Vor der UN-Konferenz in Addis Abeba: Irres Diplomatenmikado

Die Bundesregierung setzt alles daran, dass die Belastungen weltweit nicht gerechter verteilt werden. Sie muss umdenken.

Übereinandergefallene Mikadostäbchen

Diplomatenmikado: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Foto: imago/Westend61

Während die griechische Schuldenkrise weiter die Schlagzeilen bestimmt, findet abseits medialer Aufmerksamkeit in der kommenden Woche in Addis Abeba eine Konferenz der Vereinten Nationen statt, die Beschlüsse zur gerechteren Gestaltung der internationalen Finanzbeziehungen und zur Finanzierung globaler Zukunftsaufgaben fällen könnte.

Dabei geht es sowohl um die Zukunft der öffentlichen Entwicklungsfinanzierung als auch um die Mobilisierung heimischer Ressourcen, die Rolle des Privatkapitals, um Schulden und Schuldentragfähigkeit, Handel, Technologietransfer und Reformen des internationalen Finanzsystems.

Die Konferenz hat Signalwirkung für zwei weitere wichtige Gipfeltreffen in diesem Jahr: Im September wollen die Regierungen in New York universelle Nachhaltigkeitsziele für die nächsten 15 Jahre verabschieden und im Dezember soll in Paris ein neues Klimaabkommen unterzeichnet werden. Aber nur wenn vorab geklärt ist, welche Finanzierungsverpflichtungen die Regierungen eingehen, ist bei den Gipfeln von New York und Paris mit substantiellen Fortschritten zu rechnen.

Deutschland blockiert

Die Zeichen dafür stehen allerdings schlecht. Der Entwurf des Abschlussdokuments der Konferenz über Entwicklungsfinanzierung, der „Addis Abeba Accord“, enthält überwiegend Formelkompromisse. Das Misstrauen zwischen den Länderblöcken – auf der einen Seite die in der G77 zusammengeschlossenen Länder des Südens, auf der anderen die EU, die USA und ihre Verbündeten – ist groß. Es scheint, die Regierungen spielen einmal mehr Diplomaten-Mikado: Wer sich in den Verhandlungen zuerst bewegt, hat verloren.

Deutschland gibt nur rund die Hälfte der zugesagten Entwicklungsgelder aus.

Die Bundesregierung gab der G77 im Verbund westlicher Länder zuletzt einige Anlässe für dieses Misstrauen. So stimmte sie in der UN-Generalversammlung gemeinsam mit einer kleinen Minderheit von Ländern gegen eine Resolution zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens, das eine verlässliche und faire Lösung von Schuldenkrisen (wie der griechischen) ermöglichen soll. Die Sitzungen der dazu eingerichteten Arbeitsgruppe hat sie bisher boykottiert.

Im UN-Menschenrechtsrat stimmte die Bundesregierung ebenfalls mit einer Minderheit von Ländern gegen die Aufnahme von Verhandlungen über einen Vertrag, der die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen verbindlich regeln soll. Die dazu eingerichtete Arbeitsgruppe tagt in dieser Woche erstmals in Genf. Die Bundesregierung kündigte an, sich daran nicht zu beteiligen.

Deutschland bricht Zusagen

Auch ihre internationale Verpflichtung, bis 2015 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen, hat die Bundesregierung nicht erfüllt (Stand 2014: 0,41 Prozent).

Nach der soeben im Bundeskabinett beschlossenen mittelfristigen Finanzplanung wird sich daran auch auf absehbare Zeit nichts ändern. Zwar soll der Etat des Bundesentwicklungsministers 2016 um bemerkenswerte 880 Millionen Euro steigen. Im Jahr danach schrumpft der Zuwachs jedoch schon wieder auf 138 Millionen Euro, und 2018 soll der BMZ-Etat sogar um 32 Millionen Euro gekürzt werden. Angesichts dieser Pläne ist das erneuerte Bekenntnis der Bundesregierung zum 0,7-Prozent-Ziel völlig unglaubwürdig.

Ein zentraler Konfliktpunkt bei den gegenwärtigen UN-Verhandlungen ist die Interpretation des Prinzips der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung (Common But Differentiated Responsibilities, CBDR).

Mit diesem Prinzip hatten die Regierungen bereits bei der Rio-Konferenz 1992 ihren unterschiedlichen Beitrag zur Umweltzerstörung anerkannt – und damit auch ihre unterschiedliche Verantwortung, für die Wiederherstellung des Ökosystems und die Anpassung an Umweltschäden zu bezahlen. Während die G77 sich dafür einsetzen, das Prinzip über den Umweltbereich hinaus anzuwenden, lehnen die EU, die USA und ihre Verbündeten dies kategorisch ab. Die Bundesregierung spricht statt von CBDR lieber von „geteilter Verantwortung“ und fordert explizit, dass die Schwellenländer künftig bei der Entwicklungsfinanzierung mehr Verantwortung übernehmen müssten.

Angesichts der verfahrenen Situation eine Woche vor der Konferenz von Addis Abeba ist es spät, aber noch nicht zu spät, um zumindest in einigen Bereichen Fortschritte zu erzielen. Dazu sollte die Bundesregierung mit vertrauensbildenden Maßnahmen in Vorleistung gehen. Dies könnte unter anderem in den folgenden drei Bereichen geschehen.

Was Deutschland tun kann

Erstens sollte die Bundesregierung sich ausdrücklich zum CBDR-Prinzip bekennen und damit die unterschiedliche Verantwortung der Länder für die Finanzierung nachhaltiger Entwicklung und die Regulierung des internationalen Wirtschafts- und Finanzsystems anerkennen. Sie sollte sich aktiv an der Suche nach Kompromissvorschlägen zur Weiterentwicklung des Prinzips angesichts der veränderten weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse beteiligen.

Zweitens sollte die Bundesregierung ihre mittelfristige Finanzplanung an ihre internationalen Verpflichtungen im Bereich der Klima- und Entwicklungsfinanzierung anpassen. Sie sollte sich bereit erklären, bis zum Jahr 2020 die öffentlichen Mittel für internationale Klima- und Entwicklungsfinanzierung stufenweise auf ein Prozent des deutschen Bruttonationaleinkommens zu steigern. Die Erlöse aus der geplanten Finanztransaktionssteuer eröffnen dafür finanziellen Spielraum.

Drittens sollte die Bundesregierung sich offensiv für eine substantielle Stärkung der internationalen Steuerkooperation unter dem Dach der Vereinten Nationen einsetzen, um Steuerflucht, schädliche Steuervermeidung und den Steuerwettlauf nach unten zu bekämpfen. Zu diesem Zweck sollte sie die Einrichtung eines zwischenstaatlichen UN-Ausschusses für Steuerfragen innerhalb der EU und bei der Konferenz in Addis Abeba offensiv unterstützen.

Nur wenn durch derartige Initiativen der Teufelskreis kollektiver Verantwortungslosigkeit durchbrochen wird, kann noch verhindert werden, dass es bei der Konferenz von Addis Abeba und den anschließenden Nachhaltigkeits- und Klimagipfeln in New York und Paris nur Verlierer gibt.

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