Von Bremen an die Balkanroute: „Nicht planlos gen Süden“

Zwei Bremer berichten von ihren Erfahrungen als HelferInnen im kroatischen Slavonski Brod und im mittlerweile geräumten Idomeni in Griechenland.

„Komplett chaotisch“: das Camp in Idomeni Foto: privat

Taz: Frau Handwerk, Herr Selting, wie sind Sie auf die Idee gekommen, direkt an der Balkanroute zu helfen?

Max Selting: Durch Kontakte zu Privatinitiativen, wie der International Human Aid Association oder „Flüchtlingshilfe an den Grenzen“. Wir haben uns informiert und entschlossen, dort hinzufahren, zu helfen und uns selbst ein Bild von der Situation zu machen. Dafür erstellten wir eine Facebookseite, um zu informieren und Spenden zu sammeln.

Und wie ging es weiter?

Maren Handwerk: Zu Beginn haben wir uns auf Flohmärkte gestellt und Sachen verkauft, die Einnahmen flossen in unseren Spendentopf. Wir stießen auf große positive Resonanz und Spendenbereitschaft. Viele Menschen warten nur darauf, dass jemand die Initiative ergreift und sind dann bereit zu helfen. Uns war es aber auch wichtig, nicht einfach planlos gen Süden zu fahren. Wir gründeten den Verein und formierten so eine feste Gruppe. Dann ließen wir uns unsere Gemeinnützigkeit bestätigen und bauten Kontakt zu Hilfsorganisationen auf. Die sagten uns dann genau, wo unsere Hilfe gebraucht wird. Schließlich fuhren wir nach Slavonski Brod, in Kroatien.

Wie war die Situation dort?

Selting: Das Durchgangslager für Geflüchtete wirkt zunächst gut organisiert. Die Menschen kommen am Bahnhof an und werden in das Lager gebracht. Hier sie werden von der Polizei registriert und anschließend von staatlichen und unabhängigen Hilfsorganisationen mit Sachspenden und Nahrung versorgt, bevor sie dann weitergeleitet werden. Die Menschen sind allerdings sehr erschöpft, viele krank und schlecht versorgt – dennoch wird ihnen keine Möglichkeit gegeben, zu rasten. Durch die öffentliche Aufmerksamkeit für Slavonski Brod ist die Situation hier moderat, aber trotzdem angespannt. Die PolizistInnen machen Zwölf-Stunden-Schichten und sind dementsprechend an ihrem Limit.

Gab es Probleme mit der Polizei?

Selting: An den Grenzen ließ sich eine allgemeine Nervosität verspüren – wir wurden oft angehalten und kontrolliert. Solange wir freundlich und kooperativ gegenüber den PolizistInnen im Lager waren, gab es für uns keine Probleme. Die Flüchtlinge jedoch wurden auch geschlagen, angebrüllt oder geschubst.

Max Selting, 21, ist Student und Vorsitzender des "Vereins für eine schönere Willkommenskultur". Maren Handwerk, 48, ist Unternehmerin und Schatzmeisterin des Vereins

Wie kam Ihre Gruppe dann ins griechische Idomeni?

Handwerk: Wir wurden darauf aufmerksam, als HelferInnen aus Idomeni über Facebook dringend um Hilfe baten. Zwei von unserer Gruppe sind daraufhin mit einer VW-Bus Ladung Schlafsäcke, Zelte und Isomatten sowie zwei weiteren freiwilligen Helfern und Spendengeldern für Lebensmittel nach Griechenland aufgebrochen. Hier zeigte sich ein ganz anderes Bild als in Kroatien. Es war komplett chaotisch. Das Lager ist auch nicht organisiert, sondern an der Grenze zu Mazedonien einfach entstanden. Die Ankunft war für mich ein einprägsames Erlebnis.

Warum?

Handwerk: Das Lager liegt direkt an der Grenze, die durch einen Nato-Stacheldrahtzaun markiert ist. Bis auf „Ärzte ohne Grenzen“ war keine Hilfsorganisation vor Ort. Die Geflüchteten lebten in einfachen Zelten oder im Freien, direkt an einer Bahnstrecke. Es gab nur ein paar Dixis, die hygienischen Zustände waren wirklich furchtbar. Die gesamte Versorgung mit Lebensmitteln oder Kleidung wurde von den freiwilligen HelferInnen geregelt. In der Nacht herrschten Minusgrade und viele Menschen waren krank.

