WM-Eröffnungsspiel Deutschland-Kanada: Allora Schadensbegrenzung

Carolina Morace trainiert die Kanadierinnen seit zwei Jahren und hat aus ihnen ein Topteam gemacht. Obwohl sie es mit ihrem Verband alles andere als leicht hat.

Ist ganz froh, nicht Favorit zu sein: Kanada-Trainerin Carolina Morace Bild: reuters

BERLIN taz | Nach einer Viertelstunde ist es vorbei. Die Presse wird in ein Kabuff des Berliner Mommsenstadions gesperrt. Sogar die Security-Leute dürfen das Training der Kanadierinnen nicht mehr anschauen. Pressechef Richard Scott überwacht die Verbringung der potenziellen Späher mit strenger Miene. Die Kanadier tun sehr geheim vorm Spiel gegen die Deutschen am Sonntag (18 Uhr, ARD und Eurosport) im Berliner Olympiastadion.

Wie im Männerfußball ist es mittlerweile auch bei den kickenden Frauen üblich, Journalisten nach 15 Minuten von der Tribüne zu scheuchen. Sie könnten ja sehen, wie der möglicherweise siegbringende Freistoß trainiert wird oder die ultimative Ecken-Variante. Man mag das absurd finden oder konsequent, Fakt ist, dass sich exakt zwei deutsche und drei kanadische Schreiber die Zeit vertreiben müssen. Nach einer guten Stunde lässt Scott die Türen öffnen. Man sieht ein paar Spielerinnen beim Jogging, die anderen machen Stretching auf dem regennassen Rasen der Spielstätte von Tennis Borussia Berlin.

Scott ist immerhin so freundlich, den Ausgesperrten die kanadische Trainerin Carolina Morace, 47, zuzuführen. Morace ist Italienerin. Sie hat 154 Länderspiele gemacht und einen guten Draht zu Bundestrainerin Silvia Neid. Morace trainiert Kanada seit zwei Jahren. Ihr zur Seite steht ein Dolmetscher, aber sie schafft's auch ganz gut alleine, sich auf Englisch verständlich zu machen.

„Allora“, sagt sie, „Deutschland ist das beste Team in der Welt, das ist uns klar. Aber unsere Qualität besteht darin, dass wir genau wissen, was wir auf dem Platz zu tun haben.“ Manchmal sei es von Vorteil, nicht der große Favorit zu sein. „Es geht nicht darum, die Deutschen zu schlagen, sondern gut zu spielen. Sie sind besser als wir.“ Das klingt nach Understatement, aber das ist nur die halbe Wahrheit.

Morace hat es geschafft, aus Kanada ein Topteam zu formen, jedenfalls haben sie das nordamerikanische WM-Qualifikationturnier gewonnen – vor Mexiko und dem Ex-Weltmeister USA. Kanada ist in der Weltrangliste so gut platziert wie noch nie: auf Rang sechs. Die Deutschen bekommen es zweifelsfrei mit dem besten kanadischen Team aller Zeiten zu tun, angeführt von der Weltklasseangreiferin Christine Sinclair, 28, die in der US-Profiliga für Western New York Flash spielt und trainiert von einer Frau, die dabei ist, den kanadischen Frauenfußball umzukrempeln. Dabei schreckt Morace auch nicht vor Konflikten mit Verbandsoberen zurück. Im Februar drohte sie damit, den Job nach der WM aufzugeben.

Unterschiedliche Visionen

Der Verband unterstütze sie zu wenig auf ihrem Weg nach oben, hieß es. „Wir hatten unterschiedliche Visionen, wie man die Spitze erklimmen kann“, sagt sie der taz, „es ging darum, wie man das Topniveau am besten erreichen kann.“ Die ganze Sache war wohl doch ein wenig ernster, als sie zugibt. Der kanadische Verbandspräsident Dominic Maestracci musste extra nach Italien reisen, um die Wogen zu glätten. Seit Anfang dieses Monats steht aber fest, dass Morace bleibt. Die Spielerinnen standen die ganze Zeit hinter ihr, hatten sogar mit einem Boykott der Olympischen Spiele in London gedroht, falls der Verband nicht auf Moraces Forderungen eingeht.

„In den letzten zwei Jahren hatten wir eine Menge zu tun, wir mussten alles von Grund auf aufbauen“, sagt sie. Vor allem muss endlich eine eigene Profi-Liga her, findet Morace. Denn die gibt es in Kanada nicht. Nach dem College ist es für viele Spielerinnen schwer, weiter hochklassig Fußball zu spielen. Nicht jede schafft es in die Liga der Women’s Professional Soccer (WPS), der sechs US-Teams angehören – oder in die zweitklassige W-League, in der die Vancouver Whitecaps, Ottawa Fury oder Toronto Lady Lynx spielen. Im kanadischen WM-Kader stehen 11 (!) vereinslose Spielerinnen.

Deutschland ist für Morace ein großes Vorbild, als Blaupause für eine Kopie der Fußballstrukturen. So wie in Frankfurt oder Potsdam müsse überall Nachwuchsarbeit betrieben werden. Auch den deutschen Spielbetrieb findet sie gut, „denn wer nicht regelmäßig im Wettkampf gefordert wird, der kann keinen Spielrhythmus entwickeln“.

Ihre Spielerinnen hat sie zwei Monate in Rom gedrillt. „Rom klingt gut“, sagt Morace, „aber ich kann ihnen versichern: Wir haben dort keinen Urlaub gemacht.“ Die Spielerinnen folgen der resoluten Trainerin, die 1999 drei Monate lang einen italienischen Drittligisten, den Männerverein Calcio Viterbese, gecoacht hat, mittlerweile blind. „Sie hat uns zu Fußballerinnen geformt, vorher waren wir nur Athletinnen“, schwärmt Sinclair. „Sie fordert jeden Tag das Äußerste von uns“, sagt Carmelina Moscato, „sie ist emotional, leidenschaftlich, und nebenbei gesagt, sie ist der beste Coach, den wir jemals hatten.“ Gegen Deutschland ist aber erstmal Schadensbegrenzung angesagt. Mehr als eine mit Anstand ertragene Niederlage ist wohl nicht drin.

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