Von nun an geht's bergab: Früher war die Zukunft geiler

Erst die „Titanic“, dann die Atomkraft, dann der Flughafen und jetzt auch noch die Facebook-Aktie: Alles geht den Bach runter – alles! Dies sind Zeiten für Demut.

Das waren noch Zeiten, als man hoch hinaus wollte.... Bild: dpa

Alles wird schlechter – keine Diskussion, bitte. Und, nein, das soll kein strategischer Pessimismus sein, jener Aberglaube also, nachdem alles viel besser als gedacht würde, wenn man nur möglichst wenig bis das Schlimmstmögliche erwarte. Nein, ganz im Ernst: Alles wird schlechter, ständig.

Erinnert sich noch jemand an früher? An die Zeiten, in denen die Zukunft etwas versprach? Als wir ernsthaft dachten, mit einem irrsinnig riesigen Schiff könne man quer durch den Atlantik düsen, mittels Kernenergie Strom erzeugen, einen ganzen Bahnhof geräuschlos unter die Erde bringen oder, Gott bewahre, unser Geld vermehren, indem wir es in die Aktien eines sozialen Netzwerks investierten, das seine Inhalte mit billigen Scherzen, von Grafikdesignstudenten entworfenen Collagen und empörten Aufrufen für dies und jenes bestritt? Tempi passati!

Ja, wir waren dumm und wollten das Geld, richtig, aber das ist immer nur eine Erklärung, keine Entschuldigung.

Das, Mark Zuckerberg, muss man auch erst mal schaffen: die zuvor mühsam hochgeschraubte Euphorie, den mit den Fingern auf dem Holztisch vollzogenen Trommelwirbel innerhalb kürzester Zeit derart abzuwürgen. Die Stille nach dem Tusch.

Alles wird Mist

Auch wenn es für die Unkenrufe eventuell noch ein klein wenig früh ist, lautet die Lektion aus dem einen großen, fast schon ein Jahrhundert alten Titanic-Atom-Concorde-S-21-Facebook-Debakel, die man für das eigene kleine Leben und die, ähm, Zukunft mitnehmen muss: Alles, worauf man sich freut, wird Mist. Alles, was hell glitzert, ist eine Fata Morgana. Und jeder Höhenflug ist nur das Vorspiel zu einem Absturz – oder wie man am Tresen sagt: Runter komm’se alle.

Diese berechtigte Zukunftsangst hat dabei zwei Gründe: Einerseits die Furcht vor dem verfrühten Jubel, der ja nicht erst seit dem Vier-Minuten-Meister Schalke 04 und dem Münchner Champions-League-Desaster als großer Feind der Vorfreude gelten sollte.

Und andererseits die Vorsicht angesichts der fast immer verfrühten Großmäuligkeit, die quasi die Ejaculatio praecox unter den Erfolgsmeldungen ist. Willy Brandt etwa, der Namenspatron des ebenfalls unseligen Berliner Großflughafens, dachte noch, dass „der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten“. Ha! Dafür müsste man ja erst einmal in der Lage sein, die Zukunft gestalten zu können!

Wo aber die Onlineredaktionen schon überlegen, ob es nicht an der Zeit wäre, einen Liveticker für all die Hiobsbotschaften anzulegen, muss man mit etwas Distanz feststellen: Optimismus ist passé. Optimismus ist etwas Naives, wenn nicht gar Obszönes. Oder anders: Dies sind keine Zeiten für Zukunft, dies sind Zeiten für Demut.

Vorwärts Richtung gestern

Wo aber die Zukunft so düster wirkt, da leuchtet zwangsläufig die Vergangenheit umso heller. Denn statt „Zurück in die Zukunft“ geht die Reise vorwärts Richtung Vergangenheit und Idyll, wie der einst als Zyniker bekannte Schriftsteller Michel Houellebecq in seinem letzten Roman „Karte und Gebiet“ für Frankreich exemplarisch darlegte: Houellebecqs Frankreich ist da ein Feriendorf mit Biorestaurants und zu Boutiquehotels gewandelten Landhäusern. Die Provinz verspricht nicht mehr Enge und lauernde Nachbarn, sondern Wochenenderholung.

Wer schon einmal Urlaub auf dem Bauernhof gemacht hat, ahnt: Houellebecq hat seine Loha-Dystopie bloß in ein sehr perfides Gewand gehüllt, sitzt vermutlich einsam bei einer Pulle Schnaps und weiß nicht, ob er lachen oder heulen soll ob des Lobs für seinen versöhnlichen Roman. „Die Frage kann doch gar nicht lauten, ob alles schlechter wird“, schrieb in vergangenen Zeiten der große Vergangenheits- und China-Kenner Christian Y. Schmidt, „sondern höchstens: seit wann. Auch das kann ich Ihnen sagen: Seit 1979.“

Wenn aber alles nur schlechter werden kann, dann ist – rein logisch betrachtet – alles schon gut. Auch auf die Gefahr hin, selbst in verfrühten Jubel zu verfallen: Willkommen am Optimum – von nun an geht’s bergab.

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