Votum über britischen Premierminister: Hopp oder top für Johnson

Großbritanniens konservative Parlamentsfraktion stimmt über Boris Johnson als Parteichef ab. Verliert er, ist er auch als Premier Geschichte.

Boris Johnson, Premierminister von Großbritannien, greift sich an die Stirn

Muss sich am Abend einem Misstrauensvotum stellen: Großbritanniens konservativer Premier Johnson Foto: Chris Jackson/dpa

LONDON taz | Das Soll von 54 Anträgen – 15 Prozent der aktuell 359 Abgeordneten zählenden konservativen Fraktion im britischen Unterhaus – zu einem Misstrauensvotum gegen Boris Johnson als Parteichef der britischen Tories ist erreicht. Das verkündete am Montagmorgen Graham Brady, Vorsitzender des „1922 Committee“, das alle konservativen Abgeordneten ohne Regierungsamt vereint. Johnson sei bereits am Sonntagabend benachrichtigt worden und man habe sich auf eine Abstimmung so bald wie möglich geeinigt. Dieser Termin ist Montagabend zwischen 18 und 20 Uhr.

In einem Raum im britischen Parlamentsgebäude entscheiden somit die konservativen Abgeordneten am Abend in geheimer Abstimmung über Boris Johnsons Zukunft. Sollte die Mehrheit der Fraktion ihm das Misstrauen aussprechen, müsste die Partei sich einen neuen Chef suchen, und bei dieser Wahl könnte Johnson nicht mehr antreten. Sollte Johnson das Vertrauen von mindestens 180 Abgeordneten bewahren, wäre er die nächsten zwölf Monate vor einem erneuten Abwahlversuch sicher.

Das Misstrauensvotum ist eine direkte Konsequenz des Partygate-Skandals. Der abschließende Untersuchungsbericht der Spitzenbeamtin Sue Gray über Partys während der pandemiebedingten Lockdowns in 10 Downing Street hatte schwere Mängel in der Führung des Amtes festgestellt. Auch die Polizei hatte wegen Lockdown-Regelbrüchen ermittelt und Johnson hatte für eine Veranstaltung gemeinsam mit seiner Frau eine Bußgeldstrafe erhalten.

Das Votum war nur eine Frage der Zeit

Seit der Veröffentlichung des Gray-Berichts gab es alle paar Tage neue öffentliche Erklärungen von konservativen Unterhausabgeordneten, die Johnson schwer für seine Unfähigkeit rügten, nicht dafür zu sorgen, dass die von ihm selbst verfügten Kontaktbeschränkungen, an die sich alle Bri­t:in­nen halten sollten, auch in 10 Downing Street eingehalten wurden. Die Medien spekulierten beständig, wann die Anzahl der einzeln bei der Fraktionsführung einzureichenden Misstrauensanträge schon die magische Zahl 54 erreichen würde. Ein Misstrauensvotum gegen Johnson war eigentlich nur noch eine Frage der Zeit.

Die Frage ist nun, ob sich ausreichend Abgeordnete gegen Johnson entscheiden werden. Klar scheint, dass die Gruppe um Theresa May gegen ihn stimmen wird, denn einst hatte Johnson gegen sie ein solches Votum angeführt – und verloren. Aber auch andere Abgeordnete quer durch die politischen Lager innerhalb der Konservativen fürchten inzwischen, dass Johnson nur noch eine Belastung darstellt. Die Prognosen bezüglich zweier weiterer Nachwahlen am Ende dieses Monats sind verheerend. Die Tories könnten da beide Wahlkreise verlieren, die Fraktion, die nach den Wahlen 2019 noch 365 Abgeordnete zählte, schrumpft.

Sollte Johnson das Votum verlieren, müssen sich die Konservativen für eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger entscheiden. Wer das sein könnte, ist unklar. Lange Zeit galt Finanzminister Rishi Sunak als Favorit, aber durch Partygate und eine Finanzaffäre seiner Frau ist er selber geschädigt. Ins Rennen ziehen könnten der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses im Parlament, Tom Tugenhat, der ehemalige Gesundheitsminister Jeremy Hunt, der 2019 bei der letzten Tory-Führungswahl gegen Johnson unterlegen war, Außenministerin Liz Truss und eventuell Verteidigungsminister Ben Wallace, der durch sein entschlossenes Auftreten im Ukrainekrieg an Profil und Respekt gewonnen hat.

Kurioserweise ist gleichzeitig das Schicksal des Labour-Oppositionsführers Keir Starmer und seiner Stellvertreterin Angela Rayner in der Schwebe. Beide haben vor wenigen Wochen angekündigt, dass sie zurücktreten würden, sollte die Polizei einen Corona-Regelbruch bei einem Abendessen vor der Nachwahl in Hartlepool 2021 feststellen, das Starmer als Arbeitstreffen deklariert hatte.

Boris Johnson wiederholte in den letzten Wochen, er habe sich entschuldigt, strengere Regeln in 10 Downing Street eingeführt, und wolle nun weiter die Politik betreiben, die er 2019 bei der Wahl versprochen hätte. Damals gewann Johnson mit einer soliden Mehrheit von 80 Abgeordneten. Niemand hielt es da für möglich, dass seine Regierung keine drei Jahre später so in Gefahr rutschen könnte.

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