WM-Qualifikation gegen Schweden: Die perfekt herausgespielte Krise

Ein Spiel, zwei Realitäten: Mit dem 4:0 gegen Schweden gelingt der Nationalelf das fast perfekte Spiel. Nach dem 0:4 gegen Schweden wird es eng für Löw.

Das Spiel gegen die Skandinavier wird wohl als das vorerst ambivalenteste in die deutsche Fußballgeschichte eingehen. Bild: dpa

Makellos: Joachim Löw hat sein Versprechen eingelöst. Immer wieder spricht der Bundestrainer von der Möglichkeit, die Mannschaft weiterzuentwickeln. Alle Zweifel daran sind seit Dienstagabend ausgeräumt. „Wir haben alles im Griff gehabt“, meinte Löw nach dem Spiel. Er war stolz. Zu Recht! „Absolut hervorragend“ habe seine Mannschaft gespielt.

Ist sie nun endlich vorbei, die ermüdende Diskussion über seine Person, die seit der Niederlage gegen Italien im EM-Halbfinale nicht enden will? Nach dem beeindruckenden 4:0 im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden könnten sie verstummen, die Abschiedsreden, die seit Wochen auf Löw gehalten werden. Das System Löw lebt.

Er hat sein 4-2-3-1-System nach vorne verschoben. Das frühe Pressing machte die Schweden ratlos. Löw hatte versprochen, das Arbeiten gegen den Ball perfektionieren zu wollen, um seinem schwungvollen Angriffsspiel eine aggressive Defensive hinzuzufügen. Er hat sein Versprechen gehalten.

Ja, ein paarmal waren die Schweden schon am Ball – als Ballbesitz konnte man dies indes nie bezeichnen. So schnell konnten Zlatan Ibrahimovic’ Kollegen – hat der Spitzenverdienerstürmer der Schweden überhaupt mitgespielt? – gar nicht schauen, da war der Ball schon bei den Deutschen.

Wunderbarer Schnellspieler

Bei denen holte sich der zweifache Torschütze Miroslav Klose die Bälle auch mal von ganz weit hinten, und Toni Kroos hat gezeigt, wie er auch von der Sechserposition aus das Spiel lenken kann. Und da war der wunderbare Schnellspieler Marco Reus, der auf der linken Seite so schön mit Philipp Lahm harmonierte (Schluss jetzt bitte mit all dem Gerede über die Feindschaft von Bayern und Borussen im Team!).

Löw hat Reus als vielleicht entscheidenden Baustein in seine Offensive gesetzt, sodass man nun, ohne Übertreiben zu müssen, sagen kann: Die DFB-Elf ist dem Ideal des perfekten Angriffsspiels sehr nahe gekommen. „Oh, wie ist das schön!“ Die deutschen Zuschauer verfielen früh in die schönste Schunkelstimmung.

„So was hat man lange nicht gesehen!“ Die Fans waren schnell vollends eins geworden mit ihrer Mannschaft und zeigten ihre Liebe zum schönen Spiel. Es war ein beinahe märchenhafter Abend, an dem sich keiner der Anwesenden vorstellen konnte, dass das Wort „Fußball“ jemals mit Begriffen wie „rackern“ oder „Maloche“ in Verbindung gebracht wurde.

So leicht, so einfach hat ausgesehen, was die Deutschen da auf den Platz gezaubert haben. Einziger hässlicher Moment des Spiels waren die im Berliner 30er-Jahre-Tempel immer wieder besonders widerlich wirkenden „Sieg!“-Rufe der deutschen Fans. Alles andere war einfach schön!

***

Katastrophal: Am Ende herrschte Ratlosigkeit und Entsetzen. Es war eine Niederlage, wie sie der deutsche Nationalmannschaftsfußball vielleicht noch nie erlebt hat. Das 0:4 im WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden stellt den absoluten Tiefpunkt in der Ära Joachim Löw dar. Dem fiel zur Verarbeitung der Niederlage nicht viel mehr ein, als der Satz, den man hört, seit Löw im Sommer 2006 das Traineramt der DFB-Elf übernommen hat: "Wir werden daraus lernen." Diese Ankündigung ist beinahe noch magerer, als es die Darbietung der deutschen Fußballer auf dem Feld war.

Die Diskussion über die Befähigung des Bundestrainers für seinen Job wird nach diesem Spiel weitergehen. Längst steht die Frage im Raum: Bundestrainer, kann der das überhaupt? Drei Punkte sind es, die immer wieder kritisiert werden. Er könne nicht coachen, heißt es zum einen immer wieder, verstehe es nicht vom Spielfeldrand aus die richtigen Impulse zu geben.

Seit der rätselhaften Einwechslung des Sprinters David Odonkor im vergeigten EM-Vorrundenspiel 2008 gegen Kroatien gab es immer wieder Situationen, in denen man Löw mangelnde Reaktionsfähigkeit im Spiel vorwarf. Gegen Schweden wechselte er Mario Götze für Thomas Müller ein und Lukas Podolski für Marco Reus. Die Frage, warum er - obwohl er doch sehen musste, wohin die Reise gehen würde - nicht die Defensive gestärkt hat, steht im Raum.

Und auch all diejenigen, die Löw vorwerfen, er habe es versäumt, in der Mannschaft klare Hierarchien zu installieren, müssen sich nach dem Desaster von Berlin bestätigt fühlen. Die Führungsspielerdiskussion, die immer mal wieder aufflackert, wenn die Mannschaft nicht funktioniert, treibt auf einen neuen Höhepunkt zu.

Wo ist der Leithammel?

Hinter ihr steht die alte Frage: Wo ist der Leithammel, dem es gelingen könnte, die Spieler aufzurütteln, die es versäumen, konzentriert genug zu Werke zu gehen? Die Bubitruppe, deren Kapitän wie ein Musterschüler daherkommt, dem vor allem wichtig ist, seinem Lehrer zu gefallen, taumelte in der Tat orientierungslos über den Rasen.

Und zum Dritten werden auch all diejenigen wieder auf den Plan treten, die in Löw inzwischen einen schlechten Taktiker sehen, der sich mit seiner Angsthasenaufstellung im EM-Halbfinale gegen Italien blamiert habe. Seine taktische Reise vom 4-4-2-Apologeten zum 4-2-3-1-Fußballverwalter hat demnach kein Ziel. Allein die kreative Begabung seines Kaders, könnte eingewendet werden, habe der deutschen Mannschaft ein Blamage zu einem früheren Zeitpunkt erspart.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.