Wahlparty unterm Totenkopf: So sehen Sieger aus

Sie tragen Jacken oder Kapuzenpullover, und wenn sie fertig gejubelt haben, zücken sie das Smartphone: Besuch bei den Hamburger Piraten, die bei der Berliner Wahl auch ein bisschen gewonnen haben.

Nicht mehr alle IT-Mitarbeiter: Hamburger Piraten freuen sich über Berliner Prozente. Bild: Daniel Kummetz

HAMBURG taz | Sie jubeln wie Fußballfans nach einem Tor für ihre Mannschaft. Die Hamburger Piraten springen und reißen die Arme hoch, als die 8,5 Prozent-Prognose für die Berliner Piraten über die Leinwand läuft. Doch es dauert nicht lange, bis die Hände in die Hemdtaschen fahren und das Smartphone herausholen. Einer hat beim Jubeln den Laptop in der Hand. Einige haben Tablet-Computer dabei. Sie schauen, wie die Reaktionen sind auf dem Kurznachrichten-Portal Twitter und suchen nach anderen Prognosen.

Die Hamburger Piraten halten ein Bier oder eine Limo in der Hand, und es sind fast alles Männer. Nur zwei, drei Frauen kommen in die Hamburger Parteizentrale im Schanzenviertel, in einer Parallelstraße zum Schulterblatt. Der Stil ist gemixt: Die Männer tragen Kapuzenpullover, Lederjacken, Sportjacken - und Partei-T-Shirts. Kein Jackett, kein Anzug - wenn überhaupt ein Hemd. Einer hat einen Fan-Pullover von Altona 93 an, einem kleinen Hamburger Verein. Ein Teil seiner Fans war früher Unterstützer des FC St Pauli - und ist von dort gegangen, weil es dort nicht mehr alternativ genug war.

Den Frauenanteil machen manche von sich aus gleich zum Thema. "Ja, der ist gering, wir arbeiten dran", sagt etwa Michael Vogel. Und auch das Image, eine Techie-Partei zu sein, kennen sie nur zu gut. "Das war bei der Gründung viel krasser", sagt Vogel, selbst Programmierer. Inzwischen gebe es auch Mitglieder, die nicht in der IT-Szene arbeiten. Die meisten Piraten, die diesen Abend hier sind, stehen im Alter irgendwo zwischen den Mittzwanzigern und Mittvierzigern.

In den fünf norddeutschen Bundesländern war ein Aufwärtstrend der Piraten bisher nicht festzustellen: Bei allen Wahlen der vergangenen zwei Jahre schnitt die Partei schlechter ab als bei der Bundestagswahl 2009.

Schleswig-Holstein: Bei der Landtagswahl 2009 erhielt sie 1,8 Prozent (2,1 bei der gleichzeitig durchgeführten Bundestagswahl).

Hamburg: Bei der Bürgerschaftswahl im Februar 2011 erreichte sie 2,1 Prozent (2009: 2,6). Vertreten ist sie in den Bezirksversammlungen von Hamburg-Mitte mit zwei und von Hamburg-Bergedorf mit einem Abgeordneten.

Bremen: Dort kam sie bei der Bürgerschaftswahl im Mai auf 1,9 Prozent (2009: 2,4).

Mecklenburg-Vorpommern: Bei der Landtagswahl am 4. September erreichte sie 1,9 Prozent (2009: 2,3).

Niedersachsen: Bei den Kommunalwahlen am 11. September kam sie landesweit auf 1,0 Prozent. Damit enterte sie 60 Gemeinde- und Stadträte sowie Kreistage (2009: 2,0 Prozent).

Die Geschäftsstelle ist ein kleiner Ladenraum mit Küche und WC. Er ist leer geräumt, ein Tisch und ein paar Stühle sind gestapelt, ein paar stehen an der Seite. Sie sind an diesem Sonntag der Lagerplatz für die laufenden Laptops der Mitglieder - nicht alle haben Tablets oder Smartphones dabei.

Auf einem Tresen stehen Parteiflugblätter und eine Miniatur-Gießkanne mit keiner Pflanze. Ein Flyer mit Kondom liegt neben den Grundgesetz-Büchlein der Bundeszentrale für politische Bildung.

Der Briefkasten ist vollgeklebt mit Aufklebern. Gegen Atomkraft, für die Satire-Gruppe "Die Partei" oder das Internet-Video-Projekt der Stuttgart 21-Gegner Cams21. Die meisten sind Werbung für die eigenen Partei. "Der Staat muss draußen bleiben", steht auf einem.

In Berlin ziehen die Piraten an diesem Abend das erste Mal in ein Landesparlament ein. Das hat auch für die Hamburger Folgen. "Wir müssen jetzt keine Unterschriften mehr sammeln, um bei der Bundestagswahl antreten zu dürfen", erzählt einer, während auf der Leinwand alle Twitter-Nachrichten zum Thema "Piraten" erscheinen. FDP-Witze tauchen auf, sie werden mit einem Lachen quittiert. "Die sind jetzt die größte unter den kleinen Parteien", ruft einer. Das ist ihre Hamburger Rolle.

Auf dem Bürgersteig vor der Parteizentrale läuft ein Mitglied im orangenen Partei-Polo-Shirt herum und spricht aufgeregt in sein Headset. "Der ist von der Bundes-IT", erklären die andere. Die IT-Spezialisten-Partei kämpft darum, dass die Parteiwebsite am Sonntag kurz nach der Wahl erreichbar bleibt - trotz des ungewohnten Ansturms. Zwischendurch ist die Hauptseite nur sehr langsam erreichbar, umherstehende Mitglieder diskutieren die Lage - und verweisen auf die gute Absicherung der Berliner Seite gegen Ausfälle. "Die haben über zehn Mirrors angelegt, einer sogar in Spanien."

"Bei der Hamburg-Wahl war es einfach noch nicht so weit", sagt Thomas Michel, der stellvertretende Hamburger Parteivorsitzende, wenn man ihn danach fragt, warum die Berliner so viel weiter sind. Er steht an einem Gartentisch auf dem Parkplatz vor der Zentrale, in der Nähe vom Grill, auf dem nur Fleisch liegt. Die Piraten würden sich jetzt zu einer Partei mit "Vollprogramm" entwickeln, glaubt Michel. Der große Wandel komme aber nicht durch die Inhalte. "Die Inhalte können die anderen Parteien mit mehr Ressourcen kapern. Wir aber werden eine andere Kultur reinbringen."

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