Portrait von Prigoschin auf einer Beerdigung

Der Leiter der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, bei der Beerdigung eines in der Ukraine gestorbenen Kämpfers in St. Petersburg Foto: dpa

Wagner-Söldnertruppe in der Ukraine:Putins Mann fürs Grobe

Jewgeni Prigoschin, Chef der privaten Söldnertruppe Wagner, hat die Führung der russischen Armee offen herausgefordert. Ist der Mann noch zu stoppen?

Ein Artikel von

20.1.2023, 10:44  Uhr

Seit Herbst übt der Geschäftsmann und Leiter des privaten Sicherheits- und Militärunternehmens Wagner (PMC), Jewgeni Prigoschin, aktiv und öffentlich Kritik an der Führung der russischen Armee. Einigen Berichten zufolge hat er sich persönlich beim Präsidenten über das Militär beschwert. Nach einer weitverbreiteten Version gelang es Prigoschin schließlich gemeinsam mit dem Präsidenten der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, den Befehlshaber der russischen Streitkräfte der Gruppe Zentrum, Generaloberst Alexander Lapin, von seinem Posten zu entfernen. Aber das wahrscheinliche Ziel des Tandems Prigoschin/Kadyrow könnten höhere Führungsposten sein: Waleri Gerassimow, Chef des Generalstabs des russischen Verteidigungsministeriums und seit Neuestem Oberbefehlshaber über die russischen Truppen im Krieg gegen die Ukraine, und Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Die Chancen dafür sind allerdings gering. Trotz aller ostentativen Härte Prigoschins wird er als fester Partner und Mitstreiter kaum ernst genommen und niemand wird ihm erlauben, richtig durchzustarten.

Die Rivalität zwischen der Führung der Gruppe Wagner und der Armee ist seit Langem bekannt. Doch erst im vergangenen Herbst wurde der Konflikt öffentlich. Prigoschin sprach von der Notwendigkeit personeller Veränderungen im Verteidigungsministerium und schlug Methoden zur Umerziehung von inkompetenten Generälen vor: „All diese Arschlöcher – sie schicken die Soldaten barfuß mit Maschinengewehren an die Front.“ Und er erklärte unter anderem, dass „viele der sogenannten Kader nichts gelernt haben, außer mit den Absätzen zu klappern, Schmuck zu tragen und schöne Berichte zu schreiben“.

Die Novaya Gazeta ist Russlands älteste unabhängige Publikation. Nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine wurde sie verboten. Das Team der Novaya Gazeta Europe hat das Land verlassen, um ihre Arbeit fortsetzen zu können und denjenigen eine Stimme zu geben, die die Invasion niemals akzeptieren werden. In diesem Dossier veröffentlicht die taz Texte russischer Jour­na­lis­t:in­nen über das erste Kriegsjahr und seine Folgen für die Welt und für Russland, über die Veränderungen in der russischen Bevölkerung, wofür das Adjektiv „russisch“ heute und in Zukunft steht, und berichten über Menschen, die Widerstand leisten. Die Texte sind auf Initiative der taz Panter Stiftung entstanden und geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Es ist bereits das zweite Dossier mit Texten der Novaya Gazeta Europe in der taz. Das erste ist im Mai 2022 erschienen. Die Texte des ersten Dossiers finden sich hier.

Gleichzeitig lobte Prigoschin den Armeegeneral Sergej Surowikin (er befehligte vom 8. Oktober bis zum 11. Januar die russischen Streitkräfte in der Ukraine; d. Red.). Einen würdigen Mann nannte er ihn. Dann tauchte die Hypothese auf, dass Surowikin ein Produkt von Prigoschin und Kadyrow sei.

„Nach meinen Informationen sind die wahren Gründer der Wagner-Gruppe Generäle der russischen Spezialdienste“, sagt der Menschenrechtsaktivist Wladimir Osetschkin, Gründer des Projekts Gulagu.net, der Novaya Gazeta Europe. „Tatsächlich handelte es sich bei diesem Unternehmen ursprünglich um eine illegale Abteilung des GRU (Hauptdirektion des Hauptstabs des russischen Verteidigungsministeriums), die bei der 10. Brigade der Spezialkräfte in Molkino (Gebiet Rostow) in der Militäreinheit Nr. 51532 stationiert war. Daher kann der russische Präsident Wladimir Putin durchaus als Gründervater der Schattenorganisation bezeichnet werden. Prigoschin wurde dorthin als Aufseher beziehungsweise Vorsitzender geschickt, über den Zahlungen „schwarzer“ Gelder laufen, die im Rahmen verschiedener staatlicher Verträge aus dem russischen Haushalt stammen. Ein erheblicher Betrag an Bargeld wird für die Bezahlung der Söldner generiert. Offenbar ist Prigoschin sowohl Schatzmeister als auch Betrüger“, fügt Osetschkin hinzu.

