Wagenknechts Rückzug von „Aufstehen“: Denunziatorische Ausfälle

Die Bewegung „Aufstehen“ hat sich auf Bundesebene zerlegt. Der grüne Mitgründer Ludger Volmer sucht nach Gründen des Scheiterns.

Einige "Aufstehen"-Funktionäre, darunter Wagenknecht und Volmer

Da waren sie noch ein Herz und eine Seele: Ludger Volmer und Sahra Wagenknecht im September 2018 in der Bundespressekonferenz Foto: Reuters

BERLIN taz | Er war der Grüne an Sahra Wagenknechts Seite. Gemeinsam mit der Vorsitzenden der Linksfraktion präsentierte Ludger Volmer Anfang September des vergangenen Jahres in der Bundespressekonferenz das „Aufstehen“-Projekt. Es sollte der Startschuss einer „überparteilichen Sammlungsbewegung“ sein. Nicht weniger, als die „die Politik zurück zu den Menschen“ und „die Menschen zurück in die Politik“ zu bringen, versprachen die GründerInnen. Gut ein halbes Jahr später ist davon nicht mehr viel übriggeblieben.

Jetzt hat Volmer, neben Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer das prominenteste grüne Gesicht bei „Aufstehen“, eine bittere Bilanz verfasst. Ein „sektiererisches Anhimmeln von Sahra durch ihre Boyfans“ habe ebenso zu dem Desaster beigetragen wie „strategische Manöver einer Strömung der Linkspartei“. Der von Wagenknecht-PrätorianerInnen dominierte „Aufstehen“-Trägerverein habe eine „Blockadepolitik bis zur offenen Sabotage“ betrieben.

Die mehrseitige Abrechnung des früheren Grünen-Vorsitzenden, die der taz vorliegt, ermöglicht einen aufschlussreichen Blick in das Innenleben des bisherigen Führungszirkels des Projektes. Volmer gehörte dem zentralen Arbeitsausschuss von „Aufstehen“ an, der etwa zwei Dutzend Personen umfasste. Auch war er Teil des sechsköpfigen politischen Vorstands.

Neben ihm saßen in diesem provisorischen Gremium noch der aus der SPD ausgetretene Bundestagsabgeordnete Marco Bülow, der grüne Ex-Bundestagsabgeordnete Hendrik Auhagen und die Düsseldorfer Basisaktivistin Sabrina Hofmann. Hinzukamen mit Wagenknecht und dem Bundestagsabgeordneten Fabio De Masi zwei Mitglieder der Linkspartei.

Bereits am vergangenen Freitag hatten Volmer, Bülow, Auhagen und Hofmann eine noch von sieben weiteren bisherigen „Aufstehen“-AktivistInnen unterzeichnete „Erklärung zur Situation von Aufstehen“ veröffentlicht, in der sie das Scheitern der Sammlungsbewegung auf Bundesebene verkündeten. Nun legt Volmer nach. „Von Blockierern und Blockadebrechern“ hat er sein Traktat überschrieben – und lässt keinen Zweifel daran, wer für ihn zu Ersteren und wer zu Letzteren gehört.

Parteiunabhängig oder Vorfeldorganisation?

Seit Monaten habe es hinter den Kulissen bereits heftigen Streit gegeben, der sich darin ausgedrückt habe, „dass die Umsetzung von Entscheidungen des pluralistisch besetzten politischen Vorstandes durch den Trägerverein der Bewegung – dominiert von Mitgliedern und erklärten Anhängern der Linkspartei – blockiert wurde“. So habe denn auch der Rücktritt von Sahra Wagenknecht am 9. März die Auflösung des „Aufstehen“-Vorstands „nicht eingeleitet, sondern besiegelt“. Danach sei den anderen nur noch der politische Abgang geblieben.

Eigentlich sollte der von Volmer attackierte Trägerverein nur dazu dienen, „die Sammlungsbewegung wirtschaftlich und technisch zu unterstützen“. Auf der „Aufstehen“-Homepage ist denn auch zu lesen: „Im Trägerverein werden keine politischen Entscheidungen getroffen“. Doch in der Praxis scheint der Verein, dessen Vorsitzender der Berliner Dramaturg Bernd Stegemann ist, das eigentliche Machtzentrum von „Aufstehen“ zu sein.

Hintergrund des permanenten Konflikts zwischen dem politischen Vorstand und dem Trägerverein war laut Volmer, dass es eine Kontroverse gegeben habe, „ob Aufstehen eine sich von unten frei entfaltende, parteiunabhängige Bewegung mit offener strategischer Zielsetzung oder eine politische Vorfeldorganisation einer bestimmten Strömung der Partei Die Linke sein sollte“.

Dieser Streit wurde offenkundig mit harten Bandagen ausgefochten. Volmer beklagt eine „massive Denunzierung und Beleidigung von Mitgliedern des Vorstandes und Arbeitsausschusses“. Der 67-jährige Politpensionär spricht von einer „destruktiven Gemengelage“, für die Wagenknecht eine „nicht unerhebliche Verantwortung“ trage: „Ein deutliches Wort an ihre Boyfans etwa hätte deren denunziatorische Ausfälle stoppen können.“

„Widerliche Erfahrung“

Volmers Anschuldigungen ähneln den Aussagen von Florian Kirner, einem weiteren inzwischen ehemaligen Mitglied des „Aufstehen“-Arbeitsausschusses. Der Liedermacher und Kabarettist, auch bekannt als „Prinz Chaos II.“, rechnete bereits am vergangenen Freitag via Facebook ab. „Das Projekt Aufstehen, dessen Führung dann noch dazu auf ganzer Linie versagt hat, war effektiv auf den Sand des politischen Betrugs gebaut“, wetterte er.

Auch Kirner unterstellt den Linkspartei-Mitgliedern in der Führung von „Aufstehen“, dass es ihnen vor allem darum gegangen sei, „sich Hilfstruppen für den parteiinternen Fraktionskampf zu organisieren“. Dabei seien sie nicht zimperlich gewesen: „Verleumdungen gegen unliebsame Akteure wurden gezielt und flächendeckend in Umlauf gebracht.“

Was Wagenknecht anbetrifft, sei ihm „unklar, inwieweit sie all diese Machenschaften in ihrem direkten Umfeld klar hat, ob sie das unterstützt, einfach laufen lässt, nicht wahrhaben will oder ausblendet“, so Kirner. Für ihn persönlich sei „Aufstehen eine schockierende und in weiten Teilen widerliche Erfahrung“ gewesen.

Sahra Wagenknecht hat sich bisher nicht öffentlich zu den Querelen innerhalb von „Aufstehen“ geäußert. Ihren Rückzug aus der Spitze des Projekts begründete sie in einem am 10. März veröffentlichten Statement damit, ihres Erachtens sei „der Zeitpunkt gekommen, an dem wir Berufspolitiker uns stärker zurücknehmen und denjenigen mehr Verantwortung übergeben sollten, die die Bewegung an der Basis ohnehin tragen“. Sie werde allerdings „weiterhin am Erfolg von Aufstehen mitarbeiten“.

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