Vorbereitung für Olympia: Tausend Würfe bis London

Der Diskusring der Hamburger Jahn-Kampfbahn taugt nichts, trotzdem trainiert der 25-jährige Markus Münch hier für Olympia. Bis dahin muss er noch einige Scheiben werfen.

Trainiert auf der schrottigen Jahn-Kampfbahn: Diskuswerfer Markus Münch Bild: dpa

Die Werferanlage ist hinter den Bäumen. Damit die Hoch-, Stabhoch- und Weitspringer der Jahn-Kampfbahn in Hamburg-Winterhude, die auch einen Diskusring hat, nicht von wild durch die Gegend fliegenden Scheiben getroffen werden. Sind kaum Hoch-, Stabhoch- und Weitspringer da. Aber egal. Außerdem muss der Rasen geschont werden. Macht sowieso keinen Unterschied.

Der Diskusring der Jahn-Kampfbahn taugt nichts, ist wellig, der in der Werferanlage gleich nebenan auch nicht. „Verrottet, steht Wasser drin“, sagt Sigrun Soukup. Sie ist Markus Münchs Heimtrainerin. Sein Haupttrainer ist Jürgen Schult, 52, ein Mal Europameister, ein Mal Weltmeister, 1988 mit 68,82 Metern Olympiasieger. Mit Schult trainiert Münch in Potsdam, mit Soukup in Hamburg. „Ist gut, wenn einer da ist, bei den technischen Disziplinen, der ein bisschen guckt“, sagt Soukup.

So steht Münch, Soldat der Sportförderkompanie, auf einer Betonplatte der Werferanlage hinter den Bäumen. Die Platte ist kein richtiger Diskusring, „aber der Grip ist hier besser“, sagt Soukup. So ist das mit der Leichtathletik in Hamburg ein paar Tage vor den Olympischen Spielen.

Markus Münch, 207 Zentimeter groß, hat fünf Disken in seinem Plastikeimer. Vier blaue, einen roten. Wenn er sie beim Einsammeln in den Eimer wirft, machen sie ein helles Geräusch.

Er nimmt den ersten in die linke Hand, wirft ihn ein paar Zentimeter senkrecht hoch, fängt ihn auf, wirft ihn in die rechte Hand, das ist ein Spiel. Dann lässt er den rechten Arm hoch und runter schwingen, zweieinhalb Mal, beim letzten Mal bis auf Kopfhöhe, dann vor dem Kopf nach links, nach rechts, dann aus der letzten Schwingung nach links Drehungen des Körpers, so dynamisch, dass ich sie auch beim zehnten Wurf nicht zählen kann. Da fliegt er, der Diskus. Ziemlich weit Richtung Bäume. Im Boden stecken Äste, den zweiten säbelt seine Scheibe ab. Münch, 25, LG Wedel-Pinneberg, guckt der Scheibe hinterher und tänzelt.

1.000 Würfe bis zu den Spielen. Qualifikation ist am 6. August, vormittags. Münch schätzt, die Unterlippe hoch geschoben, „dass man einen, anderthalb Meter mehr braucht als bei der EM, also so 63 bis 64,5 Meter, um ins Finale zu kommen“. Hat er drauf, seine Bestleistung liegt bei 66,87 Metern, Hamburger Rekord. Wenn er sich fürs Finale qualifiziert, „ist das ein Erfolg“, sagt er. In vier Jahren, in Rio, geht „mehr, wenn ich heil bleibe und trainieren kann“.

Münch ist in Hasloh geboren und hat „erst mal alles gemacht, was man so machen kann – in Hasloh“: Fußball, Tischtennis, Badminton. Dann wuchs der Junge immer weiter und fing mit Zehnkampf an. Die Soukups kommen ins Spiel, die haben seit 30 Jahren ein Sportfachgeschäft in Wedel. Sigrun Soukup trainiert „Markus seit er elf ist“. Irgendwann war Münch über zwei Meter groß und entsprechend schwer, da ist es aus mit Hoch- und Stabhochsprung. „Hab ich ein bisschen Kugel gestoßen“, sagt Münch, „aber fürs Diskuswerfen passten Größe, Hebel und Spannweite noch besser.“ Mit 18 machte er seinen letzten Zehnkampf.

Er macht noch mal fünf Würfe. Nächste Woche Kienbaum, zehn Tage, dann zwei Tage Potsdam, Wettkampf, dann wieder Kienbaum, bis zur Abreise nach London am Freitag, den 3. August. Robert Harting, 27, Cottbus, ist Favorit. „Wenn er im Regen 68,30 Meter wirft und Europameister wird, wie in Helsinki, was wirft er dann im Trockenen?“, fragt Münch. Harting hat in diesem Jahr schon 70,66 Meter geworfen. Nur Virgilijus Alekna (Litauen), 40 Jahre alt, wirft ähnlich weit. Münch macht noch mal fünf.

Gegen zwölf gehen Soukup und Münch rüber zur Jahn-Kampfbahn. „Sollen wir die Handtücher da lassen?“, fragt Soukup. Münch nickt: „Wir kommen ja am Nachmittag wieder.“ Es sind die Handtücher, um den Ring, der keiner ist, sauber zu machen. Jetzt ein paar Sprints auf der Tartanbahn. „Muss auch sein“, sagt er und zieht die Spikes an. Er macht ein paar kraftvolle Schritte, verzieht das Gesicht. Die Achillessehne tut weh. Er zieht die Spikes wieder aus und geht barfuß durchs Gras. Er seufzt und zieht seine normalen Turnschuhe an. Er stellt fest, dass sich bei denen die Sohle löst. Scheiß Tag!

Münch packt seine Sachen zusammen. Wir geben uns die Hand. Seine ist ungefähr so groß wie ein Diskus. Münch grinst. Noch 1.000 Würfe bis London.

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