Wahrheit über Lügendetektor unterdrückt: Maulkorb für Wissenschaftler

Mit Lügendetektoren wollen Behörden Sozialbetrüger überführen. Die Apparate funktionieren aber gar nicht, haben Forscher nachgewiesen. Das dürfen sie jetzt nicht mehr sagen.

In vielen Ländern sind Lügendetektoren vor Gericht nicht zugelassen. Bild: dpa

STOCKHOLM taz | In Großbritannien sollen Lügendetektoren landesweit zur Überprüfung von Sozialhilfeempfängern eingesetzt werden. In anderen Ländern werden sie von der Polizei oder bei Sicherheitskontrollen auf Flughäfen verwendet. Doch Lügendetektoren sind Humbug und funktionieren überhaupt nicht. Das sagen die beiden schwedischen Wissenschaftler Francisco Lacerda und Anders Eriksson. Diese Aussage dürfen sie jedoch jetzt nicht mehr veröffentlichen. Zumindest wenn es nach „Nemesysco“ geht, der israelischen Firma, die diese Lügendetektoren herstellt.

Nemesysco produziert Lügendetektoren, die angeblich an den Veränderungen der Stimme erkennen können, ob jemand lügt. Die beiden schwedischen Phonetikprofessoren Lacerda und Eriksson veröffentlichten jedoch schon vor zwei Jahren in der Fachzeitschrift The International Journal of Speech, Language and the Law (IJSLL) einen Artikel, der die bei diesen Lügendetektoren genutzte Technik als Scharlatanerie bezeichnete. Sie wiesen nach, warum die von Nemesysco genutzte Stimmenanalysetechnik noch nicht einmal theoretisch funktionieren kann.

Seit einigen Wochen ist der fragliche Text vom Online-Auftritt der Zeitschrift IJSLL verschwunden. Anstelle dessen stehen dort nun einige Zeilen, in denen sich der Verlag für die Veröffentlichung entschuldigt. Nicht etwa weil deren Aussagen falsch wären. Sondern weil sich die Firma Nemesysco über den Inhalt beklagt hätte und ihr vor Veröffentlichung keine Gelegenheit gegeben worden sei, die Angriffe gegen ihr Produkt zu kommentieren.

Den Verfassern des Artikels, Francisco Lacerda und Anders Eriksson, wird in einem Brief der Nemesysco-Anwälte angedroht, sie würden wegen Verleumdung verklagt werden, würden sie den fraglichen Text in einem anderen Forum veröffentlichen oder „einen gleichartigen Text einer anderen Zeitschrift einschicken“.

Das Seltsame an dieser Geschichte: Mit keinem Wort setzt sich die Firma mit den Argumenten der beiden Professoren auseinander. „Das Unternehmen hat keinerlei Gegenargument präsentiert, sondern versucht uns ganz einfach zum Schweigen zu bringen“, sagt Lacerda. Dabei sei sich die Forscherwelt in ihrem Urteil über solche Lügendetektoren eigentlich einig. Es gebe keine haltbaren Beweise für ihre Funktionalität. Sie könnten leicht manipuliert werden und hätten allenfalls bei manchen Menschen eine Art „Placebo“-Effekt: Wer meint, er werde sonst entlarvt, sage eher die Wahrheit.

Lacerda und Eriksson beschränken sich bis zu einer Klärung der Rechtslage nun darauf, Interessenten auf Anfrage „persönliche Exemplare“ ihrer Veröffentlichung zukommen zu lassen – das wurde ihnen nämlich nicht verboten. Und zahlreiche WissenschaftlerInnen und Medien kritisieren den Versuch, die Publikation von Forschungsergebnissen einfach mit Drohungen zu unterdrücken.

Professor Lacerda macht dem kleinen Verlag, der IJSLL herausgibt keinen Vorwurf, klein beigegeben zu haben und sich auf einen Rechtstreit mit einer mächtigen Firma nicht einlassen zu wollen: „Aber die Tests mit dem Lügendetetor richten ja Schaden an und als Forscher haben wir eine moralische Schuld darauf hinzuweisen. Es kann Sozialhilfeempfänger treffen, denen dann völlig zu Unrecht die Hilfe gestrichen wird. Diese Unternehmen verdienen eine Menge Geld mit den Apparaten. Und wenn wir darauf hinweisen, dass der Kaiser keine Kleider anhat, dann sind wir natürlich eine Bedrohung für diese Geschäfte.“

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