Verschärfungen beim Bürgergeld: Irgendwie mehr Härte
SPD und Union haben sich auf Grundzüge der Bürgergeldreform geeinigt. Entscheidende Details sind noch unklar. Sicher ist: Arme bekommen mehr Probleme.

Was Friedrich Merz (CDU) und Bärbel Bas (SPD) als politische Einigung zum Bürgergeld vorstellen, dürfte vielen Betroffenen in Zukunft ebenfalls schlaflose Nächte bereiten: Vor allem sollen die Jobcenter in Zukunft wieder schnellere und härtere Sanktionen verhängen. Es werde eine neue „Grundsicherung“ geben, „das Thema Bürgergeld wird damit der Vergangenheit angehören“, so der Kanzler. Es abzuschaffen, war eine zentrale Wahlkampfforderung der Union gewesen.
„Wir fördern Arbeit statt Arbeitslosigkeit“, sekundierte Arbeitsministerin Bärbel Bas und klang dabei ähnlich wie einst SPD-Kanzler Gerhard Schröder, als der vor 22 Jahren zur Agenda-Rede ansetzte. Das Paradoxe: Die Hartz-Reformen entfremdeten viele Wähler:innen der SPD. Mit dem Bürgergeld wollte man Hartz IV und die Agenda-Politik endgültig hinter sich lassen. Stattdessen verfing bei vielen SPD-Wähler*innen die von der Union vorangetriebene Kritik am „bedingungslosen Grundeinkommen“, einige sehen das Bürgergeld inzwischen als den zentralen Grund für den Verlust des Kanzleramts.
Nun also die Rolle rückwärts.
Dabei ist trotz der nächtlichen Verhandlungen nicht alles klar. Das Beschlusspapier der Koalitionsspitzen lässt entscheidende Details offen. Manche Aussagen von Merz und Bas widersprechen sich entweder – oder dem, was sie eigentlich schwarz auf weiß vereinbart haben. Auch Nachfragen der taz bei mehreren Beteiligten im Laufe des Tages blieben ohne klare Antworten.
Empfänger*innen von Bürgergeld werden künftig härter behandelt – aber wie hart es genau wird, klärt sich erst, wenn in den nächsten Wochen die Gesetzesänderungen konkret ausformuliert werden. Einzelne Regelungen könnten später auch noch gerichtlich überprüft und zurückgenommen werden – denn das Bundesverfassungsgericht hat für Sanktionen schon vor Jahren enge Grenzen gesetzt.
Fest steht – und das lässt auch das Grundgesetz zu: Wer gegen Regeln verstößt, wird in Zukunft schon bei der ersten Sanktion 30 Prozent seines Regelbedarfs verlieren. Statt 563 Euro, die einem Erwachsenen derzeit zustehen, gibt es dann vorübergehend nur noch 394 Euro im Monat. Im Hartz-IV-System fielen die Einstiegssanktionen schon einmal so hoch aus. Die Ampel führte mit dem Bürgergeld dagegen ein Stufenmodell ein, indem erst 10, dann 20 und erst danach 30 Prozent wegfallen. Diese Zwischenschritte will Schwarz-Rot definitiv streichen.
In bestimmten Fällen soll es auch über die 30 Prozent hinausgehen. Zum einen bei Menschen, die unentschuldigt nicht zu Terminen im Jobcenter erscheinen. Erscheint jemand dreimal hintereinander nicht, so das Papier, werden „die Geldleistungen komplett eingestellt“. Beim vierten Mal wird sogar die Übernahme der Wohnkosten „reduziert“ (so Bas) beziehungsweise „komplett eingestellt“ (Beschluss). Im Zweifel also: Kein Geld mehr für Essen und Miete.
Aus der Praxis ist bekannt, dass häufig psychisch Kranke ihre Termine verpassen. Nicht zwingend, weil sie nicht wollen, sondern weil sie nicht können. Eine Härtefallregelung soll laut Koalition solche „Gründe für das Nichterscheinen“ berücksichtigen. Zur genauen Ausgestaltung gibt es aber noch keine Angaben. Auch nicht dazu, ob die gekürzten Leistungen für die Betroffenen definitiv verloren sind – oder ob nachgezahlt wird, sobald doch noch ein Termin zustande kommt.