Söldnertruppen, so wie Wagner, agieren bewusst außerhalb des Rechtssystems der Russischen Föderation

Osetschkin ist sich sicher, dass Putin sich seit 2014 endgültig als Diktator sieht und damals beschloss, ein geopolitisches Projekt für den militärischen Einmarsch in der Ukraine in die Tat umzusetzen. Die erforderlichen Ichtamnet-Truppen (ichtamnet ist ein neues russisches Wort für „nie dagewesen“), wie die Gruppen Wagner und Redut, wurden mit Mitteln aus dem russischen Haushalt gebildet und aus Beständen des Verteidigungsministeriums bewaffnet – aber in keinerlei Weise formell legalisiert.

Die „Musiker“ sabotieren oft Befehle

„Während der Syrienoperation fungierte Prigoschin als Putins Stellvertreter, der eng mit dem Kommandeur Sergej Surowikin zusammenarbeitete“, erzählt der Menschenrechtsaktivist. „Damals waren Wagner und Redut Teil der russischen Streitkräfte. Genauso sind die Wagner-Leute heute ein fester Bestandteil der Besatzungstruppen in der Ukraine.“

Viele reguläre russische Militärs sind, gelinde gesagt, mit dem Vorgehen der privaten Sicherheits- und Militärunternehmen nicht zufrieden. Laut ihnen handeln die Söldner oft völlig autonom und sabotieren mitunter die Befehle der örtlichen Befehlshaber. Sie greifen zum Beispiel nicht an, wodurch die Flanke der vorrückenden russischen Truppen offen ist. Oder sie fallen im Gegenteil vor den regulären Einheiten in einen Ort ein, um ihren Vorgesetzten als Erste über einen erfolgreichen Angriff zu berichten.

Zugleich ist die Kampfkraft der Wagner-Leute nach Ansicht der Verteidigungsoffiziere vor Ort nicht unbedingt hoch. Die Kleinstadt Bachmut konnte erst nach etwa sechs Monaten Krieg von regulären russischen Verbänden und Wagner-Kämpfern angegriffen werden. Dabei neiden die regulären Militärkader den „Musikern“ (so bezeichnen die Wagner-Leute sich selbst) alles – Uniformen, Waffen und vor allem die Gehälter.

„Bisher sind die Potenziale der PMCs und der regulären Armee nicht zu vergleichen“, sagt Denis Korotkow der Novaya Gazeta Europe. Er ist Experte des Zentrums „Dossier“ (eines Projekts, das kriminelle Aktivitäten verschiedener Personen, die mit dem Kreml in Verbindung stehen, untersucht; d. Red.). „Allerdings verfügen die sogenannten Musiker inzwischen nicht nur über schweres Gerät, Artillerie und MLRS-Raketenwerfer, sondern auch über Flugzeuge.

Aber es geht nicht nur um Flugzeuge und Piloten. Auch die Wartung von Kampffahrzeugen und deren Waffen ist komplex. In diesem Bereich sind die Prigoschin-Söldner auf die Infrastruktur des Verteidigungsministeriums angewiesen. Direkt an der Kontaktlinie machen die PMCs ungefähr ein Zehntel der Gesamtzahl der Kämpfenden aus. Unter den von den PMCs Rekrutierten herrscht eine wahnsinnige Rotation. Es handelt sich um eine Menge ehemaliger Häftlinge, ausgestattet mit Maschinengewehren, die innerhalb von zwei Wochen rasch ausgebildet werden: Das macht sie nicht unbedingt einsatzfähig für die Front“, fügt Korotkow hinzu.

