Wahlen in Tunesien: Zwischen Hoffnung und Verzweiflung

Es war ein langer Weg zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Es geht um den Konflikt zwischen Islamisten und säkularen Kräften.

Wahlwerbung in Tunis. Bild: dpa

MADRID taz | Das Geburtsland des Arabischen Frühlings schickt sich an, den Übergang zur Demokratie endgültig zu besiegeln. Mehr als drei Jahre nach dem Sturz des langjährigen Diktators Zine El Abidine Ben Ali werden die Tunesier am kommenden Sonntag ein Parlament wählen. Am 23. November wird erneut gewählt – dann geht es darum, den Staatspräsidenten zu bestimmen. Es sind die ersten Wahlen auf der Grundlage der neuen Verfassung, die im Januar von der konstituierenden Versammlung verabschiedet wurde.

Es war ein langer Weg bis hierher. Ursprünglich sollte die neue Verfassung von der im Oktober 2011 gewählten verfassunggebenden Versammlung in einem Jahr erarbeitet werden. Doch die Debatten um das Grundgesetz zogen sich in die Länge. Zwei Morde an linken Oppositionspolitikern im Jahr 2013 versetzten das Land in Aufruhr. Hunderttausende gingen gegen die Regierung der islamistischen Ennahda (Wiedergeburt) auf die Straße. Das Innenministerium würde zu wenig gegen radikale, gewalttätige Salafisten unternehmen, erklärten die Protestierenden. Die Presse deckte gar Verbindungen von Ennahda-Abgeordneten zu salafistischen Gruppen auf.

Die Proteste drohten den Übergang zur Demokratie vollständig zu blockieren. Letztendlich waren es die mächtige Gewerkschaft UGTT, der Anwaltsverein, die Menschenrechtsvereinigung sowie der Unternehmerverband, die einen Nationalen Dialog ins Leben riefen. Die Ennahda zog sich aus der Regierung zurück. Im Dezember 2013 wurde ein Technokratenkabinett vereidigt. Nur wenige Wochen später konnte die Verfassung verabschiedet, der Wahlprozess in Angriff genommen werden.

Wie 2011 wurden über 1.300 Listen in den insgesamt 33 Wahlkreisen, 6 davon im Ausland, zur Wahl zugelassen. Im Schnitt kommen 72 Kandidaten auf jeden der 217 Parlamentssitze. Um das Amt des Staatspräsidenten bewerben sich 70 Kandidaten.

Alte Fronten

Am kommenden Sonntag wird es erneut um den Konflikt zwischen Islamisten und säkularen Kräften gehen, der die gesamte Übergangsphase in Tunesien geprägt hat. Anders als vor drei Jahren haben sich die wichtigsten politischen Lager geeinigt. Mehrere Bündnisse sind entstanden. Die Ennahda, die 2011 die einzige gut organisierte Partei war und mit 37 Prozent der Stimmen die Wahl gewann, hat ernsthafte Gegner bekommen.

Die Ennahda steckt in der Krise. Neue Gesichter sollen die umstrittene Regierungsarbeit vergessen machen. Knapp zwei Drittel der bisherigen 89 Abgeordneten der Islamisten treten nicht zur Wiederwahl an. Die Islamisten verfügen über eine breite Basis, gute Strukturen und viel Geld. Ihr Wahlkampf stützt sich neben Großveranstaltungen auf eine Kampagne, bei der Tür für Tür um Stimmen geworben wird. Zu den Präsidentschaftswahlen stellt die Ennahda keinen eigenen Kandidaten.

Mit Nidaa Tounes (Der Ruf Tunesiens) steht den Islamisten dieses Mal eine starke säkulare Kraft gegenüber. Es ist die Partei rund um den betagten ehemaligen Übergangspremier und Minister in den ersten Jahren der Unabhängigkeit, Béji Caïd Essebsi, der als Favorit für das Amt des Staatspräsidenten gilt. Der 88-Jährige hat Liberale, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, aber auch ehemalige Mitglieder der nach der Revolution aufgelösten tunesischen Einheitspartei RCD um sich gescharrt. Sie alle verbindet der Wille, den Islamisten den Weg an die Macht zu verbauen und die tunesische Politik und Wirtschaft zu stabilisieren.

Problem Wahlbeteiligung

Nidaa Tounes geht wie die Ennahda gezielt in den armen Vororten und im Landesinneren auf Stimmenfang. Die Partei verspricht wirtschaftliche Reformen und den Aufschwung – das, was Tunesien dringend braucht. Ein Drittel der zumeist gut ausgebildeten Jugend ist ohne Arbeit. Die Verzweiflung in den armen Stadtteilen und im vernachlässigten Landesinneren befördert radikale Strömungen. Zwischen 2.500 und 3.000 Tunesier sollen sich den islamistischen Milizen in Syrien und Libyen angeschlossen haben. Seit über einem Jahr bekriegen sich bewaffnete Gruppen an der Grenze zu Algerien mit der tunesischen Armee und Gendarmerie.

Links von Nidaa Tounes streiten sich zwei weitere Blöcke, die Republikanische Partei, ein Bündnis rund um den Sozialdemokraten Ahmed Nejib Chebbi, sowie die Volksfront, ein Zusammenschluss unterschiedlicher linker Kräfte um den Kommunisten Hamma Hammami, um den dritten Platz im künftigen tunesischen Parlament.

Das größte Problem der säkularen Parteien ist die Wahlbeteiligung. Nur 5,2 Millionen der auf etwa 8 Millionen geschätzten Wahlberechtigten haben sich in das Wahlregister eintragen lassen – rund 1 Million mehr als bei den ersten freien Wahlen 2011. Damals wählten nur knapp über die Hälfte der Volljährigen. Das stärkte die Ennahda, deren Basis diszipliniert wählen ging.

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Auch Jahre nach Beginn des „Arabischen Frühlings“ reißen die Massenproteste nicht ab. Ein ganzes Jahrzehnt ist tief durch die Arabellion geprägt. Im Schwerpunkt-Dossier „Zehn Jahre Arabischer Frühling“ berichten taz-Korrespondent*innen und Gastautor*innen aus den Umbruchsländern vom Maghreb über Nordafrika bis nach Syrien, den ganzen Nahen Osten und die arabische Halbinsel.

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