Video der Woche: Einstürzende Niedlichbauten

Kann man Kohlekraftwerke lieben? Ja. Aber nur, wenn sie Augen haben und so hinreißend animiert sind, wie in dem Viral-Spot eines englischen Ökostromanbieters.

Es war einmal ein Schornstein, der lebte glücklich bis ans Ende seiner Tage. Was sehr bald der Fall war. Bild: screenshot: youtube

Es ist ein schöner Tag in Grüne-Wiesen-Land. Die beiden Kohlekraftwerktürme sind gerade aufgewacht, lächeln freundlich in die Sonne und freuen sich auf ihren Frühstückstee. Doch was ist das? Auf einmal rumpelt und pumpelt es. Die Türme werden gesprengt, zu Klängen aus Mozarts "Hochzeit des Figaro" stürzt erst der linke, dann der rechte ins Verderben. Dramatische Szenen!

Der Mensch hat viel Empathie zu vergeben. Was Augen hat, spricht fast jeden von uns an. Es gibt Blogs, die nichts anderes zeigen als Dinge mit Gesicht, Alltagsgegenstände, die aussehen, als hätten sie Augennasemund. Und notfalls malt man halt Knopfaugen und Schnurrbärte auf Kühltürme und Schornsteine, schwupps, schon können wir sie liebhaben.

Doch Mitleid ist nicht angebracht: "Dump the Big Six" lautet die Botschaft am Ende des Videos. Der Clip, der die digital verzierten Aufnahmen echter Sprengungen von Kraftwerken zeigt, ist Teil einer Viralkampagne des englischen Stromanbieters Ecotricity, der in besonderem Maße auf Strom aus Windkraftanlagen setzt. Inspiriert wurde er von einem animated gif: dem "Sad chimney", den Herman Bailey im Frühjahr 2011 auf der britischen Digital-Arts-Community-Seite b3ta.com einstellte.

Mit den Big Six sind dabei weder die großen Hollywoodstudios noch die Granden der US-Bürgerrechtsbewegung gemeint, sondern die sechs Konzerne, die fast den gesamten britischen Strommarkt beherrschen: British Gas, EDF Energy, E.ON, Npower, Scottish & Southern und Scottish Power. Denen will Ecotricity ein Stück vom Kuchen abjagen und dabei gleich noch was Gutes für die Umwelt tun.

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Wobei Ecotricity selbst nicht auf Gas und Öl verzichten kann: ihr Ökostromanteil stieg 2010/2011 auf gerade mal 54,1 Prozent, als nächstes Ziel will man die 60 Prozent schaffen. Quoten wie bei deutschen Anbietern aus der Lichtblick-Liga sind das noch lange nicht, aber immerhin weit über dem britischen Ökostrom-Anteil von 7,9 Prozent.

Nun kann man sich natürlich fragen, ob es nicht ein wenig bescheuertist, wenn ein Ökostromkonzern ausgerechnet Symbole der Kohlekraftära mit einfachsten Mitteln hinreißend animiert und so zu Sympathieträgern macht. Die übliche Antwort darauf: Nein. Denn wenn es hübsch aussieht, zum Nachdenken anregt und deswegen für ein, zwei Wochen zum Thema im Internet wird, hat man sein Ziel bereits erreicht. So läuft's nunmal, das Viralbusiness.

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