Wahlen in Spanien: Regierung, jetzt?

Am Sonntag wird in Spanien ein neuer Ministerpräsident gewählt. Doch der Frust der Bevölkerung könnte vor allem den Rechten zugutekommen.

Frauen halten Plakate mit dem Gesicht von Pedro Sánchez, darauf steht "Sit and talk"

Protest gegen den geschäftsführenden Ministerpräsidenten Pedro Sánchez in Viladecans am 30. Oktober Foto: Albert Gea/rtr

MADRID taz | Pedro Sánchez würdigt seine vier Mitbewerber keines Blickes. Nur, wenn er vermutet, dass die Kamera auf ihn gerichtet ist, lächelt er. Und auch sonst macht der geschäftsführende spanische Ministerpräsident bei der einzigen Fernsehdebatte vor den Neuwahlen am kommenden Sonntag alles, außer zu debattieren: Er gibt einstudierte Statements ab, liest dabei immer wieder vom Blatt. Staatsmännisch sei das gewesen, heißt es später aus den Reihen seiner Berater.

Zum vierten Mal in vier Jahren müssen die Spanier wählen. Das letzte Mal haben sie im Mai dieses Jahres ihre Stimme abgegeben. Sechs Monate später ist Spanien immer noch ohne gewählte Regierung, und das mitten in einem heftigen Aufflammen des Katalonien-Konflikts.

Sánchez verspricht eine „fortschrittliche, stabile Regierung“. Wäre es nach ihm gegangen, würde er „sein Projekt für das Land“ schon lange umsetzen, betont er immer wieder. Doch die restlichen Parteien hätten ihn nicht gelassen, so sein Hauptargument im gesamten Wahlkampf. Sánchez sieht sich als Opfer – alle gegen einen.

Doch auch bei der Bevölkerung sitzt der Frust tief. Wer trägt die Schuld an der Misere, die vor allem den Rechten zugutekommen könnte?

Links Feinde, rechts Feinde

Als Sánchez’ Sozialisten (PSOE) die Wahlen im Mai gewannen, war klar, dass sie zum Regieren einen Partner brauchen würden. Doch in fünf Monaten bekam Sánchez nur die Unterstützung eines einzigen Abgeordneten einer kleinen Regionalpartei. Mit der linksalternativen Unidas Podemos (UP) – einer Gemeinschaftskandidatur aus Podemos, Izquierda Unida, der grünen Partei Equo und anderen kleineren Linksparteien – kam es zu keiner Einigung. Sie enthielten sich im Juli bei einer ersten Abstimmung, da ihnen die von Sánchez angebotenen drei Ministerien nicht ausreichten.

Nach der Sommerpause weigerte sich Sánchez endgültig, linksalternative Minister ins Kabinett aufzunehmen, und verlangte von der UP die Unterzeichnung eines gemeinsam ausgehandelten Regierungsprogramms, um dann alleine zu regieren, ohne nennenswerte Gegenleistung. Es war das Ende der Gespräche. Seither beschimpft Sánchez die UP als „vorgetäuschte Linke“, die nur ein Ziel habe, nämlich „die Sozia­listen nicht regieren zu lassen“.

Iñigo Errejón, „Más País“

„Die Wähler haben ihre Arbeit gemacht, die Politiker nicht“

Rechts von ihm hingegen, so Sánchez, stehe eine „Mauer der Blockade“, bestehend aus der konservativen Partido Popular (PP), der rechtsliberalen Ciu­dadanos (Cs) und der rechtsextremen Partei VOX. Sánchez hatte nach den Wahlen im April immer wieder verlangt, dass sich PP und Cs – ebenfalls ohne jede Gegenleistung – enthalten, damit er vom Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden könne. Sie taten ihm den Gefallen nicht. Neuwahlen wurden unumgänglich. „Nur die PSOE garantiert, dass die Blockade jetzt aufgehoben wird“, predigt Sánchez im Wahlkampf. Eigene Fehler bei den gescheiterten Regierungsverhandlungen gesteht er nicht ein.

Das Kalkül des Sozialisten ist offensichtlich. „Die PSOE würde im Falle einer erneuten Wahl mit knapp 40 Prozent haushoch gewinnen“, so ungefähr titelten im September, kurz vor dem Abbruch der Gespräche zwischen PSOE und Unidas Podemos, alle Zeitungen des Landes. Die Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes CIS, an dessen Spitze Sánchez einen seiner Vertrauten aus dem PSOE-Parteivorstand gesetzt hatte, sagte den Sozialisten 11 Prozentpunkte mehr als im April und über 150 statt 123 Parlamentssitze voraus.

Sánchez sprach vom „besten Moment“ für seine Partei. Die Versuchung, auf Neuwahlen statt auf eine Einigung zu setzen, war groß. Zu groß. „Am 10. November haben wir die Gelegenheit, die Dinge viel klarer zu sagen“, wirbt Sánchez seither für sich als „einzige Option einer stabilen Regierung“.

Die Spanier sind wahlmüde

Doch er hatte die Rechnung ohne die Spanier gemacht. Sie sind wahlmüde, besonders die Linken. Im April war ihre Wahlbeteiligung noch gestiegen, aus Angst vor einer Dreierkoalition aus konservativer PP, rechtsliberaler Cs und rechtsextremer VOX, wie sie in mehreren Regionen und Rathäusern bereits Realität ist.

