Debatte zu Merz' Waffen-Lieferstopp: Die Union muss sich der Realität stellen
Die Aufregung bei CDU und CSU über den Teil-Lieferstopp von Waffen nach Israel ist groß – und sie ist komplett von der Lage in Gaza entkoppelt.

S eit Bundeskanzler Friedrich Merz verkündet hat, die Ausfuhr von Rüstungsgütern, die in Gaza eingesetzt werden könnten, nach Israel zu stoppen, ist in Teilen der CDU und bei der CSU die Aufregung groß, flankiert wird diese vom Springer-Verlag. Die Vorwürfe dabei sind bodenlos: Sie reichen von „Täter-Opfer-Umkehr“, dem Einknicken vor dem „antisemitischen Mob der Straße“ über einen vermeintlichen Sieg von Hamas-Propaganda bis zum Bruch mit den Grundsätzen der Unionspolitik.
Was fehlt: die Auseinandersetzung mit dem, was in Gaza geschieht. Mit der Realität der israelischen Kriegsführung und dem Hunger der Zivilbevölkerung, mit den Bedenken des Armeechefs, der scharfen Kritik von ehemaligen Generalstabs- und Geheimdienstchefs sowie den Forderungen der Angehörigen der Geiseln nach einem Waffenstillstand. Stattdessen: das unbeirrte Festhalten an alten Glaubenssätzen. So wird deutsche Israel-Politik zu einer bedingungslosen Solidarität mit der israelischen Regierung, unabhängig davon, ob diese das Völkerrecht bricht.
Nüchtern betrachtet ist Merz’ Schritt zwar inhaltlich weder gänzlich neu noch materiell besonders wirkungsvoll, sondern vor allem symbolisch. Auch die Ampel hat die Waffenlieferung an Israel eingeschränkt. Der Unterschied: Merz, und damit ausgerechnet ein CDU-Kanzler, macht diesen Schritt öffentlich – und potenziert damit die Wirkung. Weil er erst vor wenigen Monaten die Ampel dafür im Bundestag scharf kritisierte, wirkt Merz allerdings nicht besonders stringent.
Angesichts der sich zuspitzenden humanitären Lage in Gaza hatten Merz und sein Außenminister Johann Wadephul zuletzt die Rhetorik gegenüber Israel verschärft – ohne Auswirkungen. Kaum hatte Wadephul nach seiner letzten Reise voller Forderungen das Land verlassen, kündigte Netanjahu an, den Krieg in Gaza zu verschärfen.

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Allein, um nicht jede Glaubwürdigkeit zu verlieren, musste die Bundesregierung jetzt Konsequenzen ziehen. Es ist ein überfälliger Schritt, andere müssten dringend folgen. Doch Merz hat weitreichenderen Forderungen aus anderen europäischen Ländern, wie etwa nach der Aussetzung des Assoziierungsabkommens oder einer völkerrechtlichen Anerkennung Palästinas, erneut eine Absage erteilt. Weshalb auch die Aufregung hierzulande nicht nachvollziehbar ist.
Bei seiner Entscheidung weiß Merz zwei Drittel der Bevölkerung hinter sich. Ein großer Teil der Deutschen kann mit einer bedingungslosen Hardliner-Politik nichts mehr anfangen. Will die Union die grundsätzliche Unterstützung für Israel erhalten, muss sie sich endlich der Realität stellen.
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