Wahlkampf in Großbritannien: Unsichere Zeiten in Schottland

Im Norden stellen sich den Wähler:innen viele Fragen: Brexit oder nicht? Unabhängigkeit oder nicht? Ein Besuch in der schottischen Grenzregion.

Zwei Männer in gelbem Ölzeug sthen Arm in Arm vor einem Boot

Alan McMaster (r.): „Wir sind alle Labour, weil die Tories einfach nicht für Arbeiter sind“ Foto: Daniel Zylbersztajn

EYEMOUTH UND HAWICK taz | Ruhig liegen die Fischerboote an diesem Samstagmittag im Hafen von Eyemouth. Alexander Thornburn, 83, stolpert nach dem Mittagessen aus seiner Stammkneipe „Die zufriedene Seezunge“. Thorburn, bekleidet mit grauen Wollpullover und einer Kappe, ist in der kleinen Hafenstadt in der schottischen Grenzregion eine Legende. Er arbeitete jahrzehntelang als Fischer, bevor er vor seiner Pensionierung hier Hafenmeister wurde. „Ich verbrachte 40 Jahre auf der See“, erzählt Thornburn stolz; dann spricht er über die Freiheit, die der Brexit verspreche. Für ihn bedeutet der Ausstieg aus der EU, endlich das Recht zu haben, wieder mehr Fisch in den britischen Gewässern zu fischen.

Wie viele andere wird er also für die Konservativen abstimmen, um Boris Johnson zu unterstützen, sagt er, weil der den Brexit garantiere. Aber die Sache hat für ihn einen moralischen Haken: „Das ist verdammt schwer für mich, das zu tun – ja, es tut weh.“ Boris Johnson sei für ihn eigentlich ein Mann mit schlechtem Benimm aus den Eliteschmieden Eton und Oxford. „Ich hingegen bin ein Fischermann und eigentlich sind wir immer Labourleute.“

Das bestätigt Alan McMaster, 36, der im Hafen auf einem Boot arbeitet. „Wir von der Crew, die Arbeiter, sind alle durch und durch Labour, weil die Tories einfach nicht für Arbeiter sind.“

Eyemouth ist Teil des südschottischen Wahlkreises Ettrick, Roxburgh und Berwickshire, der sich 100 Kilometer weit von Eyemouth ins Landesinnere streckt und im Süden an England grenzt. Der Großteil der etwa 50.000 Personen starken Wahlgemeinde besteht aus Kleinstädten und Dörfern. Innerhalb der letzten 20 Jahre wurde der Wahlkreis von drei Abgeordneten dreier verschiedener Parteien eingenommen: Zunächst durch die Liberaldemokraten, dann durch die schottische Nationalpartei SNP und zuletzt 2017 durch John Lamont von den Konservativen.

Ein Kampf zwischen der SNP und den Tories?

Zu den Wahlen: Am 12. Dezember wählt das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland ein neues Parlament. Das Ergebnis wird über die Zukunft des Landes bestimmen: ob der Brexit vollzogen wird oder nicht, davon abhängig eventuell auch, ob der britische Gesamtstaat geeint bleibt oder nicht. Die taz begleitet den Wahlkampf mit einer lockeren Serie von Eindrücken aus unterschiedlichen Wahlkreisen und Milieus.

Der 43-jährige Anwalt Lamont, der auch schon Abgeordneter im schottischen Regionalparlament gewesen ist, steht an diesem Samstag in blauer Regenhose und schwarzen Gummistiefeln mitten im Stadtzentrum Hawicks unter einem Zeltdach im Regen.

Er halte seine Chancen für gut, gibt sich Lamont der taz gegenüber optimistisch. Es sei hier ein Kampf zwischen der SNP und seiner Partei, den Tories. Die SNP fordert ein erneutes Referendum über die schottische Unabhängigkeit, was die Konservativen ablehnen. So sagt auch Lamont, er werde sich für die Einheit des Vereinigten Königreichs einsetzen und für den Brexit. „Es ist aber vor allem mein Einsatz für die Leute hier – weswegen sie mich, einen stolzen Schotten, wieder wählen sollen“, sagt er.

Foto: infotext-berlin.de

In einem Wollgeschäft erzählt ein 50-jähriger Mann, dass sich Lamont tatsächlich bei einem Problem vorbildlich für ihn eingesetzt habe. Er wird ihn deshalb wählen. So wie James Gillespie, 32, in einer Schmiedewerkstatt im zehn Kilometer entfernten Dorf Bonchester Bridge. Doch erwähnt er den örtlichen Kandidaten gar nicht, er spricht nur über den Premierminister Johnson. Der stehe für den Brexit und gegen die Fragmentierung Großbritanniens, sagt Gillespie. Richtig überzeugt ist er aber auch nicht, weil der Brexit die SNP stärken könnte. Außerdem gäbe ein anderes Problem: „Ich habe einen Sohn, der Lernstörungen hat, und der viel mehr Hilfe in der Schule braucht.“

Also die Labour-Partei wählen, die viel investieren will? Jedoch mag Gillespie weder deren Parteichef Jeremy Corbyn noch deren Vorschlag, noch einmal über den Brexit abstimmen zu lassen. Für die fehlende Unterstützung schiebt er die Schuld sowohl auf die momentane Regierung in Westminster als auch auf die SNP-Regionalregierung in Schottland.

Von Labour hört man hier wenig

Für Nikki Mirk dagegen, die 45-jährige Managerin eines Secondhand-Ladens in Hawick, gibt es nur die SNP. „Ich habe 2016 für das Verlassen der EU gestimmt“, erkärt sie. Sie habe gewollt, dass Schottland und Großbritannien unabhängig werden. Inzwischen sei sie aber lieber für ein unabhängiges Schottland innerhalb der EU, „weil wir so als selbständiges Land mehr Unterstützung erhalten und Teil einer größeren Gemeinschaft sind“.

Von Labour hört man hier in Hawick wenig. Eine 50-Jährige, die ihre Stimme der SNP geben will, erklärt sich das so: „Hier in Schottland wird schon viel von dem umgesetzt, was Labour erst einführen will, etwa die Abschaffung der Studiengebühren oder Kostenübernahme für Medikamente.“

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