Volksbegehren startet: Mieten interessieren alle

Gleich am ersten Tag sammelt das Bündnis Berliner Mietenvolksentscheid mehr als 3.000 Unterschriften. Am Tempelhofer Feld gibt es viel Zuspruch.

Genau darum geht's Bild: dpa

Ob sie mehr wissen wolle, wird sie gefragt. Muss aber nicht sein. „Der Name spricht für sich“, antwortet Kristin Guttenberg. Das grüne Tuch, das sie sich in ihre Haare gebunden hat, flattert im Wind. Entschlossen nimmt sie ein Klemmbrett mit einer Liste in die Hand und trägt ihren Namen ein – eine Unterschrift mehr für die Initiative Berliner Mietenvolksentscheid. Am Samstag begann sie mit dem Sammeln der Unterschriften für die erste Etappe. Ziel ist es, innerhalb der nächsten sechs Wochen 26.000 Unterschriften zu sammeln, 20.000 benötigt man, um ein Volksbegehren einleiten zu können.

Einer der vier Orte, an denen das Bündnis von etwa 20 Gruppen aus der ganzen Stadt am Wochenende um Unterschriften warb, war der Eingang zum Tempelhofer Feld an der Herrfurthstraße. Zwei Tische voll mit Infomaterial und 18 Freiwillige warben um Unterschriften wie die von Kristin Guttenberg.

Ein Bündnis stadtpolitischer Gruppen will parallel zur Abgeordnetenhauswahl im September 2016 einen Mieten-Volksentscheid durchführen. Zu den Initiatoren gehören Kotti & Co ebenso wie Studis gegen hohe Mieten oder die Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau.

Der Gesetzentwurf, den das Bündnis zur Abstimmung stellen will, sieht eine Neuausrichtung der sozialen Wohnungspolitik vor. Sowohl Mieten in den öffentlichen Beständen als auch in den Häusern, die aus der Mietpreisbindung des sozialen Wohnungsbaus fallen, sollen je nach Einkommen gedeckelt werden. Auf private Vermieter bezieht sich das Gesetz nicht, dafür fehlt dem Bündnis auf Landesebene die Handhabe.

Geht es nach den Initiatoren, sollen die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in Anstalten öffentlichen Rechts überführt werden. Dann müssten sie ihre Gewinne nicht mehr an das Land abführen, so das Bündnis. Mieterräte sollen in den landeseigenen Wohnungsunternehmen zudem bei wichtigen Entscheidungen mitbestimmen können. Ein kommunales Neubau- und Ankaufprogramm steht ebenfalls auf der Agenda.

Der Ort – das Tempelhofer Feld – war bewusst gewählt: „Es ist nicht nur eine Reminiszenz an den Volksentscheid des Tempelhofer Feldes, sondern auch an den benachbarten Schillerkiez, der von Mieterhöhungen betroffen ist“, erklärt Rouzbeh Taheri von der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau und Mitglied des Koordinationskreises des Berliner Mietenvolksentscheids. Er engagierte sich auch bei den Initiativen zur Offenlegung der Teilprivatisierungsverträge der Berliner Wasserbetriebe und der S-Bahn. Zuletzt war er für das Tempelhofer Feld aktiv – ein alter Hase im Unterschriftensammel-Business.

Auch Kristin Guttenberg hatte vergangenes Jahr für ein unbebautes Tempelhofer Feld unterschrieben. Die Künstlerin sah damals Frei- und Begegnungsräume bedroht, die nicht dem Konsum dienen, und so sieht sie es auch heute. „In meiner Gegend gibt es immer mehr lebensfremde Läden“, sagt die in Prenzlauer Berg wohnende 42-Jährige. „Läden mit hochklassiger Mode, Luxusartikeln und kaum Räume für soziale Begegnung.“ Das liege an der Mietpreissteigerung, die zu sozialen Veränderungen im Kiez führe. Sie gibt den Stift und das Brett zurück, schwingt sich auf ihr Fahrrad und fährt auf das Tempelhofer Feld.

„Die Leute hören Mieten und unterschreiben“, fasst es Unterschriftensammler Marcus Stein zusammen. Innerhalb der ersten zwei Stunden habe man bereits 500 Unterschriften zusammengehabt, am Samstag waren es laut Angaben des Bündnisses dann an allen Standorten mehr als 3.000. Neben dem Tempelhofer Feld sammelte man noch am Leopoldplatz, in der Frankfurter Allee und am Hermannplatz.

Die Initiatoren des geplanten Mietenvolksentscheids streben eine Abstimmung parallel zur Abgeordnetenhauswahl im Herbst 2016 an. Dafür müssen sie folgende Hürden nehmen:

Damit es zu einem Volksbegehren kommt, müssen in einer ersten Stufe 20.000 Unterschriften von wahlberechtigten BerlinerInnen gesammelt werden. Das passiert seit dem Wochenende. Offiziell handelt es sich um den Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens. Eigentlich sind dafür sechs Monate Zeit. Die Initiativen wollen bereits Ende Mai so weit sein.

Ist der Antrag erfolgreich, müssen in der zweiten Phase, die das Bündnis Anfang kommenden Jahres einleiten will, innerhalb von vier Monaten 3 Prozent der wahlberechtigten BerlinerInnen, etwa 170.000 Menschen, unterschreiben. Klappt auch das, kommt es - sollte das Abgeordnetenhaus das Gesetz nicht übernehmen, wovon nicht auszugehen ist - zum Volksentscheid.

Dabei dürfen alle Wahlberechtigten abstimmen. Der Entscheid ist erfolgreich, wenn eine Mehrheit dafür stimmt und es sich dabei um mindestens ein Viertel aller Berechtigten - rund 620.000 Menschen - handelt.

Dort steht Thommy von Café Reiche, einer Initiative aus der Reichenberger Straße. Er trägt einen goldenen Faschingshut und sieht so aus, als könne man ihn um diese Zeit eher beim Feiern in einem Technoclub treffen als beim Sammeln von Unterschriften. Er hält ein Mikrofon in der Hand und grüßt Passanten auf Arabisch und auf Deutsch, während Mitglieder von Kotti & Co Leute direkt ansprechen. Er sagt: „Wir arbeiten hier, unsere Kinder gehen hier zur Schule – Tausende haben ihre Wohnung verloren.“ Er spricht von Umstrukturierungen, vom Skandal der Wohnungsnot und fordert dazu auf, mit einer Unterschrift „sich selbst zu helfen“.

Ursel Kluve will sich nicht selbst helfen. Mit 81 Jahren sei das für sie nicht mehr relevant. Dennoch ist sie bewusst zum Stand gekommen, sie hatte im Radio von ihm gehört. „Ich unterschreibe für die Kinder und die Armen, für bezahlbare Mieten.“

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