Zum anderen sind 100-Prozent-Sanktionen geplant, sofern „der Leistungsberechtigte die Arbeitsaufnahme verweigert“. Schon die Ampel hatte diese Möglichkeit eingeführt, wegen der Vorgaben des Verfassungsgerichts aber nur im Wiederholungsfall und unter weiteren strengen Bedingungen. In der Praxis kommt es bislang extrem selten vor, dass der Regelsatz komplett gestrichen wird, weil der Betroffene eine Stelle ablehnt.
In der schwarz-roten Einigung ist nun nicht mehr von Wiederholungsfällen die Rede. Möglicherweise fällt der Regelsatz künftig also schon weg, wenn ein einziges Arbeitsangebot ausgeschlagen wird, obwohl das Jobcenter es als zumutbar einstuft. Merz zufolge sollen bei „dauerhafter Verweigerung“ auch hier die Unterkunftskosten gestrichen werden. Im Beschlusspapier ist an der Stelle hingegen nur davon die Rede, dass die Miete direkt an die Vermieter umgeleitet wird.
Weitere geplante Änderungen: Wie früher schon bei Hartz IV soll in Zukunft der sogenannte Vermittlungsvorrang gelten. Die Jobcenter sollen Menschen also lieber schnell in irgendeine Arbeit vermitteln, statt ihnen die Gelegenheit zur Weiterbildung (und damit die Chance zu besseren Jobs) zu geben. Allerdings wird es Ausnahmen geben. „Insbesondere bei den unter 30-Jährigen sollte eine Qualifizierung Vorrang haben“, heißt es im Papier. Wie großzügig diese Ausnahmen werden: offen.
Definitiv wegfallen wird die Karenzzeit, in der Personen ein Vermögen von 40.000 Euro behalten und trotzdem Bürgergeld erhalten dürfen. Diese Regelung war erst in der Coronazeit eingeführt worden. In der Praxis betrifft das laut Studien aber verhältnismäßig wenige Menschen. Zum Teil will Schwarz-Rot auch die Karenzzeit bei den Wohnkosten streichen: Bislang wird zu Beginn des Bürgergeldbezugs gar nicht geprüft, ob sie angemessen sind. Nun soll eine gewisse Grenze eingezogen werden. Details: auch hier unklar.
Neben all den Streichungen und Verschärfungen hält sich die SPD zugute, dass nicht alles schlechter werde. So stellte Bas am Vormittag heraus, dass weiterhin zu Beginn des Bürgergeldbezugs ein Kooperationsvertrag zwischen dem Jobcenter und dem Bedürftigen geschlossen wird – nach wie vor „auf Augenhöhe“, wie es die Ministerin ausdrückt.
Es sind solche Punkte, derentwegen es am Donnerstag auch aus dem linken Flügel der SPD Zustimmung zur Einigung gibt. „Das Gespräch mit den Jobcentern bleibt auf Augenhöhe“, sagte etwa Fraktionsvize Dagmar Schmidt. „Die Sanktionsregelungen werden zwar verschärft, aber wir achten darauf, dass sie gerecht angewendet werden und nicht die Falschen treffen.“
Teils vernichtende Kritik kommt dagegen von anderer Stelle. „Das ist menschlich hart und kalt“, sagte Grünen-Fraktionschef Katharina Dröge zu den Sanktionsplänen. Als „absolut menschenunwürdig“ kritisiert die Fraktionsvorsitzende der Linken, Heidi Reichinnek, gegenüber der taz „die Zerschlagung“ des Bürgergelds, die zudem wenig brächte: „Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dieser Druck, der durch die Verschärfung der Sanktionen aufgebaut wird, Menschen nicht in gute Arbeit bringt.“
Verdi-Chef Frank Werneke sprach von „falschen Signalen“ durch „Sanktionsverschärfungen, bis an die Grenzen dessen, was verfassungsrechtlich zulässig“ ist. Der Kinderschutzbund warnte davor, dass von Sanktionen gegen Eltern immer auch deren Kinder betroffen seien, obwohl diese keine Schuld an Regelverstößen trügen. „Die Pläne der Bundesregierung, Sanktionen bis zur Streichung der Unterstützung zur Unterkunft möglich zu machen, sind eine Katastrophe für diese Kinder und Jugendlichen“, sagte Geschäftsführer Daniel Grein.
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