Wagner-Söldnertruppe aus Russland: Vom Boxklub an die Front

Die brutale Privatarmee „Wagner“ hat russlandweit dutzende Rekrutierungszentren eröffnet. Auch in Schulen und Sportklubs wirbt sie um Söldner.

Ein Mann trägt das Logo der Wagner Miliz auf der Brust

imago Foto: Evgeny Biyatov/sputnik/imago

MOSKAU taz | Knapp 30 Treppenstufen und ein eisglatter Weg führen zum Boxclub „Gruscha“ (russ. für Birne) in Moskau. Hinter einer grauen Eisentür führt ein heller Gang in eine Halle. Dort machen sich 15 Männer für ihr Boxtraining am frühen Morgen warm. „Gruscha“ ist nicht weit von Russlands Regierungssitz entfernt. Ein Kloster ist um die Ecke, auf dem Spielplatz gegenüber hacken Kommunalarbeiter vereiste Schneeberge weg. Bis zu neunmal am Tag wird hier trainiert, die Ersten beginnen bereits um 7 Uhr morgens, nachmittags lernen Kinder ab sieben Jahren Thai- und Kickboxen. Der Hinterhofklub ist so unscheinbar wie monströs.

Denn vor wenigen Tagen hat der kremltreue Unternehmer Jewgeni Prigoschin neue Rekrutierungszentren in 42 russischen Städten ins Leben gerufen, um Söldner für seine Privatarmee „Wagner“ zu gewinnen. Seine Söldner gelten als die brutalsten Kämpfer in Putins „Spezialoperation“ in der Ukraine, als Schlächter, die ihr Oberchef auch in Strafkolonien quer durchs Land anwarb. Im Gegenzug gab es einen Straferlass und eine Art Freifahrtschein Prigoschins, mit Gefangenen in der Ukraine alles tun zu dürfen.

„Foltern, erniedrigen, Kehle durchschneiden – ist mir alles egal“, ließ er verlauten und fügte hinzu, wer von seinen Kämpfern „falsch abbiege“, werde an Ort und Stelle erschossen. Nicht wenige von der Gesellschaft Vergessene nutzten den sinnlosen Kampf als Chance, sich irgendwie nützlich zu fühlen oder dem trostlosten Dasein in Russlands streng hie­rarchisch organisiertem Strafvollzug zu entkommen.

Die „Wagnerowzy“, wie sie in Russland genannt werden, dringen immer weiter ins Zentrum der hart umkämpften ukrainischen Stadt Bachmut ein, die hohen Verluste spielen für Prigoschin keine Rolle. Hinter den Gefängnismauern hat es sich allerdings schnell herumgesprochen, wie erbarmungslos die Neu-Wagnerianer verheizt würden. Die Zahl der Freiwilligen aus den Strafkolonien nahm stetig ab. Prigoschin verkündete daraufhin eine „vollständige Einstellung“ seiner „Werbeaktion“ unter Russlands Verurteilten – und gleichzeitig eine neue Strategie. Nun sucht er in schlichten Wohnsiedlungen, an Schulen und in Sportklubs wie „Gruscha“ nach neuen Söldern.

Mindestvoraussetzung: 50 Liegestütze

„Ja, wir vermitteln die künftigen Kämpfer an die richtige Stelle“, sagt die Empfangsdame in Schwarz. Sie reicht ein pinkes Blatt Papier. „Schrei­ben Sie“, sagt sie mit ihrer weichen Stimme und diktiert eine Telefonnummer. Auskünfte würden nur telefonisch erteilt, mehr könne sie nicht sagen. Wortkarg sind auch die breitschultrigen Männer, die sich ihre gestreiften Bandagen um die Hände wickeln.

Am Telefon meldet sich Igor, er klingt geradezu zuvorkommend. Der künftige Kämpfer müsse sich persönlich vorstellen und gleich neben dem Club beweisen, erklärt er. Igor versichert, er komme auch schon einmal zu Wunschzeiten des „Bewerbers“ vorbei und „begutachte“ ihn. Die Mindestvoraussetzung: 50 Liegestütze. „Wenn Sie bereit sind für die Front und ich mein Okay gebe, könnten Sie heute schon los. Wir besorgen das Zugticket.“

Dann gehe es erst mal in die Region Krasnodar – im Süden Russlands –, zum dreiwöchigen Trainingscamp, sagt Igor. Für die Trainingswochen gebe es 40.000 Rubel (knapp 500 Euro), später einen Monatsverdienst von 240.000 Rubel (knapp 3.000 Euro). Für russische Einkommensverhältnisse ist das viel Geld. „Also Pass mitbringen und in guter Verfassung sein“, rät Igor. „Es wird sicher alles gut gehen.“

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