignerin Feng Ling. An anderen Tagen kann man mit ihr über Demokratie und Menschenrechte gut reden. Jetzt ist sie genervt: "Das ist doch alles raffiniert kalkuliert, damit China vor den Olympischen Spielen einen schlechten Eindruck macht." Sie findet, dass die Regierung auf die tibetische Revolte vernünftig und zurückhaltend reagiert habe.

Ähnlich denkt Shang Dewen, ein emeritierter Professor der Peking-Universität, der sich seit Jahren als radikaler Demokratiebefürworter in der KP einen Namen gemacht hat. "Es fand diesmal kein Massaker statt", betont Shang. Er lobt zwar den Dalai Lama für seine begrenzte Autonomieforderung, sieht ihn aber in einem Umfeld von radikalen Unabhängigkeitsbefürwortern Tibets, die aus seiner Sicht hinter den Unruhen stecken. Er rät der Regierung, mit dem Dalai Lama zu verhandeln. Allerdings solle sie es nicht jetzt, nicht unter dem Druck der Revolte tun.

Umso ungestörter kann die Staatsmacht ihre Strafaktionen gegen die Aufständischen fortsetzen. Niemand weiß, was die Militärpolizei mit den Mönchen in ihren Klöstern vorhat, wie sie reagiert, wenn die tibetischen Studenten noch einmal protestieren. Unklar sind aber auch die Gegenstrategien der Tibeter. Die Rede ist von Hungerstreiks und militanteren Aktionen wie Selbstverbrennungen. Eine Befriedung des Konflikts vor den Olympischen Spielen ist nirgends in Sicht.

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