Er ist der Ansicht, dass es keine administrative Unterstellung der Wagner-Söldner unter das militärische Kommando vor Ort gibt. Im besten Fall seien sie Verbündete, aber nicht Untergeordnete. Surowikin selbst habe nicht einmal den Anführer eines Söldnerzuges ernennen oder entlassen können. Was passiere zum Beispiel, wenn die Truppen zum Angriff übergingen, aber die Söldner sie nicht unterstützten? Dürfte man sie wegen Befehlsverweigerung anklagen? Und an wen erginge dieser Befehl überhaupt? Es sei unsinnig, nach einer rechtlichen Grundlage zu suchen – die gebe es einfach nicht. Die PMCs agierten bewusst außerhalb des Rechtssystems der Russischen Föderation.

Besucher im Wagner Centre

Besucher, die militärische Tarnkleidung tragen, stehen am Eingang des „PMC-Wagner-Zentrums“ in St. Petersburg Foto: ap

Mehr als 80 Prozent seien Gefangene

„Der Großteil ehemaliger PMC-Kämpfer, die noch am Leben sind, circa 6.000 bis 7.000 Söldner, befindet sich inzwischen in der Zentralafrikanischen Republik, Mali und Syrien“, erklärt Osetschkin von Gulagu.net. „Nach unseren Informationen besteht die Wagner-Söldnertruppe, die heutzutage in der Ukraine kämpft, zu mehr als 80 Prozent aus Gefangenen. Die restlichen sind Ausbilder, die nach der Schulung zu Kommandanten einer Einheit oder Spezialisten in einem bestimmten Bereich geworden sind. Das Exekutionskommando zum Beispiel, die sogenannte Sondergruppe Med, widmet sich der Hinrichtung von Unerwünschten“, fügt er hinzu.

Nach Angaben von Korotkow erhalten die „Musiker“ in der Regel ein beträchtliches Gehalt – etwa 250.000 Rubel (umgerechnet 3.333 Euro) pro Monat für einen einfachen Sturmsoldaten. Angehörige von Verstorbenen erhalten für den Verlust in unbürokratischer Weise Millionenbeträge (manche sprechen von 3 bis 5 Millionen Rubel). Die Verwundeten werden umgehend in Militärkrankenhäusern behandelt. Selbst amputierte Kämpfer versuchen, einen Platz in der Wagner-Struktur zu finden.

Jewgeni Prigoschin

„All diese Arschlöcher – sie schicken die Soldaten barfuß mit Maschinengewehren an die Front. Viele Kader haben nichts gelernt, außer Schmuck zu tragen und schöne Berichte zu schreiben“

Korotkow ist der Überzeugung, dass die Wagner-Truppe durch die Anzahl an Auszeichnungen bereits jede vergleichbar große Einheit des russischen Verteidigungsministeriums übertroffen hat. Medaillen und Orden für die „Musiker“ werden direkt vom Präsidialamt ausgeschrieben und verteilt. Zu Helden wurden mindestens sechs Wagner-Söldner ernannt. Jeder erfahrene Offizier, der Afrika und Syrien überstanden hat, besitzt in der Regel mehrere „Verdienstorden für das Vaterland“.

Korotkow glaubt, dass die Sympathie für Prigoschin innerhalb der Armee nicht gerade wachse, wenn er es sich erlaube, abfällig über die russische militärische Führung zu reden. „In der Regel hassen alle Prigoschin heftig – vom Leutnant bis zum Oberst“, sagt der Experte. „Die Abscheu, die viele Offiziere ihm gegenüber empfinden, wird seit Jahren nicht mehr öffentlich gezeigt. Zudem hat das Militär Schwierigkeiten mit den in den PMCs angewandten Disziplinarmethoden, wie etwa Exekutionen im Schnellverfahren und Hinrichtungen mit einem Vorschlaghammer.

„Meiner Meinung nach kann dem Verteidigungsminister die Situation, die sich seit Beginn des Jahres 2010 entwickelt hat, nicht gefallen. Ein großer Teil des Militärbudgets geht seit Jahren und auf obersten Befehl an Prigoschin“, erklärt er. „Bis 2015 haben praktisch viele Wagner-Strukturen die entsprechenden Stellen der staatlichen Behörden ersetzt. Dazu gehörten unter anderem alle Aufträge für die Truppenverpflegung, der Bau und die Instandhaltung von Armeelagern und die Energieversorgung der Streitkräfte. Riesige Geldsummen sind am Oberkommando vorbeigegangen. Eine Reihe von Militärs war mit dieser Situation zufrieden, weil sie ihr Stück vom Kuchen bekamen. Der Hauptnutznießer war allerdings zweifellos Prigoschin.“ In diesen Sphären könne es keine Freundschaft geben, doch vorübergehende Allianzen seien möglich. Ein Beispiel sei Timur Iwanow (seit 2016 Vizeverteidigungsminister): Bei Amtsantritt sei er ein entschiedener Gegner Prigoschins gewesen – jedoch habe er seine Meinung schnell geändert, sagt Korotkow.

