Vom Nacktarsch gelöst: Die Mosel ist zurück

Eine Region nutzt ihre Chance: Kulturbewusste Winzer an der Mosel bringen neue Qualität auf den Markt gegen die Gleichmacherei des geschmacksoptimierten Food Designs

Moselfähre Bild: Thomas Max Müller/pixelio.de

Vor einigen Jahren noch schien das Tal fast tot, ein Opfer der Krise des deutschen Weinbaus; durchquert und abgenutzt von einem Tourismus, der seinen Busladungen Moselromantik versprach und Schwof, Alkohol und einen dicken Kopf zu günstigen Preisen lieferte. Den gibt es noch, in manchen Talabschnitten reichlich, aber Schlagzeilen macht inzwischen längst wieder der hiesige Riesling, der sich vom Image und Geschmack des Nacktarschs und des Himmlischen Moseltröpfchens erfolgreich gelöst hat. Qualitätsbewusste Winzer und Weinkolumnisten allein schaffen noch keine Perspektive für die Region. Doch mit dem neu erwachten Interesse an Kulturlandschaften, die heute nicht mehr Burgund und Toskana heißen müssen, wächst die Chance für deren Erhaltung.

Bei allem Gerede vom Rieslingboom zeigt bereits ein Blick auf die Weinberge an der Untermosel, dass es damit nicht allzu weit her ist. Hier liegen Weinberge in bester Lage brach, die Terrassen, auf denen die Rebstöcke standen, verbuschen und die Trockensteinmauern fallen zusammen. Doch auch hier gibt es Enklaven der Qualität, wo die extrem arbeitsaufwendige Terrassenkultur die Landschaft prägt. Unmittelbar hinter dem Ort Winningen erhebt sich eine der Kathedralen der Weinbaukultur.

Die Lagen Uhlen, Röttgen, Brückstück bestehen aus vielfach übereinandergetürmten, atemberaubend verschachtelten Trockensteinmauern. Sie fügen sich zu Terrassen, auf denen zum Teil nur wenige Rebstöcke Platz finden. Monorackbahnen, einfache Zahnradbahnen, führen in Schleifen durch die Hänge und Terrassen. Hier entstehen Weine von internationalem Ruf. Für Qualität und Ruf haben kulturbewusste Winzer gesorgt, die ihre vom Devonschiefer geprägten Weine gegen die Gleichmacherei des geschmacksoptimierten Food Designs gesetzt haben. Die programmatischen Artikel zur Orientierung an der Individualität des Bodens und der Lagen hat der Winzer Reinhard Löwenstein geliefert. Weg vom Öchsle, von der Orientierung am Zuckergehalt der Trauben, hin zum Terroir sollte es gehen, zur Wiedergabe des Authentischen, das den Wein einer bestimmten Lage prägt.

Mit dieser Philosophie sind die Winninger Winzer noch in der Minderheit an der Terrassenmosel, wie sie die zuvor profillose Untermosel treffend getauft haben. Bester Ausdruck für das neue Selbstbewusstsein ist die örtliche Vinothek. Wer nicht nur ab Gut verkauft, sondern den Vergleich mit dem Nachbarn ermöglicht, der weiß offenbar um die Qualität seines Produktes, die sich auch drastischer Ertragsbegrenzung verdankt.

Winnigen zeigt das Potenzial der Terrassenmosel, ist aber nicht repräsentativ. Schon einige Orte weiter leben zwei Drittel der Winzer nur recht und schlecht vom Wein: ein bisschen Straßenverkauf, ein paar Gästezimmer, die Straußwirtschaft und geringer werdende Subventionen. Die Älteren machen weiter, solange es geht, oft ohne Nachfolger. Das Gütersterben ist ein Problem. Was in den Steillagen zusammenbricht, ist zu vertretbaren Kosten kaum wieder zu errichten. Entscheidend wird sein, ob es auf Dauer Konsumenten gibt, die sich dem entziehen können, was Reinhard Löwenstein "die Infantilisierung des Geschmacks durch die Nahrungsmittelkonzerne" nennt.

