Vorwahlen in den USA: Und dann kam Sanders

Hillary Clinton wollte wenig Kraft in den Vorwahlkampf stecken. Sanders vermiest ihr die Tour. Gibt es jetzt einen „echten Wettbewerb der Ideen“?

Hillary Clinton

Die Parteistrategen und sie hatten sich das so schön ausgemalt: den zermürbenden Vorwahlkampf der Republikaner, die lockere PR-Tour von Clinton und den Durchmarsch ins Weiße Haus. Doch es kam anders. Foto: reuters

WASHINGTON taz | Hillary Clinton ließ sich zu einer ambitionierten Aussage hinreißen an diesem Abend in Iowa, an dem sie mit ansehen musste, wie Bernie Sanders ihr wirklich lästig wurde. „Ich bin eine Progressive, die für die Menschen Dinge erledigt.“ Clinton, die Progressive. So stellte sie sich dar nach der ersten Vorwahl zur US-Präsidentschaftswahl – in einer Rede, die bei einem Vorsprung gegenüber ihrem demokratischen Konkurrenten von nur 0,3 Prozentpunkten alles war, nur keine Siegesfeier.

Und diese Selbstbeschwörung versuchte sie am Donnerstagabend beim TV-Duell mit Sanders vor der zweiten Vorwahl in New Hampshire unter Beweis zu stellen. Sie spielte die Frauenkarte, sie referierte ihre Arbeit als Senatorin und Außenministerin und warf Sanders vor, sich zum Wächter darüber gemacht zu haben, was „progressiv“ ist.

Es sind schon viele Attribute für die Frau gefunden worden, die so gerne zur ersten Präsidentin der USA gewählt werden würde – als progressiv aber gilt sie eher nicht. Pragmatisch ist Clinton und steht natürlich für Feminismus, Gleichstellung und andere linke Selbstverständlichkeiten ein. Aber sie nimmt auch Geld von Superreichen, wenn es sie zum Ziel führt.

Nun führt das Ziel Präsidentschaft auf einmal über Sanders, der ihr am Donnerstag wiederholt ihre Nähe zum Establishment vorwarf und Clinton zwingt, sehr viel aggressiver zu agieren als bisher. Das ist lästig, weil sie nicht viel Kraft auf den Vorwahlkampf verschwenden wollte, galt sie doch als sichere Kandidatin bei den Demokraten. Die Parteistrategen und sie hatten sich das so schön ausgemalt: den zermürbenden Vorwahlkampf der Republikaner, die lockere PR-Tour von Clinton und den Durchmarsch ins Weiße Haus. Alle starken innerparteilichen Gegner – die linke Senatorin Elizabeth Warren, Vizepräsident Joe Biden – verzichteten auf eine Kandidatur.

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Und dann kommt der 74-jährige Sanders und schnappt ihr bei der ersten Vorwahl in diesem langen Wahljahr gefühlt den Sieg weg. Clinton formuliert darauf – gezwungenermaßen –, dass es nun die seltene Möglichkeit für die Partei gebe, einen „echten Wettbewerb der Ideen“ auszutragen.

Ideen, die in diesem Vorwahlkampf links wie rechts eher am Rand der jeweiligen Ideologien entstehen. Sanders nennt sich selbst einen „demokratischen Sozialisten“; mit seinen Ideen von sozialer Gerechtigkeit und dem Kampf gegen den Kapitalismus firmiert er in den USA schlicht als Sozialist.

Aus europäischer Sicht ist sein Wahlprogramm nicht sehr links, Konzepte wie Erziehungsurlaub und erschwingliche Kinderbetreuung sind sozialdemokratische Standards. Doch in den USA ist so etwas fast radikal. Und Sanders hat damit etwas mit Donald Trump und Ted Cruz, den Führenden im Vorwahlkampf der Republikaner, gemein. Auch sie sind in ihrer Programmatik radikal, noch dazu populistisch und binden im rechten Spektrum Fans an sich so wie Sanders auf linker Seite.

Hillary Clinton

„Ich bin eine Progressive, die für die Menschen Dinge erledigt“

Trump und Sanders kommen in ihren Wahlkämpfen dabei immer wieder auf ein klassisches Motiv zurück: den amerikanischen Traum. Als Trump seine Kandidatur verkündete, sagte er: „Der amerikanische Traum ist tot.“ Und Bernie Sanders formulierte schon vor Jahren: „Der amerikanische Traum ist zu einem Albtraum geworden.“

Das so wichtige Leitmotiv, aus dem die Menschen stets Hoffnung gezogen haben, selbst wenn es keine mehr zu geben schien, steht aus linker wie rechter Perspektive auf dem Spiel. Tatsächlich ist der Traum für viele verblasst, und die Popularität von Trump und Sanders zeigt, dass auf der Suche nach Lösungen kontroversere Antworten als die des politischen Mainstreams attraktiv werden.

