"Vollkommen leblos, bestenfalls tot": Debütroman im Aggro-Stakkato

Bis zum Rand der Verzweiflung – und darüber hinaus: Antonia Baums Debütroman "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" haut rein.

Schlechte Laune, 239 Seiten lang. Bild: joexx / photocase.com

Yep. 239 Seiten schlechte Laune. "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" ist das penible Protokoll einer Provokation, eine im Eiltempo heruntergeratterte Beschwerdeschrift, eine Agonie voller Abneigung und Verachtung: Heiles Familienleben macht keinen Sinn. In ihrem Heimatkaff glücklich werden noch weniger. Also landflüchtet Antonia Baums Heldin, so wie jedes Post-Abitur-Mittelstandskind, getrieben von Sehnsüchten und der Hoffnung auf Besserung der Gesamtsituation, in die Großstadt.

Antonia Baum selbst wurde 1984 im westfälischen Borken geboren, hat Literatur und Geschichte studiert, schreibt für die FAS und den Freitag Kurzgeschichten und Texte. Was schon bei den journalistischen Arbeiten auffällt, sind die sezierende Beobachtungsgabe und die Fähigkeit, die Sätze bis ins Unerträgliche, kaum Auszuhaltende voranzutreiben. Mitunter verspult sie sich auf Romanlänge dabei natürlich in abscheulichen Ausuferungen, speienden Tiraden und spritzenden Gewaltfantasien - aber dennoch ist der Stil, mit dem Antonia Baum zwischen hinterfotzigen Ressentiments und lautem Zorn hin- und herpendelt, nie enervierend oder langatmig. Dieses abstrakte Aggro-Stakkato raubt einem fast die Luft.

Kaum der elterlichen Einöde ent- und in der großen Stadt angekommen, ist es dann der schnieke Patrick, dem die ganze Wut entgegenschlägt. Er bietet Geld und eine Wohnung und Sicherheit - all solch unbrauchbaren Quatsch, den man ganz tief im Inneren irgendwie aber doch braucht, wenn man sich ein wenig naiv da draußen umherbewegt. Gleichzeitig verkörpert er mit seinem konservativen Lebensentwurf vom Reißbrett das genaue Gegenteil vom großen Glück. Und weil einen das alles anekelt, er sowieso wie der eigene Vater und somit hassenswert ist, wird er dann, obwohl man ihn ja eigentlich liebt, ständig betrogen.

Diese Heldin könnte mit ihren Anfang 20 alles haben, alles sein und werden. Aber die ständige Verfügbarkeit der Dinge und die schier unbegrenzten Möglichkeiten treiben sie immer wieder an den Rand der Verzweiflung und verwandeln die eigentliche Freiheit in zwanghafte Abneigung gegen alles und jeden: "Und schließlich ist es mir ein ganz wesentliches Anliegen, im Leben überhaupt nichts mehr zu tun zu haben, ich will nichts mehr tun, nicht mehr tun müssen, das ist mir das Wichtigste, dass ich mehr zum Tun und Sein und Werden vor allem verpflichtet werde, ja, es geht vor allem um meine Werde-Pflicht-Befreiung."

Mit "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" hat Antonia Baum dieser Werde-Pflicht-Generation eine Stimme gegeben. Das alles geschieht mit einem atemberaubenden Tempo, in endlosen Monologen, mit atemberaubender Destruktivität und mit vielen Referenzen an die teilnahmslosen Sex- und Drogenprotokolle der Gegenwartsliteratur.

Mit Querverweisen und verbitterter Note hat Antonia Baum eine Melange aus Misanthropie, Weltunverständnis und Unmut geschaffen. Ein Lichtblick oder ein Schimmern in diesem Moloch aus Tristesse und Weltekel darf man allerdings nicht erwarten. Warum auch? Es ist genau diese heftige Ohnmacht, die einem von der ersten Seite an mit voller Wucht entgegenschlägt, nach der Lektüre mit einem flauen Gefühl zurücklässt und "Vollkommen leblos, bestenfalls tot" zu diesem interessanten Debüt macht.

Antonia Baum: "Vollkommen leblos, bestenfalls tot". Hoffmann und Campe, Hamburg 2011, 240 Seiten, 19,90 Euro

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