Versorgungsengpässe in Hamburg: Ärzte jetzt auch für arme Kinder

Sechs neue Kinderärzte sollen sich in Hamburg ansiedeln. Ob das ausreicht, um die Versorgungs­engpässe in einigen Stadtteilen zu beheben, ist fraglich.

Ein Arzt hört ein Kind ab.

In manchen Hamburger Stadtteilen ein seltenes Bild: Kinderarzt bei der Arbeit Foto: dpa

HAMBURG taz | Hamburg bekommt sechs zusätzliche Kinderärzte. Das hat die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg (KVH) vergangene Woche bekannt gegeben. In den Bezirken Bergedorf, Mitte, Nord und Harburg wird jeweils ein neuer Arztsitz genehmigt, auf die sich die sechs Ärzte dann verteilen. Im Frühjahr hatte die KVH einen Sonderbedarf in diesen Bezirken festgestellt – obwohl die Stadt insgesamt als „überversorgt“ gilt, zumindest statistisch gesehen.

Hamburgweit praktizieren 172 Kinderärzte. Das ergibt aktuell einen rechnerischen Versorgungsgrad von 119 Prozent. Trotzdem quellen die Wartezimmer über. Viele Praxen nehmen keine neue Patienten auf. Vor allem in den nun mit zusätzlichen Arztsitzen versehenen Bezirken hatten Ärzte über die zu hohe Belastung geklagt.

Klaus-Jochen Gunßen ist seit 1991 Kinderarzt in Harburg. Jeden Tag müsse er in seiner Praxis Eltern ablehnen, die mit ihren Kindern vorbeikommen, sagt er. „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Situation so gravierend gewesen ist, seit ich praktiziere.“

Dafür sieht der Arzt mehrere Gründe. Wegen psychosozialer Probleme sei der therapeutische Bedarf bei Kindern mittlerweile viel höher. „Aber auch die Hilflosigkeit der Eltern nimmt zu“, sagt er. „Manche kommen drei Mal die Woche in die Praxis, oft nur wegen Kleinigkeiten.“ Ob sich die Situation durch die neu geschaffenen Sitze verbessert, müsse sich in den nächsten Monaten erst noch zeigen.

Hamburgweit liegt die Kinderarzt­versorgung bei 119 Prozent, aber die Verteilung auf die Bezirke passt nicht

Der Gesundheitspolitiker Deniz Celik von der Linken-Bürgerschaftsfraktion hält die vier neuen Kinderarztsitze für „einen Tropfen auf den heißen Stein“. Er macht unter anderem die Versorgungsstruktur für die fehlende Abdeckung verantwortlich. Viele Ärzte würden sich eher da ansiedeln, wo es viele Privatpatienten gibt. Das ist gerade in kinderreichen Bezirken oft nicht der Fall. Und auch die überregionale Bedarfsplanung, die im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) lediglich für ganze Städte festgelegt wird, bilde nicht die Realität ab. „Die Versorgung könnte viel zielgerichteter gesteuert werden, wenn sie sich nach den Bezirken richten würde“, sagt er.

Auch Jochen Kriens von der KVH kritisiert die Bedarfsplanung. In den 90er-Jahren sei relativ willkürlich ein Status Quo für den Versorgungsgrad festgesetzt worden. Von da an sei dieser immer wieder als Grundlage für aktuelle Berechnungen genutzt worden. „Wissenschaftlich steht die Planung auf wackeligen Füßen“, sagt er. Kriens hofft auf Besserung dadurch, dass der G-BA die Bedarfsplanung aktuell überarbeitet.

Analyse einzelner Bezirke

Im Vorgriff darauf hatte die KVH eine Analyse der einzelnen Bezirke vorgenommen. Auf deren Grundlage hat sie nun die vier neuen Arztsitze genehmigt. Die Studie hatte nicht nur ergeben, dass die Zahl der Kinder zwischen null und sechs Jahren gewachsen ist, sondern auch, dass Kinderärzte mittlerweile mehr Zeit pro Kind benötigen.

Sarah Strohkamp von der KVH hat Anfang des Jahres die einzelnen Bezirke untersucht. Um herauszufinden, wo ein erhöhter Bedarf besteht, hat sie die Abrechnung der U3-Untersuchung durch die Kinderärzte in allen Bezirken geprüft.

Bei der U3 werden Neugeborene zum ersten Mal untersucht, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden sind. Weil ihnen Kapazitäten fehlen und sie keine neuen Patienten mehr aufnehmen können, rechnen viele Kinderärzte weniger dieser Erstuntersuchungen ab. Aber das ist nicht der einzige Hinweis auf eine Überbelastung.

Unterversorgtes Billstedt

In Billstedt beispielsweise gebe es „gnadenlos zu wenig Kinderärzte“, sagt Bettina Rosenbusch vom Billenetz, einem Bildungsnetzwerk im Hamburger Osten. Dass im ganzen Bezirk Mitte zwei neue Ärzte dazukommen, werde das Problem nicht lösen, sagt sie.

In Stadtteilen wie Billstedt müssen auch durch die vielen Geflüchteten, die dort leben, mehr Kinder zum Arzt. Diese Kinder kommen aber nicht unbedingt zur U3, etwa weil sie gar nicht in Hamburg geboren sind. In der Studie wird das nicht berücksichtigt.

„Auch wenn die Studie nicht ausreicht, um die komplexe kinderärztliche Versorgung abzubilden, zeigt sie, wo zusätzliche Versorgung am nötigsten gebraucht wird“, sagt die Autorin Strohkamp. Die zusätzlich geschaffenen Kinderarzt-Sitze sollen die Aufnahme von Neugeborenen zumindest erleichtern.

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