Logo Wagner Center

Am Tag der Einheit, am 4. November 2022, wurde das Wagner Center in St. Petersburg eröffnet Foto: ap

Laut Korotkow liegt dem Verteidigungsministerium sogar eine Reihe von Beschwerden gegen Prigoschins Gastronomieunternehmen Konkord – daher sein Spitzname „der Koch“ – und dessen Tochtergesellschaften vor. Diese seien öffentlich zugänglich. Obwohl die Aufsichtsbehörden immer wieder Verstöße gegen die Bedingungen der Lebensmittellagerung und -hygiene aufdecken, führte das jahrelang und bis dato lediglich zu lächerlichen Geldstrafen für zahlreiche Schein­un­ternehmen.

Hinzu kommt: Die Bauaufträge für Militär­stand­orte, die Prigoschins Firmen unter schwerwiegenden Verstößen gegen das Gesetz bekamen, wurden nicht fristgerecht erfüllt. Die gesamte Ausrüstung von Wagner befindet sich in der Bestandsliste der Einheiten des Verteidigungsministeriums. In den Unterlagen der Konkord-Gesellschaft werden auch keine Panzer oder Flugzeuge aufgelistet. Auch die Munition wird über das Militär vertrieben.

Ein System von Kontrollen und Gegenkontrollen

„Prigoschins Lobbyfähigkeiten würde ich nicht überbewerten“, meint Korotkow. „Wenn es ihm nicht einmal gelingt, den Gouverneur von Sankt Petersburg, Alexander Beglow, zu stürzen, kann er auch keine Kommandeure absetzen und ernennen. Was wir bisher gesehen haben, war eine Hexenjagd durch Prigoschins eigene Medien. Bestimmt hat er gewissen Einfluss auf die Personalpolitik in der Armee, aber der ist nicht entscheidend.“

Der Konflikt zwischen der Armeeführung und der Führung der Wagner-Söldnertruppe sei historisch bedingt, so der Politikwissenschaftler Abbas Galljamow. „Ich würde es als ‚Hassliebe‘ bezeichnen“, sagt er der Novaya Gazeta Europe. „Das Oberkommando der Armee hasst Prigoschin. Putin, per se ein misstrauischer Mensch, hat beschlossen, auf Nummer sicher zu gehen und Sergej Schoigu ein wenig zur Seite zu schieben. So ist ein System von Kontrollen und Gegenkontrollen entstanden. Den Militärs kommt Prigoschin wie ein Spion vor, der einen direkten Kanal zum Vorgesetzten hat und jederzeit etwas Unangenehmes rauslassen kann.“

Laut Galljamow kann eine professionelle militärische Organisation wie Wagner, die Kriminelle in ihre Reihen aufnimmt, nicht von vornherein sympathisch sein. Prigoschin selbst spricht den Jargon der Verbrecher, die Sprache der Straße. Die Offiziere sind aufgrund ihres Wertesystems dem Staat verbunden und stehen eindeutig keiner derart abscheulichen Figur nahe, die nicht zögert, Methoden weit jenseits der Grenzen des Gesetzes anzuwenden.

Gleichzeitig kämpfen die PMCs gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium, weil sie ohne die direkte Unterstützung des Militärs nicht in der Lage wären, dies zu tun. Schoigu, da ist sich Galljamow sicher, mag es nicht, dass ihm Bereiche seines Systems entzogen und der Wagner-Gruppe unterstellt werden – etwa die Verlagerung von schwerem Militärgerät, Artillerie und sogar die Luftstreitkräfte.

