Vorschau auf den 30.CCC Kongress: Error: Vergewaltigung

Julian Assange wird auf dem 30. Chaos Communication Congress live zugeschaltet. Die NetzfeministInnen gehen auf die Barrikaden.

Julian Assange winkt im Juni aus der ecuadorianischen Botschaft in London. Bild: reuters

„Systemadministratoren der Welt, vereinigt euch!“ Der Programmpunkt, der auf Deutsch etwas holprig klingt, entfacht schon Wochen vor dem Kongress des Chaos Computer Clubs (CCC) eine Sexismusdebatte. Nicht der Inhalt, sondern einer der Vortragenden, Julian Assange, ist das Problem. Der Wikileaksgründer wird am dritten Kongresstag zwar nur zugeschaltet, dennoch ist seine Teilnahme am 30C3, der heute in Hamburg startet, höchst umstritten.

Assange spricht aus der Ecuadorianischen Botschaft in London. Dort erhielt der Australier im August 2012 Asyl, denn in Schweden werden ihm zwei Sexualdelikte vorgeworfen. Er hat Angst, an Schweden ausgeliefert zu werden – und fürchtet gleichsam die USA, wo Whistleblowern und deren Helfern lange Gefängnisstrafen drohen.

Es gibt zwar kein offizielles Statement, doch laut einem Bericht der Washington Post wolle ihn das US-Justizministerium wegen der Veröffentlichung geheimer Daten nicht anklagen. In Schweden wird indes seit 2010 gegen Assange ermittelt, verurteilt ist er bislang nicht.

Die NetzfeministInnen reagieren trotzdem empfindlich auf Assanges Namen im Programm des Hackertreffens. Früher war er ein gern gesehener Gast auf den Kongressen, als er Wikileaks 1.0 beim 26C3 vorstellt, erntet er Applaus. Inzwischen wird aber debattiert, ob man ihm überhaupt noch eine Bühne bieten darf, immerhin wird er der Vergewaltigung bezichtigt. „Lasst Assange los“, schreibt die feministische Bloggerin Katrin Roenicke, „er ist nicht der Held, den diese dystopischen Zeiten brauchen“.

Auch Bloggerin und Internetaktivistin sanczny versteht nicht, dass sich viele für den Auftritt Assanges aussprechen: „Dass man Frauen ausschließt, wenn man einem Vergewaltiger eine Bühne bietet, kapiert ihr nicht?“ Constanze Kurz, Sprecherin des CCC, verteidigt die Entscheidung der taz gegenüber: Ob ihm Sexualdelikte vorgeworfen werden, wäre nicht entscheidend, sondern ob er inhaltlich etwas zu sagen habe.

Macht der Kontrolle

Seit der inoffiziellen Gründung am 1. September 1981 ist der Club schnell gewachsen. Damals riefen „Tom Twiddlebit“ alias Klaus Schleisiek und „Wau Wolf Ungenannt“ alias Herwart Holland-Moritz die „Komputerfrieks“ des Landes zu einem Treffen in der damaligen taz-Redaktion in Berlin-Wedding. Es folgten regelmäßige Versammlungen in Hamburg und 1984 trafen sich 300 Hacker zum ersten Mal zu einem Kongress. Damals war Sexismus kein Thema. Für die Achtundsechziger galten Computer schlichtweg als Machtinstrumente, die der Überwachung und Kontrolle dienten.

1984 bewiesen die CCC-Mitglieder erstmals, wozu sie fähig waren. Sie zeigten, wie unsicher die Software der deutschen Post war, die Bankgeschäfte von zu Hause aus ermöglichte. Der CCC hackte den Account der Hamburger Sparkasse und sicherte sich damit über Nacht 135.000 Mark. Das Geld wurde zurückgegeben, die Post öffentlich vorgeführt.

Die Gründung: Das erste Treffen fand 1981 in den Redaktionsräumen der taz in Berlin-Wedding statt. Als offizieller Verein wurde der CCC erst 1986 eingetragen.

Der Erfolg: Von Freitag bis Montag, 27. bis 30. Dezember, findet der 30. Chaos Computer Congress (30C3) im Congress Center Hamburg statt. Über 4.000 Besucher werden erwartet. Live-Stream: www.ccc.de

Als offizieller Verein „zur Förderung der Informationsfreiheit und eines Menschenrechts auf mindestens weltweite ungehinderte Kommunikation“ wurde der CCC erst 1986 eingetragen. Der Verein und die Szene, die sich um ihn bildete, wurde anfänglich belächelt – eine Handvoll Exzentriker, die sich mit Dingen beschäftigten, die viele nicht verstanden. Wenige Jahre nach der Gründung gab es im Club Probleme mit Bespitzelung und Drogen. Der Club geriet ins Chaos und fiel auseinander.