Weiter oben im Tal wird mit dem Superlativ geworben: Europas steilster Weinberg, der Bremmer Calmont. Iris und Ulrich Franzen stehen für das Projekt des Calmont. Ohne sie wüchse am Berg viel weniger Wein, in den steilsten Lagen fast nichts. Bis vor wenigen Jahren lag der durch Realerbteilung parzellierte Berg hier brach. Die Wiedereroberung des Berges wurde zum Modellprojekt. Mit der Unterstützung von Mitarbeitern des Kulturamtes in Mayen wurden 1,5 Hektar von mehr als 40 Eigentümern zusammengekauft und seit 2003 bestockt. Vorher musste die Wildnis beseitigt, eine Monorackbahn installiert werden.

Was es heißt, im Calmont zu arbeiten, kann nachvollziehen, wer den alpinen Klettersteig an der Bergflanke begeht. Gebahnt und gesichert hat ihn der deutsche Alpenverein samt Steigleitern und Drahtseilen in den senkrechten Passagen. Schwindelfreiheit hilft, vernünftiges Schuhwerk wird dringend empfohlen. Wo der Weg sich erweitert, sind an einigen Stellen Tische und Stühle aufgestellt. Nicht nur die Franzens führen Besucher hierhin. Der Blick auf die Moselschleife mit der Ruine des Klosters Stuben ist atemberaubend.

Personenfähre in Cochem an der Mosel Bild: Thomas Max Müller/pixelio.de

Das Projekt hat Ausstrahlung: Es zeigt, was hier mit Ausdauer und Hartnäckigkeit möglich ist. Der direkt mit der Bahn zu erreichende Pfad (Bahnhof Ediger-Eller) zieht viele an: Kraxler, Weininteressierte, Panorama-Süchtige. Erfreulich aus Sicht der Initiatoren: Auch andere Winzer ziehen mit in Richtung Qualität. Die Franzens kaufen Trauben zu von Nachbarn, deren Parzellen und Arbeit sie kennen.

Der Wein der Alpinistenwinzer kann eigentlich nicht billig sein. Dennoch beginnt der Einstieg ins Riesling-Reich weit unter 10 Euro. Der Gipfel des "Calidus Mons" ist beim Weibgut Franzen bei 25 Euro erreicht. Wer hier zugreift, investiert in eine spektakuläre Lage. Iris Franzen engagiert sich in der Initiative "Köche und Winzer an der Terrassenmosel". Sie weiß, dass gastronomische Verbesserungen in dieser Region besonders wichtig sind.

Nicht nur im Bremmer Calmont wird seit Jahren mit Rücksicht auf die Natur gearbeitet, ob sich dies nun mit dem Etikett des Ökoweinbaus verbindet oder nicht. Dass ein lebendiges Bodenleben hier das Kapital ist, dieses Wissen ist längst nicht mehr nur in den Köpfen der Ökos. Das sieht auch der Regionalsprecher von Ecovin, Harald Steffens. Er und die Winzerin Marita Keß betreiben in Reil ökologischen Steillagenweinbau. Die Ökowinzer profitieren vom Trend zum einheimischen Riesling und zur Ökologie. Was jetzt an Betrieben existiere, mehr als zehn Vollerwerbsweingüter, könne überleben, so Steffens Prognose.

Für ihn als Ökowinzer ist Wachstum ohnehin kein Kriterium. Solange Nachfrage und Preise stimmen, könne man von 4 Hektar ganz gut leben. Fast alle guten Ausbildungsbetriebe seien auf lange Zeit hin ausgebucht. Der Ecovin-Verband habe sich 1985 als inzwischen größter Zusammenschluss ökologisch arbeitender Weinbauern gegründet, erzählt der Regionalsprecher Steffens. Die Richtlinien der Organisation (www.ecovin.org) gehen über die Anforderungen der EG-Verordnung zum ökologischen Landbau hinaus. Ecovin ist keine Vermarktungsorganisation.