Der Traum verschwindet gemeinsam mit der sich auflösenden Mittelschicht. Vierzig Jahre lang gehörte die Mehrheit der Bevölkerung der Mittelklasse an, sie war stets der Kern dieses Traums, es schaffen zu können: das eigene Haus, das eigene Auto, die Finanzierung der College-Ausbildung der Kinder. Im vergangenen Jahr kippten die Verhältnisse, wie eine Analyse des Pew Research Center zeigt.

Einkommen der Mittelschicht stagniert

Erstmals gehören mehr Menschen der Unter- und Oberschicht an. Dazu kommt, dass das Einkommen derer, die noch zur Mittelschicht gehören, stagniert. Und die sogenannte Gig-Economy prägt sich weiter aus. Der Job als Gig, als kurzfristiges Engagement, ständig wechselnd, flexibel auf der einen, unsicher auf der anderen Seite. Arbeitnehmer in den USA waren schon immer anpassungsfähig, stets beflügelt durch die kulturell propagierten unbegrenzten Möglichkeiten. Nun arbeiten 40 Prozent der Arbeitnehmer in mehr oder weniger prekären, weil unsicheren Beschäftigungsverhältnissen.

Die „Blue-collar“-Jobs, die in den Industrien des Landes die Grundlage der Mittelklasse bildeten, sind nicht mehr da. Die Menschen, die an dieses Leben geglaubt haben, schon. Sie fühlen sich abgehängt. Und die Jüngeren, die in drei bis vier Jobs gleichzeitig arbeiten und sich den 99 Prozent verbunden fühlen, blicken auf die ein Prozent, die den Reichtum anhäufen und für die soziale Gerechtigkeit ein Fremdwort zu sein scheint.

Den Zahlen des Niedergangs zum Trotz hat sich die US-Wirtschaft in den letzten Jahren erholt, die Arbeitslosigkeit ist niedrig. Es ist so auch eine gefühlte Wahrheit, die mitschwingt. Eine Lebensrealität, die sich nicht allein in Fakten bemisst und der Trump und Sanders begegnen, jeder auf seine Art.

Nach den Vorwahlen in Iowa belegt eine Umfrage der Washington Post und anderer Medien, aus welchen Gründen Trump respektive Sanders unterstützt wurden: „Sagt es, wie es ist“, fanden 56 Prozent bei Trump. Bei Sanders stimmten 73 Prozent der Aussage zu: „Macht sich Gedanken über Menschen wie mich.“

Slogan von Ronald Reagan geklaut

Beide Politiker weben ihre Auftritte geschickt um diese Unterstützung herum. Trump wirbt mit dem Slogan „Make America Great Again“, geklaut von Ronald Reagans erfolgreichem Wahlkampf 1980. Die Verheißung ist: Jeder kann es schaffen, jeder kann werden wie ich und aus einem Penthouse über New York blicken.

Natürlich hat Trump rein gar nichts mit der unglücklichen, weißen, konservativen Mittelschicht zu tun. Wie er der Nation zu neuer Größe verhelfen will, bleibt nach Monaten der Reden und Auftritte weiter im Ungefähren. Außer seinem Rassismus, den er gegenüber Latinos und Muslimen gleichermaßen hegt, verspricht er lediglich, dass er seine Versprechen halten wird. Und wenn es am Ende mit Geld ist. Das ist die Trumpfkarte in einer Geschäftswelt, die er beherrscht. Warum also nicht auch in der Politik?

Sanders wiederum baut seinen Wahlkampf allein auf der „Anti-Establishment“-Karte auf. Wir gegen die – das ist sein Motto, und natürlich zählt er sich zur Masse, nicht zur Elite. Sein Plan, die Wall Street zu besteuern, ist dabei – wenn auch sehr viel charmanter – in den USA ebenso realitätsfern wie Trumps Idee, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen. Donald Trump und Ted Cruz sind mit ihrem rechten Populismus bei Weitem gefährlicher, sie nähren den Frust ihrer Unterstützer mit großem Kalkül.

Auch Sanders hängt mit seinen Anti-Establishment-Ideen von der Wut seiner Anhänger „auf die anderen“ ab. Seine Pläne für die Wiedererweckung des amerikanischen Traums haben nichts Gefährliches, sie sind authentisch statt kalkuliert. Aber auch kompromisslos.

Die Worthülse „progressiv“

In New Hampshire finden am Dienstag die zweiten Vorwahlen statt. Sanders führt die Umfragen vor Clinton an. Siegt er, zwingt er Clinton dazu, der Worthülse „progressiv“ tatsächlich Inhalte folgen zu lassen. Der Demokratischen Partei wird das mit Hinblick auf das eigentliche Rennen um die Präsidentschaft Sorgen bereiten. Doch einem Land, im dem linke Ideen schon so lange in einer Nische stattfinden, würde es guttun.

So wie es den Republikanern guttun würde, wenn weder Trump noch Cruz – in den Umfragen führt der Immobilienmogul – in New Hampshire siegten. Es würde der Partei Raum schaffen, endlich konservative Ideen für die Zukunft des Landes zu diskutieren und nicht immer nur radikale und schrille. Dann hätten die USA auf beiden Seiten des politischen Spektrums einen Wahlkampf der Inhalte. Und der amerikanische Traum womöglich eine Zukunft.

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