Vor dem EU-Türkei-Flüchtlingsgipfel: Bitten und warnen

Merkel verlangt, den bisherigen EU-Beschlüssen Taten folgen zu lassen. Überschattet wird der Gipfel vom De-facto-Verbot der türkischen Zeitung „Zaman“.

Neun Flüchtlinge klettern über den Rand eines Containers

Warten auf Entscheidungen der Politik: Geflüchtete entladen einen Container mit Brennholz in Idomeni. Foto: dpa

BRÜSSEL/BERLIN dpa | Die EU-Staats- und Regierungschefs setzen beim Flüchtlingsgipfel mit der Türkei auf Zusagen Ankaras für eine rasche Rücknahme von Migranten ohne Asylanspruch. Damit komme die EU ihrem obersten Ziel näher, den Zustrom einzudämmen, berichteten Diplomaten unmittelbar vor dem Sondergipfel an diesem Montag in Brüssel. Gerade noch rechtzeitig wurden letzte Details des Nato-Einsatzes zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität in der Ägäis geklärt. Dabei ging es darum, das Seegebiet festzulegen, in dem die Schiffe operieren.

Die Gespräche mit der Türkei werden belastet von der staatlichen Übernahme der regierungskritischen türkischen Zeitung Zaman und dem Umgang Ankaras mit Menschen- und Grundrechten wie der Pressefreiheit. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini verlangte, „dass die Türkei als Beitrittskandidat hohe demokratische Maßstäbe respektieren und fördern muss, einschließlich der Pressefreiheit.“

Es sei klar, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, dass „die EU bei der Einhaltung ihrer Grundwerte keine Abstriche machen wird“. Die Grünen warnten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die EU davor, sich in der Flüchtlingspolitik von der Türkei erpressen zu lassen.

Die 28 EU-Staaten treffen sich am Montag bereits zum zweiten Mal innerhalb von gut drei Monaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Der eintägige Gipfel ist eine wichtige Wegmarke für Kanzlerin Merkel. Sie hat in der Krise nur noch wenig europäische Verbündete – zu ihnen gehört EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker.

Merkel verlangt, den bisherigen EU-Beschlüssen Taten folgen zu lassen. „Ich erwarte, dass wir Schritt für Schritt das praktisch umsetzen, worauf wir uns beim letzten Europäischen Rat im Februar mit allen 28 Mitgliedstaaten geeinigt haben. Wir können diese Herausforderung nur gemeinsam bewältigen“, sagte sie der Bild am Sonntag. Es gehe um die Verwendung der Ankara zugesagten drei Milliarden Euro Flüchtlingshilfe, den Schutz der EU-Außengrenzen und Hilfen für Griechenland.

Merkel rügt Griechenland

Nach der weitgehenden Abschottung der Balkanroute campieren derzeit Tausende Flüchtlinge an der griechisch-mazedonischen Grenze. Der Sprecher des UN-Hilfswerks UNHCR im Flüchtlingslager Idomeni sprach am Sonntag von einer „humanitären Krise“ und einem „Weckruf für die führenden Politiker der EU.“ Täglich träfen in Idomeni immer noch zehnmal mehr Flüchtlinge ein, als Mazedonien auf der sogenannten Balkanroute weiterreisen lasse.

Merkel rügte Griechenland dafür, nicht rechtzeitig bis Ende 2015 die zugesagten 50.000 Aufnahmeplätze geschaffen zu haben. Die Bundesregierung will vorerst keine der in Griechenland gestrandeten Migranten in Deutschland aufnehmen. Griechenland sei in einer schwierigen, aber lösbaren Situation, sagte Innenminister Thomas de Maizière (CDU). Deutschland und andere EU-Staaten hätten pro Kopf viel mehr Asylsuchende im Land.

Nach dem Treffen mit Davutoglu werden die 28 EU-Chefs unter sich beraten. Sie wollen dem Vernehmen nach ein deutliches Zeichen setzen, dass die Lage auf dem Kontinent nicht aus Ruder läuft. Nach dem Willen der EU-Chefs soll auf dem Weg über den westlichen Balkan die Politik des „Durchwinkens“ bis nach Deutschland enden. Das käme einer dauerhaften Schließung dieser Route gleich. Juncker pocht zudem darauf, das Schengen-System für den passfreien Reiseverkehr zu retten. Dafür soll der Schutz der Außengrenzen gestärkt werden. Um einen humanitären Notstand in Griechenland abzuwenden, hat die EU-Kommission eine Nothilfe von 700 Millionen Euro vorgeschlagen.

Nach Einschätzung des EVP-Fraktionschefs Manfred Weber (CSU) wird die EU nicht darum herumkommen, der Türkei eine bestimmte Zahl an Flüchtlingen abzunehmen. Wichtig sei es, in absehbarer Zeit mit einer geregelten Aufnahme zu beginnen, sagte Weber der dpa. Im Einladungsbrief von Gipfelchef Tusk ist von Kontingenten keine Rede.

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth warnte davor, sich von der Türkei erpressen zu lassen. „Die EU hat sich in eine fatale Abhängigkeit von Präsident Recep Tayyip Erdogan begeben und ist nun in der Hand dieses Autokraten“, sagte sie der Welt. Grünen-Chef Cem Özdemir sagte, Merkel müsse aufhören, „absichtlich jede menschenrechtliche Sauerei in der Türkei zu übersehen“. Es wäre fatal, wenn vom Gipfel in Brüssel das Signal ausginge, dass die EU „über Menschenrechtsverletzungen hinwegsieht, weil ihr die Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik wichtiger sind“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

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