Vierter X-Men-Film: Als wäre er tatsächlich magnetisch

In "X-Men: Erste Entscheidung" werden die zentralen Fragen der 60er Jahre mit Spezialeffekten durchdekliniert. Der Film lässt seinen Figuren Raum zur Entfaltung.

Charismatischer Bösewicht: Michael Fassbender als Magneto. Bild: dapd

BERLIN taz | Es hört sich nach sehr vertrautem Material an: Junge Menschen fühlen sich aus verschiedenen Gründen von der Gesellschaft ausgegrenzt. Unter ihnen wächst der Wunsch, der Diskriminierung etwas entgegenzusetzen. Sie sammeln sich um einen charismatischen Führer, der die Außenseiter als zukünftige Avantgarde anpreist. Doch bald kommt es in der Gruppe zur Auseinandersetzung über die zentrale Frage, wie man die eigenen Ziele am besten durchsetzt.

Mit Kompromissen und Verhandlungen oder mit Taten und Gewalt? Doch nein, hier handelt es sich nicht um die Verfilmung der Civil-Rights-Bewegung von Martin Luther King bis Malcolm X und auch nicht um das x-te Biopic aus dem Baader-Meinhof-Umfeld, sondern um "X-Men: Erste Entscheidung", in dem die Vorgeschichte eines - zumindest in der Comicwelt des Marvel-Universums - berühmten Feindespaares erzählt wird: Wie Professor X und Magneto zu jenen erbitterten Gegenspielern wurden, die man aus den ersten drei "X-Men"-Filmen in der Verkörperung von Patrick Stewart und Ian McKellen kennt.

Das Zeitgeist-Echo des 20. Jahrhunderts samt Fortschrittsglaube und Technikphobie, Verschwörungstheorien und Revolutionsängsten gehört zu den interessantesten Aspekten der Superhelden-Verfilmungen, die als Genre die Herrschaft über das Blockbusterkino übernommen haben.

Kampf gegen Rassismus, Faschismus und Atomrüstung

Von der schier erdrückenden Masse oft allzu gleichförmiger Spektakel hebt sich "X-Men: Erste Entscheidung" jedoch durch eine ganze Reihe von Eigenschaften angenehm ab. Die starken Bezüge zum Zeitgeist der 60er mit ihrem Kampf gegen Rassismus, Faschismus und Atomrüstung und der daraus folgenden Auseinandersetzung über die Legitimation von Gewalt gehören dazu.

Wie der erste "X-Men"-Film aus dem Jahr 2000 beginnt "X-Men: Erste Entscheidung" mit einer für Comic-Verfilmungen irritierend konkreten Zeit- und Ortsangabe: 1944 in einem polnischen Konzentrationslager. Dort muss der junge Eric Lehnsherr erleben, wie seine Mutter von ihm weggerissen wird, während seine Fähigkeit, telepathisch Metall anzuziehen, einem experimentierfreudigen KZ-Arzt ins Auge fällt.

Es ist das Trauma, das den späteren Magneto zu dem bekannt ambivalenten und komplexen Bösewicht machen wird. Doch davor setzt "Erste Entscheidung" noch ein anderes einschneidendes Ereignis des 20. Jahrhunderts: die Kuba-Krise vom Oktober 1962. In deren Vorfeld nämlich schart der gerade zu akademischen Würden gekommene Charles Xavier (James McAvoy) eine Gruppe junger Mutanten um sich, um die CIA im Kampf gegen das Böse zu unterstützen. Dabei lernt er auch Eric (Michael Fassbender) kennen, der sein engster Verbündeter wird. Für einen Moment sind sie das "winning team".

Die Figuren entwickeln sich

Gleich in zweifacher Hinsicht sind die Wege, die das Drehbuch zu gehen hat, vorgegeben. Auf der einen Seite gibt es da die historischen Ereignisse mit ihrem Showdown zweier schwer bewaffneter Flotten auf dem Meer vor Kuba, auf der anderen die durch die Comic-Vorlage gesetzte Zukunft, in der aus Charles Xavier ein Glatzkopf im Rollstuhl wird und aus Eric Lehnsherr ein Verführer mit einem seltsamen Helm. Und trotz dieser Vorhersehbarkeit kommt "Erste Entscheidung" frischer, überraschender und weniger redundant daher als etwa "Thor", die Superheldenverfilmung des letzten Monats.

Letzteres liegt vor allem daran, dass sich der Film den Luxus leistet, seinen Figuren Zeit für ihre Entfaltung zu lassen. Während die Gruppe der Jungmutanten von "Biest" bis "Banshee" sich in Einzelnummern präsentieren darf, liegt der Schwerpunkt des Films ganz bei Charles und Eric, den auf faszinierende Weise inkompatiblen Freunden. Der eine, aus privilegiertem Hause stammend, weiß durch selbstbewussten Charme Menschen an sich zu binden. Den anderen dagegen prägt die eiserne und einsame Entschlossenheit des früh traumatisierten Kindes.

Die Schauspieler fügen dieser spannenden Konstellation noch eine Dimension hinzu: McAvoy verleiht seinem Professor X etwas fast anrührend Jungenhaftes; Fassbender als zwischen tiefer Verletzung und Größenwahn schwankender Magneto zieht bei seinen Auftritten die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich, als wäre er tatsächlich magnetisch. Selten wurde der Konflikt zwischen dem langen Marsch durch die Institutionen und dem Gang in den Untergrund melodramatischer dargestellt.

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