Vortrag über eritreische Fluchtgründe: Wege aus dem Folterstaat

Über die Flucht von Eritreern nach Bremen sprach der Journalist und Deutschlehrer Jens M. Lucke im Rahmen der Integrationswoche in der Volkshochschule

Gerettet, aber nicht in Sicherheit: Italiens Marine birgt eritreische Flüchtlinge. Foto: August 2016, dpa

Die Wege eritreischer Flüchtlinge nach Deutschland interessieren heute in der Volkshochschule gerade mal zwölf TeilnehmerInnen, die im Rahmen der Bremer Integrationswoche zu dem Vortrag des Journalisten Jens M. Lucke gekommen sind. Dabei müssten wir uns gerade mit den Ursachen dieser jahrelangen Odysseen des Leids beschäftigen, so der Referent.

Monatlich 5.000 Menschen würden versuchen, systematischen Menschenrechtsverletzungen und dem lebenslangen Militärdienst in Eritrea zu entkommen. Mit 14.131 Asylanträgen in Deutschland und 312 aufgenommenen Flüchtlingen in Bremen seit 2015 sind Eritreer eine der größten Gruppen an Asylsuchenden. Ihre Anerkennungsquote liegt bei 95,5 Prozent.

Es ist das Desinteresse der deutschen Politik und letztlich auch der deutschen Bevölkerung, welches Lucke in seinem Vortrag anprangert: „Die Mitgliedsstaaten der UN unterstützen durch Entwicklungsgelder und Grenzschutz-Deals den menschenunwürdigen Umgang mit den Schutzlosen.“ Polizei, Militärs, Entführer und Schleuser erpressten die Flüchtlinge. In Deutschland würden ihnen durch die eritreische Botschaft eine Zwangssteuer abverlangt – mit Wissen und Duldung der Bundesregierung.

Der Vortragende berichtet, wie Eritreer aus UNHCR-Flüchtlingscamps in ägyptische Folterlager verschleppt werden. Dort würden die Familien zur Zahlung von hohen Lösegeldern aufgefordert, während sie am Telefon die Folter ihrer Angehörigen anhören müssen. Wer aus den Lagern entkomme, habe mit Verhaftung zu rechnen und warte monatelang in überfüllten Unterkünften auf eine der Bootsüberfahrten. Tausende seien dabei 2016 bereits wieder ertrunken. „Nur etwa zehn Prozent der Eritreer erreichen Europa, wo man ihnen das Erlebte oft nicht auf den ersten Blick ansieht“, sagt Lucke. Einer dieser Fälle endete in Bremen: Unter dubiosen, bis heute ungeklärten Umständen, wurde im Januar 2014 Kahsay Mekonen erhängt an einem Baum im Bürgerpark gefunden.

Der 48-jährige Eritreer Kahsay Mekonen wurde am 5. Januar 2014 erhängt an einem Baum im Bürgerpark gefunden.

Der obduzierende Rechtsmediziner fand eine Einstichstelle am Arm des Toten, die laut Mekones Anwältin als Indiz zu werten sei, dass ihr Mandant in die Hände eines Organhändlerrings gefallen sei. Außerdem wurde beim Toten ein Rucksack gefunden, wie ihn Menschenhändler verteilen. Auch hatte Mekonen eine Anzeige wegen Bedrohung gegen zwei Männer in den Niederlanden gestellt, der nicht nachgegangen wurde.

Die lückenhafte Aufklärung war Gegenstand einer Anfrage der Linken in der Bürgerschaft. Der Senat sah keine Anhaltspunkte für Fremdverschulden.

Eine Radio-Bremen-Reporterin, zwei niederländische JournalistInnen und Mekonens Anwältin Leonie Sinoo stellten eine Mordhypothese auf. Diese wird von Referent Lucke auf Nachfrage skeptisch beurteilt. „Man hat ausgeschlachtete Leichen in den Foltercamps gefunden, doch der Organhandel ist nicht systematisch organisiert, Lösegeldforderungen sind für die Schlepper lukrativer“, sagt er.

Desinteresse der überlasteten Justiz an komplizierten Fällen und die Sprachbarrieren seien häufig Gründe für mangelhafte Ermittlungen. Oft würden sich traumatisierte Flüchtlinge aus Zurückhaltung oder mangelndem Vertrauen niemandem anvertrauen, berichtet Lucke aus eigener Erfahrung als Leiter von Deutschkursen. Er fordert einen nachsichtigen Umgang mit den eritreischen Flüchtlingen, den Schutz vor Verfolgung auch in Deutschland und keine weiteren Flüchtlingsdeals mit afrikanischen Staaten. „Abkommen mit dem Sudan führen bereits zur Auslieferung von Flüchtlingen direkt an Eritrea, wo sie das sichere Todesurteil erwartet“. Denn ihre Fahnenflucht stehe unter Todesstrafe.

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