Vorwürfe gegen Hamburgs Innenbehörde: "Weniger Abschiebungen als die CDU"

Hamburgs Ausländerbehörde soll Mutter mit Wegnahme ihres Babys gedroht haben. SPD-Innensenator Neumann verspricht Aufklärung.

Will Vorwürfe aufklären: Innensenator Michael Neumann Bild: dpa

taz: Herr Neumann, die Roma-Familie Aliji wurde am Freitagabend Opfer eines Einsatzes der Ausländerbehörde, der einem Polizeistaat zur – zweifelhaften – Ehre gereichen würde. Was ist da genau vorgefallen?

Michael Neumann: Der genaue Hergang ist noch offen. Das Dezernat Interne Ermittlungen hat die Untersuchung des Vorfalls eingeleitet. Die erhobenen Vorwürfe werden aufgeklärt.

Gehört es zur gängigen Praxis der Ausländerbehörde, Mütter durch Beschlagnahme ihres Babys zu Auskünften zu nötigen?

Natürlich nicht. Deshalb kann ich mir auch nicht vorstellen, dass so etwas vorgekommen sein soll. Wenn doch, wäre das in der Tat nicht akzeptabel. Für Weiteres müssen wir aber die Ergebnisse der Ermittlungen abwarten.

42, Berufssoldat, Politologe. Seit 1997 in der Bürgerschaft, seit 2004 Fraktionschef. Seit 2011 Innensenator. Verheiratet mit der SPD-Bundestagsabgeordneten Aydan Özogguz, eine Tochter

Gibt es in der Ausländerbehörde einen unseligen Corpsgeist, eine Wagenburgmentalität?

Die Kolleginnen und Kollegen in der Ausländerbehörde erfüllen eine sehr schwere und auch emotional belastende Aufgabe. Zudem stehen sie im Fokus öffentlicher Beschuldigungen, mit denen ein Bild gezeichnet wird, das aus meiner Sicht falsch ist.

Die Familie Aliji sollte am Freitag nach Mazedonien ausreisen. Dabei eskalierte die Situation in bislang noch ungeklärter Weise. Der Vater wurde abgeschoben, Mutter und fünf Kinder sollen folgen.

Die Familie Racipovic: Ende Juni wurde die fünfköpfige Roma-Familie nach Serbien ausgewiesen, obwohl die drei Kinder hier geboren sind. Zwei von ihnen waren noch Mitte Juni von SPD-Schulsenator Ties Rabe ausgezeichnet worden.

Die Familie Sarkissian: Seit 13 Jahren lebt die 43-jährige Armenierin Armine Sarkissian in Hamburg. Die 17-jährige Tochter Melania steht kurz vor dem Abi, die elfjährige Anna ist gebürtige Hamburgerin. Die Ausländerbehörde bezweifelt die Identität der drei. Seit März erhalten sie kein Geld mehr und leben von Spenden.

Was passiert mit der Familie Aliji?

Darüber wird mit der Mutter gesprochen. Fakt ist: Es besteht eine gesetzliche Ausreisepflicht.

SPD-Fraktionschef Andreas Dressel hat im taz-Interview angeregt, die Arbeit der Härtefallkommission der Bürgerschaft transparenter zu machen. Was halten Sie von dem Vorschlag?

Ich kann, will und darf als Senator dem Parlament nicht reinreden. In der Öffentlichkeit wird aber häufig nur eine Version – die der Betroffenen – dargestellt. Es wäre von Vorteil, wenn beide Seiten zu Wort kommen könnten. Solche Vorgaben sind aber Aufgabe der Parlamente, es geht ja um gesetzliche Vorschriften wie zum Beispiel den Datenschutz.

Wenn die SPD-Fraktion einen solchen Gesetzesvorschlag vorlegen würde, wären Sie dann gesprächsbereit?

Sollte das Parlament die Meinung der Innenbehörde dazu hören wollen, machen wir das. Ich hielte es für einen Vorteil, mehr Transparenz herzustellen. Wir sind ja durch rechtliche Vorgaben gehindert, uns zu äußern. Dadurch entsteht in der Öffentlichkeit schon mal eine argumentative Schieflage.

Dann könnten Sie Ihre Heimlichtuerei aber nicht mehr weiter betreiben. Kämen Sie dann nicht in Rechtfertigungsnöte?

Es gibt keine Heimlichtuerei. Wir halten uns an Recht und Gesetz.

Der grüne Fraktionschef Jens Kerstan hat Ihnen am Freitag im taz-Interview vorgeworfen, eine Ausländerpolitik wie einst der Rechtspopulist Ronald Schill zu betreiben.

In meiner Amtszeit gibt es jedenfalls weniger Abschiebungen als unter dem schwarz-grünen Vorgängersenat. Da war Herr Kerstan auch schon Fraktionsvorsitzender und sollte es eigentlich besser wissen.

Herr Kerstan behauptet weiter, Sie würden als Senator keinen politischen Einfluss auf die Ausländerbehörde nehmen. Haben Sie eine Beißhemmung?

Wir sind ein Rechtsstaat. Recht und Gesetz bestimmen das Vorgehen.

Eine politische Entscheidung wäre zum Beispiel ein Abschiebestopp für Roma und Sinti im Winter gewesen.

Den gab es faktisch. Als Innensenator aber darf ich für Hamburg einen solchen Abschiebestopp für höchstens sechs Monate erlassen. Danach wäre eine einheitliche Regelung mit dem Bund und den anderen Bundesländern erforderlich. Dafür gibt es leider auf Bundesebene und bei den Länderkollegen null Bereitschaft. Ich habe dies mehrfach auf der Innenministerkonferenz angesprochen.

Also bessert sich nichts?

Wir haben eine Initiative im Bundesrat gestartet mit dem Ziel, Kindern mit Schulabschluss ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu geben, unabhängig von möglichen früheren Verfehlungen ihrer Eltern. Dafür haben wir die Unterstützung der anderen SPD- und Grün-regierten Bundesländer. Ich hoffe stark, dass auch CDU und CSU über ihren Schatten springen können. Wenn nicht, haben wir hoffentlich nach der Wahl in Niedersachsen im Januar und nach der Bundestagswahl im September 2013 in beiden Häusern die Mehrheit, um das Ausländerrecht endlich an die Lebensrealität anzupassen. So lange Recht und Gesetz in Deutschland aber – ich betone ausdrücklich: leider – anders aussehen, bin ich als Senator gehalten, das anzuwenden.

Werden die armenischen Mädchen Melania und Anna und ihre Mutter Armine (siehe Kasten) dann noch in Hamburg sein?

Sie werden sofort einen abgesicherten Aufenthaltstitel erhalten, wenn sie ihre Pässe vorlegen und ihre Identität nachweisen. Ich hoffe, dass das schnell passiert. Dann werden sie in Hamburg bleiben.

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