Waldbühne ohne Barrierefreiheit: Ausgesperrte Rollstuhlfahrer

Fast hätte ein Pearl-Jam-Fan nicht zum Konzert seiner Lieblingsband gedurft. Weil das Recht auf Teilhabe zu wenig zählt in der Berliner Waldbühne.

Blick von oberen Rängen auf die Bühne der Berliner Waldbühne

Die Waldbühne Berlin bei einem Konzert vom West-Eastern Divan Orchestra Foto: picture alliance/dpa

BERLIN taz | Manchmal sind die Ergebnisse von Recherchen unfassbar empörend. Bei uns meldete sich die beste Freundin von Roland Mandel, einem Lehrer aus Lüneburg. Bei Mandel wurde vor einem knappen Jahr eine unheilbare Krankheit diagnostiziert. Er hat nur noch ein paar Monate zu leben und für diese Zeit ein paar wenige, sehr dringende Wünsche. Einer davon ist der Besuch des Pearl-Jam-Konzerts am 21. Juni auf der Berliner Waldbühne.

Als Fan hat Mandel sein Ticket für das mehrfach verschobene Konzert schon 2019 gekauft, als er noch gesund war. Inzwischen sitzt er im Rollstuhl, und genau deshalb sollte ihm der Zugang zur Waldbühne verwehrt bleiben, weil die ganzen 12 Rollstuhlplätze dort bereits ausgebucht waren.

Es ist die Geschichte eines einzelnen Mannes mit einem letzten Wunsch, die gewichtige Fragen aufwirft

Es ist die Geschichte eines einzelnen, schwerkranken Mannes mit einem letzten Wunsch, die allgemeine und gewichtige Fragen aufwirft. Bezeichnend ist nicht nur, dass es Tage braucht, bis die beteiligten Unternehmen und Behörden – der Bühnenbetreiber, der Eigentümer, der Konzertveranstalter, die Politik – fertig damit sind, sich die Verantwortung hin und her zuschieben und eine individuelle Lösung für Roland Mandel gefunden ist. Nach vielen Mails und Telefonaten darf er glücklicherweise doch zum Konzert.

Aber das große Ganze wird dadurch kein Stück weniger problematisch. Roland Mandels Versuch zum Konzert zu kommen, zeigt vielmehr eindrücklich, wie dramatisch es um die Barrierefreiheit bestellt ist. Eigentlich sollen Versammlungsstätten 1 Prozent Rollstuhlplätze vorweisen. Bei der Waldbühne mit 22.000 Plätzen wären das 220. Die 1936 errichtete Bühne ist in einen Talkessel hineingebaut, es gibt – will man die baulichen Gegebenheiten nicht deutlich verändern – angeblich nur die Möglichkeit für 12 Rollstuhlplätze.

Das Berliner Gesetz, das die Bar­rie­re­freiheit von Versammlungsstätten regelt, räumt für Bestandsbauten Sonderregeln ein. Und der Denkmalschutz hat bei der Waldbühne ohnehin ein Wort mitzureden.

So soll die Waldbühne zwar irgendwann demnächst umgebaut werden. Der Eigentümer – übrigens das Land Berlin selbst – macht allerdings schon jetzt die Ansage, dass es auch dann keinesfalls 1 Prozent Rollstuhlplätze geben wird.

Es ist zweifelsohne gut, dass der Denkmalschutz historisch wertvolle Bauten vor den Billigbauinteressen von Investoren schützt. Aber kann es ernsthaft wahr sein, dass der detailgetreue Schutz eines alten Bauwerks – das wohlgemerkt der öffentlichen Unterhaltung und Teilhabe dient – schwerer wiegt als die Menschenrechte?

Darf es sein, dass sich Po­li­ti­ke­r:in­nen hinter Vorschriften verstecken, die Menschenrechte beschneiden? Menschen mit Behinderung ist gleichberechtigter Zugang zu Orten kultureller Darbietungen zu gewähren. So steht es in der UN-Behindertenrechtskonvention. Alles andere ist bewusste Diskriminierung.

Natürlich ist es wunderbar, dass Roland Mandel nun doch bei Pearl Jam in der Waldbühne dabei sein kann. Aber es darf nicht an der Kraft und Renitenz von Freun­d:in­nen hängen, ob Menschen mit Behinderung gleichberechtigt zu anderen am gesellschaftlichen Leben teilhaben können.

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Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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