Vor den Wahlen in Tansania: In Uniform ein Aufruf zur Revolte
In einer Videobotschaft an Tansanias Jugend ruft ein Luftwaffenkapitän zu „Veränderung“ auf. Das politische Klima kurz vor den Wahlen ist angespannt.
taz | Drei Wochen vor den Wahlen in Tansania sendet eine beispiellose Einmischung des Militärs in die Politik Schockwellen durch das Land. In einer Videobotschaft, die seit Sonntag viral geht, verlangt Luftwaffenhauptmann John Charles Tesha „Veränderung“ in Tansania und wirft Präsidentin Samia Suluhu Hassan, die am 29. Oktober zur Wiederwahl antritt, einen Mangel an Visionen vor. „Es liegt an den Bürgern, zu handeln, vor allem Gen Z“, sagt der Hauptmann in einem Aufruf an Tansanias junge Generation.
„Gen Z“ wurde im benachbarten Kenia als Sammelbegriff für eine Jugendrevolte bekannt und steht mittlerweile in zahlreichen Ländern für Jugendprotest.
Unklar ist, ob Tesha seinen Aufruf als Aufruf zum Umsturz meint. Er ist als aktiver Soldat eigentlich zu politischer Neutralität verpflichtet. Seit 2022 Hauptmann, arbeitet er als Ausbilder an Tansanias Luftwaffenakademie.
Tesha spricht von einem „Deep State“ in Tansania, der ohne öffentliche Rechenschaft die natürlichen Reichtümer des Landes verscherbele, Opposition knebele und Wahlen fälsche. Dazu zählt er Expräsident Jakaya Kikwete, den Geschäftmann Rostam Azizi sowie einflussreiche Figuren aus Militär, Polizei, Justiz, Finanzen und Medien. Die bevorstehenden Wahlen seien eine „Falle“ der Regierungspartei CCM (Chama Cha Mapinduzi).
Keine ernsthaften Gegenkandidaten
CCM regiert Tansania seit der Unabhängigkeit 1961, bis in die 1990er Jahre als sozialistische Einheitspartei. Als Samia Suluhu Hassan 2021 Präsidentin wurde, waren die Hoffnungen groß. Die vorherige Vizepräsidentin folgte auf den an Covid-19 verstorbenen John Magufuli, der seit seiner ersten Wahl 2015 zunehmend autokratisch regiert hatte. Aber Hassan entwickelte ihre eigenen autokratischen Methoden, und am 29. Oktober wird sie keinen ernsthaften Herausforderer haben.
Die wichtigste Oppositionspartei Chadema (Partei für Demokratie und Fortschritt) ist von den Wahlen ausgeschlossen, ihr Anführer Tindu Lissu unter dem Vorwurf des Landesverrats disqualifiziert. CCM-Dissident Lunaga Mpina, der zur oppositionellen ACT (Allianz für Wandel und Transparenz) gestoßen ist, darf ebenfalls nicht antreten. Der einzige ernstzunehmende Gegenkandidat Salum Mwalimu wird von vielen verdächtigt, eine Marionette der Regierung zu sein.
Zuletzt haben Kirchen und Jugendgruppen die repressive Stimmung vor den Wahlen angeprangert. „Am 29. Oktober werden die Kirchen Festivals abhalten, statt wählen zu gehen“, sagt der Menschenrechtsaktivist Liberatus Mwang'ombo. „Ihre Botschaft ist klar: sie lehnen diese Wahlan ab. Tansanias Gen Z spricht es aus; Keine Reformen – keine Wahlen!“ Er prophezeit Massenproteste am Wahltag.
Die Aktivistin Maria Sarungi Tsehai rechnet eher damit, dass viele Leute einfach zu Hause bleiben. Aber „Neutralität ist keine Option mehr“, meint sie: „CCM hat gefälschte Wahlzettel und angeblich Zugang zum elektronischen Wahlregister, und sie werden falsche Stimmen fabrizieren. Die Jugend von Gen Z ist wütend und hat genug von Entführungen, Korruption und Arbeitslosigkeit.“
Spricht Hauptmann Tesha für eine größere Bewegung?
Vor diesem Hintergrund ist das Video von Hauptmann Tesha besonders brisant. Er sagt, er habe bei seinen Vorgesetzten vor den Folgen einer umstrittenen Wahl gewarnt, und er sei bereit, die Folgen seiner Aktion zu tragen.
Manche mutmaßen, dass Tesha als Sprachrohr einer größeren Bewegung agiert. „Viele von uns haben diese Sorgen geäußert“, sagt Menschenrechtlerin Tausi Likokola. „Wenn wir sehen, wie jemand in Uniform das bestätigt, sollte man das sehr ernst nehmen.“
Tansanias Polizei hat erklärt, die Verbreitung des Videos sei ein strafbarer „Missbrauch“ sozialer Medien. Armeesprecher Oberst Bernard Mlunga hat dazu aufgerufen, das Video nicht weiterzuverbreiten. Sein Inhalt entspreche lediglich „Behauptungen ehemaliger Soldaten, die wegen Fehlverhaltens entlassen wurden, neben selbsternannten Aktivisten und Leuten mit Verbindungen ins Militär“.
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