Die Hoffnung auf eine „fortschrittliche Regierung“, für die sowohl die Sozialisten als auch die Linksalternativen geworben hatten, war groß. Aber jetzt lassen die nach Jahren der Kürzungen so dringend notwendigen sozialen Maßnahmen wie die Erhöhung des Pflegegeldes, die Anpassung der Renten oder die Rücknahme einer unsozialen Arbeitsmarktreform weiter auf sich warten. Während die geschäftsführende Regierung kaum Handlungsspielraum hat, geht das Wirtschaftswachstum zurück. Und Umfragen belegen, dass die Arbeitslosigkeit erstmals seit sieben Jahren wieder die Hauptsorge der spanischen Bevölkerung ist.

„Die Wähler haben ihre Arbeit gemacht, die Politiker nicht“, sagt Iñigo Errejón. Der einstige Podemos-Abgeordnete will jetzt mit seiner eigenen Liste „Más País“ (Mehr Land) den Frust der Linken kanalisieren. Er beschuldigt PSOE und UP, den drei Rechtsparteien eine neue Chance geschenkt zu haben.

Sánchez hat nicht nur die Enttäuschung der Linken unterschätzt, er hat auch vergessen, dass zwischen gescheiterten Regierungsverhandlungen und Neuwahlen zwei Monate ver­gehen, in denen die Welt nicht einfach stehen bleibt.

Seit Mitte Oktober neun katalanische Unabhängigkeitspolitiker und Aktivisten zu 9 bis 13 Jahren Haft verurteilt wurden, überschatten die Proteste in der nordostspanischen Region rund um Barcelona alles. Sánchez reagiert mit Polizei, verweigert den Dialog, spricht von der Einheit Spaniens, anstatt wie früher auf ein föderales Staatsmodell zu setzen.

Doch außerhalb Kataloniens bringt der Konflikt vor allem Stimmen für die Rechten. Sie fordern, Katalonien unter Zwangsverwaltung zu stellen, weitere Politiker zu verhaften, und werfen Sánchez vor, zuzusehen, wie Spanien aus­einanderfällt. Und sie beschuldigen ihn der Komplizenschaft mit den Katalanen, da er einst das Misstrauensvotum auch mit ihren Stimmen gewann.

Wahlbeteiligung der Rechten ist stabil

Auch deshalb könnte es am Sonntag eng werden. Die Anträge auf Briefwahl sind im Vergleich zu April um 30 Prozent zurückgegangen. Und die Erfahrung zeigt, dass viele Linke je nach Stimmung an die Urne gehen oder eben nicht, während die Beteiligung der Rechten von jeher sehr stabil ist.

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Die sozialistische PSOE liegt in den Umfragen mittlerweile unter dem Ergebnis vom April. Die linksalternative UP muss ebenfalls mit Verlusten rechnen. Más País wird dies nur teilweise auffangen können. Bei den Rechten macht die konservative PP, die im April ihr schlechtestes Ergebnis aller ­Zeiten erzielte, wieder Terrain gut. Und was am schwersten wiegt: Die Umfragen sehen die rechtsextreme VOX als drittstärkste Partei. Sollte es zu einer rechten Mehrheit im neuen Parlament kommen, werden sie mit ihrer ausländer-, frauen- und minderheitenfeindlichen Politik eine wichtige Rolle spielen.

Noch sieht es danach aus, als würde ein solches Rechtsbündnis, wenn auch knapp, scheitern. Doch selbst dann geht das Kalkül für Sánchez nicht auf. Mit weniger Abgeordneten als bisher wird er von der UP noch schwerer die Duldung einer sozialistischen Alleinregierung verlangen können. Und die zweite Option, ein Bündnis mit der rechtsliberalen Cs, das nach den Aprilwahlen zumindest rechnerisch eine stabile Mehrheit ergeben hätte, verflüchtigt sich.

Denn genau wie bei den Linken sehen die Umfragen auch bei Cs-nahen Wahlberechtigten eine starke Tendenz, am Sonntag zu Hause zu bleiben. Viele nehmen Parteichef Albert Rivera den Rechtsruck der letzten Monate übel. In mehreren Re­gionen regieren die Rechtsliberalen zusammen mit den Konservativen unter Duldung von VOX, anstatt sich den Sozialisten anzunähern.

„Ahora, gobierno – Ahora, sí“ („Regierung, jetzt – Jetzt, ja“) heißt das Motto der groß angelegten Marketingkampagne, die Sánchez als fähigen Staatsmann aufbauen sollte. Der Link ahoragobierno.com auf den 30 Millio­nen Flugblättern, die per Post verschickt wurden, führt auf eine Seite, die den Slogan zur Frage macht: „Regierung, jetzt? Und warum nicht in den vergangenen vier Monaten? Vielleicht, weil euch die Kürzel der Partei wichtiger waren als die Menschen?“

Die Seite wurde vom Umfeld von Más País online gestellt. Das Marketingteam von Sánchez hatte vergessen, die Domain zu kaufen, bevor die Flugblätter in den Druck gingen.

Es sind Anekdoten wie diese, die das ganze Drama der Wahlwiederholung verdeutlichen.

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