Verwandte Gespenster: Wettstreit in Düsternis

Ernst Barlach und Alfred Kubin sind sich nie begegnet, aber sie schätzten einander. Die Korrespondenz ihrer Arbeiten zeigt eine Ausstellung in Hamburg

Alfred Kubins Bild "An der Mauer"

Alfred Kubin: An der Mauer. Foto: ©Eberhard Spangenberg, VG Bild-Kunst, Bonn 2015/EBH

HAMBURG taz | Im Herbstnebel werden kahle Äste zu bedrängenden Figuren, Totentage stehen jetzt im Kalender, Gespensterfantasien gehen um. Ganz passend gibt es ähnlich düstere Stimmungen im Ernst-Barlach-Haus zu sehen, dem einzigen Hamburger Kunstmuseum, zu dem man nur mit einem Spaziergang durch den Park gelangt. „Lichte Finsternis“ heißt die Ausstellung, die erstmals das zeichnerische Werk von Ernst Barlach und von Alfred Kubin thematisch gegenüberstellt. Vorgeführt in Licht und vor allem Schatten wird dabei eine besondere Verwandtschaft im künstlerischen Verständnis.

Das mag überraschen, denn der Norddeutsche Barlach, geboren 1870 in Wedel, gestorben 1938 in Rostock, und der Österreicher Kubin (1877–1959) haben sich niemals getroffen. Aber sie haben stets mit besonderer Hochachtung voneinander gesprochen und kannten die Projekte des jeweils anderen, insbesondere die Druckgrafik. Eine indirekte Verbindung war auch ihr gemeinsamer Verleger und Freund Reinhard Piper. Schon früh gab es Ausstellungen, in denen Arbeiten von beiden vertreten waren, frühe Barlach-Sammler waren oft auch an Kubin interessiert, in dessen Nachlass wiederum fand sich eine Barlach-Zeichnung.

Private und existenzielle Katastrophen

Vor allem aber ist den beiden Künstlern gemeinsam, dass sie für innere Stimmungen eine äußere Form suchten – eine bestimmende Haltung des Expressionismus. Bleibt die künstlerische Sprache dabei figürlich, ergeben sich fast zwingend symbolisch gesättigte Bildchiffren, eine Welt psychisch bestimmter Traumgesichte, voller Kobolde, Tiermenschen und in fahlem Licht drohend dahin stürmender Pferde. Die Art der bildnerischen Umsetzung privater und existenzieller Katastrophen ist hier wie dort erstaunlich ähnlich, allerdings stammen die vergleichbaren Arbeiten oft aus ganz unterschiedlicher Entstehungszeit.

Ihre Fähigkeit, das Abgründige und Groteske, das Diffuse und Bedrohliche ins Bild zu bannen, mag auch damit zu tun haben, dass beide Künstler ein tiefes Verhältnis zur literarischen Formulierung hatten: Beide traten auch als Autoren von Dramen und Romanen hervor, Kubin war ein herausragender Illustrator der großen Schauergeschichten E.T.A. Hoffmanns oder Edgar Allen Poes.

Entlastender Horror

Bei allem Beschwören von Ängsten und Bedrohungen, gar des Weltuntergangs, ist doch oft eine feine ironische Distanzierung zu spüren, ein mehr oder weniger starker Sarkasmus, der bis ins Humoristische umkippen kann – allzu schrecklich dargestellte Monster entlasten ja die Psyche, treiben die Angst in die Komik: Kubin hat auch für die Münchner satirische Wochenzeitschrift Simplicissimus gearbeitet.

Auch vom eher ernsten Barlach gibt es höchst skurrile, selten gezeigte Motive: Die Kohle-Zeichnung „Gefäß“ von 1902 zeigt ein großes, völlig verrücktes Suppen-Terrinen-Tier, auf dem reichlich klein sich ein Liebespaar lümmelt – das Ganze nicht als verwaschene Traumvision dargestellt, sondern präzise wie ein Design-Objekt. Ziemlich unernst ist auch der Plaketten-Entwurf zur Einweihung des neuen, von Kaiser Wilhelm II. mit entworfenen Hamburger Hauptbahnhofs 1906, bei dem die Bahngleise wie fauchende Drachen-Schlangen daherkommen.

Das grausamste aller Tiere

Doch bis auf die wie in betrunkener Seemannsfantasie rotglühende Monsterkrake in Kubins „Unterseestück“ (1906) zeigt die durchgängig schwarz-weiße Ausstellung überwiegend Angstschreie und verendete Tiere, abgeschlagene Köpfe, Hexen, Furien, ermordete Frauen und Todesträume aller Art: Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts mit seinen Katastrophen und Kriegen und der nationalsozialistischen Kunstverfolgung gab genug Anlass zu grauenhaften, kaum zuversichtlichen Visionen. Und bei all den seltsamen Misch-und Rätselwesen, den öden, existenzialistisch leeren oder den von Phantasmen angefüllten Orten, scheinen beide Künstler immer wieder kritisch darauf zu verweisen, dass all diese Erscheinungen nur Facetten des rätselhaftesten und grausamsten Wesens überhaupt sind: des Menschen.

Die Ausstellung beruht auf einer Zusammenarbeit mit der Ernst Barlach Stiftung Güstrow und dem Oberösterreichischen Landesmuseum in Linz, das den größten Teil des Kubin-Nachlasses besitzt. Durch den unterschiedlichen Umgang mit grafischen Blättern in den verschiedenen Institutionen ergibt sich, dass die 80 Arbeiten in den 13 thematischen Kapiteln sofort zuzuordnen sind: Die Blätter von Ernst Barlach sind braun gerahmt, die von Kubin weiß – so ergibt sich Museumsdidaktik durch Zufall.

Eine hochkarätige Neuerwerbung

Einmal mehr durchdringt die Sonderausstellung die Präsentation der Skulpturen aus dem Bestand des Hauses. Doch diesmal werden auch Stammbesucher und Kenner überrascht sein: Da gibt es eine hochkarätige Neuerwerbung. Die Skulptur „Weinende Frau“ von 1923 war im US-amerikanischen Privatbesitz und kann aufgrund der großzügigen Stifter des Barlach Hauses erstmals seit 85 Jahren wieder in Deutschland einer größeren Öffentlichkeit gezeigt werden.

Mit dem den ganzen Körper verhüllenden Gewand ist sie die am stärksten abstrahierende Skulptur Barlachs. Die 76-cm-Figur aus dunkel eingefärbtem Eichenholz hat im Rundgang unter einer kleinen Oberlichtkuppel einen prominenten Platz erhalten: Betont wird besonders die markante Seitenansicht und ein zwischen angewinkelt erhobenen Armen, Hüfte und Knien sich zeigender, geometrisch aufgefasster, tiefer Keil.

„Lichte Finsternis. Alfred Kubin und Ernst Barlach“: bis 10. Januar 2016, Ernst Barlach Haus, Jenischpark, Hamburg

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