Nach dem Mauerfall bildete sich in Berlin eine neue Grundlage für den CCC, der langsam zu dem wurde, was er heute ist. Eine unabhängige Organisation, die sich das Ziel gesetzt hat, die Daten der Zivilgesellschaft zu schützen und die ethischen Aspekte der Technik zu reflektieren. Mit etwa 3.600 Mitgliedern ist er heute der größte Hackerverband Europas.

Intransparente Strukturen

Durch die Ereignisse der letzten Jahre, die Diskussionen um Datenschutz, Vorratsdatenspeicherung, ACTA und NSA, hat der CCC einen festen Platz im politischen Alltag. Die Mitglieder werden gebraucht – im Bundesverfassungsgericht, bei Wirtschaftsforen und im Bundestag. Mit der Veröffentlichung von Schäubles Fingerabdruck protestierten sie gegen die zunehmende Speicherung biometrischer Daten. Zuletzt gelang es einem CCC-Mitglied, die Fingerabdruck-Sperre des neuen iPhone 5s zu umgehen.

Der CCC ist zu einer Institution herangewachsen, die ihre flachen Hierarchien erhalten möchte. Doch der Club stöhnt unter dem schnellen Wachstum. „Intern fehlen ihm Mechanismen um Meinungen wirklich demokratisch zu erfassen“, sagt Datenschutz-Experte Jürgen Geuter. Der CCC sei in seiner Entscheidungsfindung und den internen Strukturen auch Mitgliedern gegenüber sehr intransparent.

Nach außen wirkt der Club manchmal wie eine subversive Elite, doch mit möglichst großem Medienauftritt: Der Club arbeitet regelmäßig mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zusammen, dem Medium der Macher und Wirtschaftsbosse. Auch der Kongress öffnet sich: Seit vergangenem Jahr findet er im Congress Center Hamburg statt, um die wachsende Anzahl von Teilnehmern zu bewältigen. Bei einem breiteren Publikum ziehen natürlich die großen Namen wie Assange, kritisiert etwa der Blog meetinmontauk.

Fokus auf Helden

Auch Jacob Appelbaum, der für das Tor-Projekt arbeitet, das anonymes Surfen ermöglicht, zählt zu den großen Namen. Mit Edward Snowden, Chelsea Manning und Sarah Harrison stehen dem Club einige Helden zur Verfügung, die nicht so umstritten sind wie Assange. Doch wozu braucht der Club überhaupt Helden? „Sie machen Themen einfacher kommunizierbar“, so Geuter.

„Die Szene sollte aber aus Assange gelernt haben, dass der Fokus auf Heldenfiguren wichtige Ideen über die Verfehlungen ihrer Avatare angreifbar macht.“ Assange weiterhin eine Bühne zu geben hält der Blogger grundsätzlich für falsch: „Nicht nur wegen der Vorwürfe der Vergewaltigung, sondern auch wegen seiner Unterstützung rechtsradikaler Parteien in Australien und der diversen Antisemiten in seinem Umfeld.“

Der Club muss sich positionieren

Das Thema Sexismus beschäftigt den CCC zumindest seit letztem Jahr. Schon auf dem 29C3 gab es eine Debatte über Belästigung auf dem Kongress. Besonders der Umgang mit den Beschwerden wurde kritisiert. Der Club ist männlich dominiert und eher nonkonformistisch veranlagt, aber die wachsende Anzahl der weiblichen Mitglieder fordert mit Nachdruck einen respektvollen Umgang.

Das Flauscheria-Projekt, das mit Stick-, Koch- und Cocktail-Workshops einen Rückzugsort auf dem Kongressgelände bot, verteilte die sogenannte Creepercards. Rote und gelbe Zettel, um sexistisches Verhalten auf dem Kongress zu verwarnen, grüne, um sich bei solidarisierenden Personen zu bedanken. Doch die Aktion erntete viel Spott. Ein Moderator soll sich während seiner Veranstaltung über die Aktion lustig gemacht haben, schrieben einige Blogger. Einige BesucherInnen zweckentfremdeten die Karten und legten sie in Form eines Frauenkörpers aus.

Wie sinnvoll die Aktionen des feministischen Flügels waren, darüber lässt sich streiten. Doch stehen sie für den Erfolg des Clubs, der sich mit zunehmender Größe nun auch auf anderen gesellschaftlichen Ebenen positionieren muss.

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