Waldbrände in Brasilien: Vor dem ersten Funken
Der Umweltingenieur Josivaldo Lucas Galvão Silva arbeitet an Prognosen zum Waldbrandrisiko im Amazonasregenwald. Diese können Wald und Leben retten.

Josivaldo Lucas Galvão Silva: Bislang wurden die meisten Studien zum Brandrisiko auf globaler Ebene durchgeführt, mit Modellen mit geringer Auflösung, die die Besonderheiten der Region nicht erfassen. Wir wollten diese Lücke mit einer hochauflösenden Modellierung und einer detaillierten Analyse der Branddynamik und der atmosphärischen Zirkulation unter den Bedingungen der Amazonasregion schließen.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de. Weitere ihrer Artikel erscheinen am 12. 9. in einer taz-Beilage, am 17. 9. gibt es einen Talk mit ihnen in der taz Kantine.
In der Praxis liefert jedes Klimamodell unterschiedliche Ergebnisse, je nachdem welche Formeln und Daten verwendet werden. Das eine Modell prognostiziert mehr Niederschläge, das andere weniger. Kein Modell ist für sich genommen das einzig richtige. Es braucht eine Kombination mehrerer Modelle, eine Reihe von Simulationen. Dadurch lassen sich die Ergebnisse vergleichen und es lässt sich überprüfen, ob sie auf denselben Trend hindeuten. Das macht unsere Studie. Und wenn verschiedene unabhängige Modelle zu ähnlichen Ergebnissen kommen, erhöht sich das Vertrauen in die Vorhersage.
taz: Im Vorjahr erlebte Brasilien verheerende Waldbrände – dadurch ging der Baumbestand auf einer Fläche größer als Kalifornien verloren. Laut Daten von MapBiomas ist das ein Anstieg von zwei Dritteln gegenüber 2023, die Zahl der Brandherde legte um über 40 Prozent zu. Wenn das so weitergeht, wird vom Regenwald irgendwann nichts mehr übrigbleiben …
Galvão Silva: Wir haben ein extremes Szenario simuliert, das kurzfristig zwar unwahrscheinlich ist, aber nützlich ist, um die Grenzen des Systems zu verstehen: vollständige Abholzung des Amazonasregenwalds, Ersatz durch Weideland und ein dadurch erzeugter deutlicher Anstieg der Treibhausgase. Unsere Daten zeigen, wie wichtig der Wald für die Regulierung des Klimas und die Verringerung der Brandgefahr ist.
Die Warnung ist klar: Wenn die Zerstörung weitergeht, könnte der Amazonas einen Kipppunkt erreichen, an dem er seine Fähigkeit zur Regeneration verliert. Dies würde einen Kreislauf von Veränderungen in der Vegetation und im lokalen Klima in Gang setzen, der immer häufigere Brände begünstigen würde, mit tiefgreifenden Auswirkungen auf das globale Klima und die Artenvielfalt.
taz: Welche Rolle spielt die Abholzung beim Brandrisiko?
Galvão Silva: Das Amazonasgebiet ist ein natürlich feuchter Tropenwald, da sind spontane Brände selten. Und selbst bei für Brände günstigen klimatischen Bedingungen – lange Trockenperioden, niedrige Luftfeuchtigkeit und hohe Temperaturen – ist eine Zündquelle erforderlich. Und diese hat fast immer etwas mit menschlichen Aktivitäten zu tun, insbesondere der illegalen Abholzung. Durch das Abholzen des Waldes werden der Boden und die verbleibende Vegetation der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt, wodurch die Luftfeuchtigkeit sinkt und sie leichter entflammbar werden. Das Roden von Lichtungen und das Anlegen von Straßen erleichtern den Zugang und erhöhen die Wahrscheinlichkeit von absichtlichen oder versehentlichen Bränden.
taz: Wie kann Ihr Modell praktisch helfen? Nehmen wir den Rauch der Brände, unter dem sogar weiter vom Brandherd entfernt liegende Städte und Gemeinden leiden …
Galvão: Einige Atmosphärenmodelle können die Ausbreitung von Rauchwolken vorhersagen. Bei der Identifizierung eines Brandherdes kann dann abgeschätzt werden, wohin sich der Rauch ausbreiten wird, sodass Behörden und Anwohner Zeit haben, sich vorzubereiten – sei es durch das Tragen von Masken oder durch die Verbesserung der medizinischen Versorgung. Eine Verhinderung von Rauchsmog ist jedoch nur möglich, wenn illegale Brände verhindert werden.
taz: Was braucht es noch, um die Genauigkeit und praktische Anwendbarkeit der Klimaprognosen im Amazonasraum zu verbessern?
Galvão Silva: Die Indizes und Modelle für das Brandrisiko werden ständig weiterentwickelt. Der Amazonas braucht einen eigenen Index, der an seine Besonderheiten angepasst ist. INPE, das Nationale Institut für Weltraumforschung, und die Universität des Bundesstaates Amazonas bieten bereits eine Überwachung per Satellit an. Jetzt müssen die Entscheidungsträger diese Vorhersagen nur ernst nehmen und die prognostizierten Szenarien für die Planung von Maßnahmen zur Schadensminderung nutzen.
Mit zuverlässigeren Prognosen könnte die Regierung vor der Trockenzeit in Präventionskampagnen investieren und die Überwachung in Risikogebieten verstärken. Dies würde dazu beitragen, unbeabsichtigte Brände – wie durch verbrannten Müll oder Zigarettenkippen verursachte Brände – zu vermeiden und illegale Aktivitäten zu bekämpfen. Angesichts der Größe des Waldes ist dies jedoch eine Aufgabe, die große Anstrengungen und Koordinierung erfordert.
Interviewer Cley Medeiros ist ein brasilianischer Journalist. Er arbeitet für die Tageszeitung A Crítica in Manaus.
Übersetzt aus dem Portugiesischen von Ole Schulz
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