Wahlen in den Niederlanden: Weltbürger gegen Wilders
Der Sozialdemokrat Frans Timmermans will nächster niederländischer Premier werden. Mit Machtkämpfen kennt er sich aus. Mit dem Scheitern auch.
Er ist der Mann, der abermals gegen Geert Wilders antritt: Frans Timmermans, ehemaliger EU-Vizekommissionspräsident, Ex-Außenminister der Niederlande und nun Vorsitzender und Spitzenkandidat des niederländischen Parteienbündnisses aus Grünen und sozialdemokratischer Arbeiterpartei, das den Namen GroenLinks-PvdA trägt.
An diesem Mittwoch gehen die Niederländer wieder einmal an die Wahlurne: Es gibt vorgezogene Neuwahlen, nachdem die rechte Vier-Parteien-Koalition – mit Wilders' Ein-Mann-Partei Partij voor de Vrijheid (PVV) als größten Partner – in die Brüche gegangen war. Von Anfang an war die Koalition aus PVV und der rechtsliberalen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD), dem im politischen Spektrum schwer einzuordnenden Nieuw Sociaal Contract (NSC) und der europaskeptischen rechten Bauernprotestpartei BBB zerstritten und konnte sich kaum auf etwas einigen. Die Regierung war vom parteilosen Spitzenbeamten Dick Schoof geführt worden, weil NSC-Parteigründer Pieter Omtzigt sich vehement geweigert hatte, Wilders als Premier zu akzeptieren.
Allein die Koalitionsverhandlungen hatten sich über ein halbes Jahr hingezogen. Nach nur elf Monaten ließ Wilders die Regierung platzen, weil die Koalitionspartner seinen Zehn-Punkte-Plan für eine rechtsradikale Migration- und Asylreform nicht mittragen wollten.
Ein zweiter Anlauf
Der 22. November – der Tag, an dem Wilders im Jahr 2023 bei den niederländischen Parlamentswahlen Wahlsieger wurde – ist in den Niederlanden ein feststehender Begriff. Und nun, beinahe zwei Jahre später, ist die Ausgangslage fast genauso wie damals: Sozialdemokrat Frans Timmermans tritt an, um eine rechte Regierung in Den Haag zu verhindern. Und wieder könnte er scheitern, trotz guter Werte in den Prognosen.
In der internationalen Politik ist Timmermans ein bekanntes Gesicht, und er ist ein Weltbürger. Der Diplomatensohn wuchs an der deutsch-niederländischen Grenze auf, außerdem in Brüssel, Paris und Rom. Er spricht sieben Sprachen fließend: Niederländisch, Limburgisch, Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch und Russisch. Er wurde ebenfalls Diplomat, wie sein Vater, und war von 2012 bis 2014 schon einmal niederländischer Außenminister.
Mit seinem Wechsel nach Brüssel im Jahr 2014 war Timmermans endgültig in der großen Politik angekommen: Er wurde Erster Vizepräsident der EU-Kommission und leitete als solcher Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn, Polen und Rumänien ein. Damit zeigte er, dass er nicht davor zurückschreckte, sich unbeliebt zu machen. Genau das wurde ihm schließlich auf dem Weg ganz nach oben zum Verhängnis.
Von der Leyen als lachende Dritte
Bei der Europawahl 2019 ging er als Spitzenkandidat der europäischen Sozialisten – und damit als direkter Gegenkandidat zu CSU-Politiker Manfred Weber, der für die konservative Europäische Volkspartei (EVP) antrat – ins Rennen. Das jeweils erklärte Ziel der beiden: EU-Kommissionspräsident zu werden. Weber schaffte es nicht, sich die Mehrheit im Europäischen Rat zu sichern. Timmermans allerdings auch nicht: Die Osteuropäer stellten sich gegen ihn. Stattdessen wurde überraschenderweise Merkel-Freundin Ursula von der Leyen zur neuen Chefin der Brüsseler Behörde gewählt.
Timmermans bekam wieder den Job des Ersten Vizepräsidenten und verantwortete in dieser Rolle den Green Deal – den Plan, die EU bis 2050 klimaneutral umzubauen. Das brachte dem Niederländer im Brüsseler Politikbetrieb enorme Macht ein. Dennoch: Es gab Berichte über Machtkämpfe mit von der Leyen, und dass Timmermans, der als sehr eitel gilt, es nicht verwunden habe, nicht selbst der Kommissionschef zu sein.
2023 witterte Timmermans dann die Chance, in den Niederlanden Ministerpräsident zu werden: Er verließ Brüssel – und landete in der Opposition. Derzeit sehen die niederländischen Wahlprognosen Timmermans auf dem zweiten Platz nach Wilders – also genauso wie 2023. Diesmal hat der Sozialdemokrat aber einen Vorteil: Keine Partei will mehr mit Wilders koalieren. Deswegen ist es wichtig, wer auf dem zweiten Platz landet und sich dann seine Partner sucht. In dem pluralistischen Parteiensystem der Niederlande ist es normal, dass mehrere Parteien miteinander koalieren. Timmermans' Plan, ganz nach oben zu kommen, könnte diesmal aufgehen.
Es kann allerdings genauso gut sein, dass wieder jemand an ihm vorbeizieht. Denn auch dem Spitzenkandidaten des konservativen Christdemokratischen Appells (CDA), Henri Bontenbal, werden gute Chancen auf den zweiten Platz eingeräumt.
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