Wie sah Ihre Zusammenarbeit mit den staatlichen VertreterInnen und HelferInnen aus?

Selting: In Kroatien war die ehrenamtliche Arbeit sehr reglementiert. Wir mussten uns vor der Ankunft schon als HelferInnen akkreditieren lassen, sonst wären wir gar nicht erst in das Durchgangslager gekommen. Dort konnten wir uns auch nicht überall frei bewegen, nur in bestimmten Bereichen. Die Sachspenden und Einkäufe mussten auch immer einen Flughafenscanner passieren. Mit der Zeit reagierten die PolizistInnen uns gegenüber gelassener, dafür waren aber viele Gespräche und Kooperationsbereitschaft nötig.

Auch in Griechenland?

Handwerk: Idomeni findet gar keine Beachtung von staatlicher Seite, außer von der Polizei. Die kontrolliert aber auch nur die Lage und greift gegen die Flüchtlinge durch, wenn sie die Grenze passieren wollen. Nur Freiwillige aus Griechenland oder dem Ausland versorgten die Geflüchteten. Wir haben uns zuerst mit den Volunteers ausgetauscht. Wir wollten wissen, was gebraucht wird und wie wir helfen können. Danach fingen wir an, die Suppenküchen im Lager zu unterstützen und die Lebensmittelvorräte aufzufüllen. Die freiwilligen HelferInnen erzählten uns, dass die Hilfsbereitschaft der Griechen sehr groß sei und immer wieder Lebensmittel und Spenden vorbeigebracht werden.

Sind die HelferInnen auf das vorbereitet, was sie in den Lagern erleben?

Selting: Nein, man kann sich nicht darauf vorbereiten. Die Zeit in Slavonski Brod war eine hohe Belastung für den Körper und die Psyche. Wir arbeiteten in Acht-Stunden-Schichten, oft auch direkt zwei hintereinander. Es ist schwer, dabei den Kopf auszuschalten und das Erlebte nicht an sich ranzulassen. Ich glaube, das wäre auch nicht sinnvoll. Man akzeptiert die Situation und versucht sie bestmöglich zu ändern.

Halten Sie die Hilfe von ausländischen Freiwilligen nach Ihren Erlebnissen für sinnvoll?

Handwerk: Trotz des kurzen Aufenthaltes war die Fahrt ein Erfolg. Wir konnten die gesammelten Spenden direkt weitergeben und viele Geflüchtete mit Kleidung und Nahrung versorgen. Trotzdem steht natürlich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit im Raum. Aber wir haben nicht nur Spenden verteilt, sondern auch gearbeitet, uns vernetzt, Menschlichkeit vermittelt und sehr viel gelernt. Wir sind Teil einer inzwischen riesigen Anzahl von Menschen, die humanitäre Hilfe leisten und möchten noch mehr Menschen zum Helfen anregen. Nur so kann eine „schönere Willkommenskultur“ entstehen. Ängste schüren hilft da nicht. Manchmal muss man einfach machen und von den guten Dingen berichten und nicht immer nur von den schlechten.

Wie geht es nun weiter?

Selting: Wir wollen auf jeden Fall nochmal eine Fahrt unternehmen. Das Ziel kann wieder die Balkanroute sein, aber auch Calais in Frankreich. Bis dahin müssen wir wieder Spenden sammeln.

Handwerk: Gleichzeitig wollen wir auch dazu beitragen, Geflüchtete in Bremen zu integrieren. Viele junge Flüchtlinge beklagen sich darüber, dass sie kaum Kontakt zu Gleichaltrigen haben. Hier wollen wir ansetzen und direkt das Gespräch mit ihnen suchen. Das kann durch Konzerte in Wohnheimen oder andere Veranstaltungen sein.

Was bedeutet für Euch eine „schönere Willkommenskultur“?

Selting: Für uns heißt das, den Geflüchteten Menschlichkeit entgegenbringen, sie aus dem Status des Flüchtlings herauszubekommen und als Mensch betrachten. Es geht um Empathie, Gastfreundschaft und Augenhöhe, denn ich bin noch nicht bereit, das Ziel eines menschlichen Europas aufzugeben. Der Begriff der Kultur ist für uns etwas Organisches, etwas, das wächst und sich weiterentwickelt. Wir können vielleicht nicht alle Probleme lösen. Aber wir können auf jeden Fall versuchen, es besser zu machen. Daher auch die Steigerungsform.

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