Schoigus Position wird von vielen offiziellen Beamten unterstützt. Aber wenn der Befehl kommt, unterstehen sie der operativen Kontrolle der PMCs. Zugleich macht sich Unzufriedenheit innerhalb der Armee breit. „Immer öfter bekommen sie zu hören, dass die Wagner-Leute besser als die offiziellen Einheiten des Verteidigungsministeriums kämpfen“, berichtet der Politologe. „So etwas verärgert natürlich Schoigu und Gerassimow. Ich kann mir gut vorstellen, dass das nicht so einfach ist. Schließlich wurden die kampffähigsten Einheiten der russischen Armee in der ersten Phase des Krieges durch eine äußerst mittelmäßige Führung geschwächt. Die Söldner tauchten erst später auf, als klar wurde, dass die ukrainischen Streitkräfte eine ernstzunehmende Kraft waren“, meint Galljamow.

Ein Mann fotografiert mit seinem Smartphone einen Bildschirm mit Kriegsbildern

Ein Besucher im neu eröffneten Wagner Center in St. Petersburg Foto: ITAR-TASS/imago

Ein klarer Imagegewinn für Prigoschin war sein öffentliches Bündnis mit Kadyrow. Doch weder Prigoschin noch Kadyrow machen den Eindruck von Menschen, die zu aufrichtigen guten Beziehungen fähig wären. Nach außen hin scheint es ein vorübergehendes Zweckbündnis zwischen zwei verhassten Kriegsbefürwortern zu sein: Sie haben eine gemeinsame Agenda und einen gemeinsamen Feind. Beide untergraben das staatliche System von innen heraus und streben nach mehr Eigenverantwortung. Im Moment sind sie Verbündete. Doch bald werden sie wahrscheinlich zu Rivalen, glaubt Abbas Galljamow, da sie beide um dieselbe Nische konkurrieren – Russlands härtester Macho zu sein. Gleichzeitig scheinen sie jeweils misstrauisch gegenüber dem anderen zu sein. „Bisher hatten Kadyrow und Prigoschin keinen Grund, sich gegenseitig anzugehen“, sagt Korotkow.

„Das Schicksal von Prigoschin wird vom Ausgang des Kriegs abhängen“, ist Abbas Galljamow überzeugt. „Wenn das Verteidigungsministerium verliert, könnte Putin auf effektivere PMCs setzen. Wenn sich die Geschichte für Russland zum Guten wendet, kann man davon ausgehen, dass diese paramilitärisch bewaffneten Formationen – Machnowtschschina – in die offiziellen Streitkräfte integriert werden. Dann würde Prigoschin zum Generaloberst befördert und zum stellvertretenden Chef der Operationen des Generalstabs ernannt, der für die Koordinierung zwischen den Einheiten zuständig wäre.“

Allerdings sind die von der Novaya Gazeta Europe befragten Experten der festen Überzeugung, dass Prigoschin keine Chance habe, in der großen Politik Fuß zu fassen. Das dürfte auch ihm bald klar werden. Praktisch alle Eliten und die Mehrheit der Gesellschaft wollen heute Stabilität und ein Ende der Krise. Prigoschin würde die Lage nur eskalieren lassen.

„Nicht mehr als zehn Prozent der verrücktesten Wähler unterstützen ihn. Und Kleinstkriminelle gehen nicht mal wählen!“, sagt Galljamow. „Kyjiw wird nicht in absehbarer Zeit von den Wagner-Leuten eingenommen. Und das braucht Prigoschin, um sich den Sieg zuzuschreiben. Unklar bleibt auch, ob Prigoschin effektiver als Putin sein kann, der im Kampf gegen die Außenwelt bereits alle natürlichen Ressourcen ausgeschöpft und das System zum Zusammenbruch gebracht hat. Wer braucht so jemanden als Präsidenten? Ich sehe auch keinen Grund für Putin, Prigoschin als seinen Nachfolger in Betracht zu ziehen.“

„Prigoschin ist bald tot“, glaubt Denis Korotkow. „Es gibt für ihn keine Möglichkeit, weiterzukommen. Jeder offizielle Posten bedeutet für ihn das Ende der Geschichte. Schließlich liegt sein Vorteil gegenüber den anderen in seiner völligen Ungebundenheit. Offiziell gibt es keine private Militärfirma. Und er selbst sagt, dass eine Legalisierung von PMCs nicht notwendig ist.“ Sollte eine internationale Untersuchung der terroristischen Aktivitäten der Wagner-Leute eingeleitet werden, „hört die PMC einfach auf zu existieren“, ist sich Osetschkin sicher. Der Countdown läuft.

Aus dem Russischen Gemma Terés Arilla

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.