Vor den Wahlen in der Elfenbeinküste: Ein immer wiederkehrendes Trauma
Ohne echte Opposition will sich Präsident Ouattara am Samstag wiederwählen lassen. Ein großes Sicherheitsaufgebot soll Protest und Gewalt verhindern.
taz | Rauch und Flammen schlagen aus dem Dach, Papiere liegen auf der Straße verstreut, dazwischen sind kaputte Einzelteile von Plastikstühlen zu sehen. Es sind Bilder und Videos des Büros der ivorischen Wahlkommission CEI in Yamoussoukro. Demonstranten haben am Montag in der politischen Hauptstadt der Elfenbeinküste das Büro angegriffen und in Brand gesetzt.
„Glücklicherweise beklagt die Kommission keine Verletzten. In den Büros befanden sich lediglich Büromaterialien“, teilt die CEI mit: „Die Schäden sind daher nicht von einer Art, die die Durchführung der für den 25. Oktober 2025 geplanten Wahl beeinträchtigen könnten“.
8,7 Millionen Wahlberechtigte sind am Samstag in der Elfenbeinküste aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Neben dem amtierenden Präsidenten stehen lediglich vier weitere Kandidatinnen und Kandidaten zu Wahl: Die ehemalige First Lady Simone Gbagbo, der Geschäftsmann Jean-Louis Billon, der ehemalige Regierungssprecher Ahoua Don Mello und die Sozialpolitikerin und Ex-Ministerin Henriette Lagou.
Ursprünglich beworben hatten sich allerdings 60 Kandidaten, und die gefährlichsten Konkurrenten des Amtsinhabers Alassane Ouattara dürfen nicht antreten: der sozialistische Expräsident Laurent Gbagbo, der das Land von 2000 bis 2011 regierte, und der Banker Tidjane Thiam von der vorherigen langjährigen Regierungspartei PDCI (Demokratische Partei der Elfenbeinküste). Dass ausgerechnet die Vertreter von zwei der größten Parteien im Land vom Rennen ausgeschlossen sind, sorgt für spürbaren Frust.
„Warum soll ich wählen?“
„Warum soll ich wählen? Es ist doch eh bereits entschieden“, sagt Baby-Odette. Die 24-jährige Jura-Studentin an der Universität Félix Houphouët Boigny, größte und geschichtsträchtigste Universität des Landes, wird am Wahltag zu Hause bleiben. Ihre Stimme zähle ohnehin nichts, sagt sie, das Ergebnis stehe schon fest. Und sie fürchtet, dass es wieder zu Gewalt kommt.
Die Nachrichten aus Yamoussoukro erscheinen wie Vorboten. Am Dienstag starb dort ein Mensch, der nach amtlichen Angaben bei der Räumung illegaler Straßensperren einen Steinwurf an den Kopf bekam.
Angst ist weit verbreitet. „In den letzten 30 Jahren hat es bei jeder Wahl in der Elfenbeinküste Tote gegeben“, sagt der Jurist und Politologe Geoffroy-Julien Kouao und listet auf: 1995 verloren 30 Menschen ihr Leben, 2000 starben 300. 2010–11 – als Ouattara erstmals gewählt wurde und Gbagbo seinen Machtverlust monatelang mit Gewalt zu verhindern versuchte – wurden mehr als 3.000 Menschen getötet. Auch bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2020 kamen 87 Menschen ums Leben. In diesem Jahr sind bislang vier Tote zu beklagen, ein vergleichsweise ruhiger Auftakt. Doch das könne sich rasch ändern, sagt Kouao. Wahlen sind in der Elfenbeinküste ein wiederkehrendes Trauma.
Damit es ruhig bleibt, hat Präsident Ouattara schwere Geschütze aufgefahren. Während des Wahlmonats, vom 5. Oktober bis 4. November, sollen 44.000 Soldaten, Gendarmen und Polizisten für Sicherheit sorgen. Demonstrationen sind verboten. In der Wirtschaftsmetropole Abidjan sind an fast allen großen Kreuzungen gepanzerte Fahrzeuge stationiert, ein Anblick, der im Alltag ansonsten unüblich ist. Ihre Präsenz soll Sicherheit vermitteln – und zugleich abschrecken.
Vor allem im Westen und im Zentrum der Elfenbeinküste ist der Unmut hoch. Der Westen gilt als Hochburg Gbagbos, das Zentrum als Machtbasis von Tidjane Thiam, besonders dessen Geburtsstadt Yamoussoukro, wo auch Staatsgründer Félix Houphouët-Boigny geboren wurde, weswegen das einstige Dorf zur Hauptstadt ausgebaut wurde.
Dass es ausgerechnet dort im Vorfeld der Wahlen zu einem Brandanschlag auf die Wahlkommission kam, überrascht nicht. Die CEI steht seit Monaten massiv in der Kritik. „Eigentlich wird die Wählerliste jedes Jahr aktualisiert, 2025 aber ist das nicht geschehen“, erklärt Kouao. Tidjane Thiam, der 2024 noch unter ivorisch-französischer Doppelstaatsbürgerschaft registriert war – etwas, das unter ivorischem Gesetz nicht erlaubt ist –, konnte sich deshalb nicht neu registrieren lassen. Und das, obwohl er in der Zwischenzeit seinen französischen Pass zurückgegeben hatte.
Auch hier bleibe die Elfenbeinküste ihrer Tradition treu, sagt Kouao: Vor jeder Wahl werde nach Gründen gesucht, um starke Oppositionskandidaten ins politische Aus zu manövrieren.
Wirtschaftlich vorwärts, politisch rückwärts
Ouattaras Bilanz ist umstritten. Während politische Gegner ausgeschlossen werden, die Justiz als parteiisch gilt und die Spielräume für Kritik immer enger werden, hat das Land in seiner Regierungszeit seit 2011 ein rasantes wirtschaftliches Wachstum hingelegt.
Riesige neue verglaste Hochhäuser schrauben sich in Abidjan in den Himmel, breite saubere Straßen mit hübsch bepflanzten Verkehrsinseln prägen das Stadtzentrum, imposante Brücken verbinden die verschiedenen Viertel über die Lagune hinweg, die sich pittoresk durch die Metropole schlängelt. Abidjan hat sich zu einem modernen Wirtschaftszentrum in Westafrika entwickelt, das internationale Investoren anzieht. Doch der wirtschaftliche Aufschwung geht einher mit einer zunehmend autoritären Regierungsführung.
Einen Vorgeschmack auf das, was unliebsamen Stimmen bei den Wahlen blühen könnte, hat der Staat jetzt noch einmal geliefert. In einem Eilverfahren am vergangenen Donnerstag wurden rund fünfzig Menschen zu drei Jahren Haft verurteilt, unter anderem wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“, weitere 32 am Dienstag. Sie sollen an einem verbotenen Oppositionsmarsch teilgenommen haben. Laut Innenministerium wurden in den letzten Wochen über 700 Personen festgenommen. Die harten Urteile nur wenige Tage vor der Wahl sind ein deutliches Signal.
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