Steffens Mitarbeiterin kippt Kieselgur in den Filter. Ein zugelassenes und bewährtes Verfahren, mit dem Trübstoffe aus dem Wein entfernt werden. "Das ist der Zeitpunkt, an dem mancher Kunde den Keller fluchtartig verlässt. Wenn etwas aus dem Sack in den Wein kommt, halten sie das für eine Ökoschweinerei", sagt Steffens lächelnd. Der Ökoweinkunde könnte durchaus noch etwas Aufklärung vertragen. Denn Wein entsteht auch hier nicht, indem Trauben ausgepresst werden und der Most ins Fass fließt. "Naturbelassenheit" ist Kinderglaube. Was Ecovin erlaubt, steht in den Richtlinien. Aber dem Wein so wenig wie möglich zuzufügen, auch nicht zu viel mechanische Unruhe in den Wein zu bringen, das ist eine der Maximen, der Steffens sich verpflichtet fühlt.

Weinlese auf dem Bremmer Calmont, dem steilsten Weinberg Europas Bild: dpa

Der Winzer Steffens ist nicht dogmatisch. Er verwendet auch Reinzuchthefen. Er produziere nicht für die, "die ihr Glas eher beriechen als zu trinken". Die meisten seiner Weine kosten 5 bis 10 Euro. Da mag er sich auf die Arbeit der natürlichen Hefen allein nicht verlassen.

Für Steffens haben die Ökowinzer vor Ort einen Bewusstseinswandel bewirkt: "Früher waren wir die grünen Spinner. Heute legen meine konventionell arbeitenden Nachbarn Wert darauf, mir zu sagen, wie wenig sie düngen und spritzen. Das ist doch gut für das Ganze." Mit Erfolg: Seit Langem gehen Nitratwerte und chemische Belastung der Böden zurück.

Steffens zeigt sich optimistisch, was die Kombination von Weinbau und Tourismus betrifft. Die Übernachtungszahlen nehmen zu. 100.000 Übernachtungen bei etwa 1.300 Einwohnern in Reil - das könne sich sehen lassen, sagt der im Tourismus-Ausschuss der Gemeinde aktive Winzer. "Schon früh im Jahr sind jetzt die Wanderer und Radfahrer unterwegs. Die Saison wird immer länger." Nachdem fast überall Anlegestege gebaut wurden, kämen jetzt auch die Kanufahrer hinzu.

Steffens sieht viel Kooperation in diesem Abschnitt des Tals: Radwegeplanung über Gemeindegrenzen hinweg, Werbeprospekte, die nicht mehr nur örtlichen Interessen verpflichtet sind. Parallel zum Auftauchen immer aktiverer Urlauber sei auch der "Sauftourismus" zurückgegangen. Steffens ist begeistert von den neuen Möglichkeiten für Winzer, die mit dem Tourismusbüro kooperieren. "Man kann hier eine Woche Programm zusammenstellen, bei der das Auto des Gastes stehen bleibt. Hier geht alles mit der Bahn, dem Bus, dem Schiff und per pedes."

Zu dieser Urlausphilosophie passt das Konzept der Themenwanderwege. Sie sind Abschweifungen von der Mosel-Erlebnisroute, die Koblenz über Trier mit Luxemburg verbindet. Mäandern für den Kultur- und Landschaftsinteressierten, Entschleunigungsschwellen für den durchbrausenden Tourismus. Wanderungen von einigen Stunden Gehzeit sind bei Cochem dem selten gewordenen Apollofalter gewidmet. Zwischen Piesport und Trittenheim wird an das römische Erbe erinnert. Bei Wasserliesch stehen Orchideen im Mittelpunkt, am Moselzufluss Ruwer geht es um Wein und Schiefer. Ein Prospekt der Mosellandtouristik weckt Wanderlaune, die dann mit einem Ökowein - natürlich einem Riesling - abgerundet werden kann.

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