Waldpflege in Guyana: Zwischen Naturschutz und Entwicklung
Guyana hat eine der niedrigsten Abholzungsraten weltweit, doch der Bergbau treibt die Entwaldung im Land weiter voran.
Guyana wird von Regenwald in der Größe Englands und Schottlands bedeckt und ist auf internationaler Ebene eine Art Vorreiter in Sachen Waldschutz. Gleich hinter dem Nachbarland Suriname auf dem südamerikanischen Kontinent wird Guyana als das Land mit dem zweithöchsten Waldanteil gefeiert: 85 Prozent seiner 215.000 Quadratkilometer sind grün. Doch die malerische Landschaft hat zahlreiche Narben: abgeholzte Flächen, Gruben und Absetzbecken aus dem Goldabbau. Besonders deutlich wird dies im Goldabbaugebiet Region 7, einer der zehn Verwaltungsregionen Guyanas.

Der Text ist im Rahmen des Klimaworkshops Green Panter Amazonia der taz Panter Stiftung entstanden. Mehr Texte der Teilnehmenden aus 8 Ländern der Amazonas-Region auf taz.de.
David Daniels, dessen Familie seit Generationen Gold abbaut, folgte seinem Vater als Teenager in den Regenwald, um nach Gold zu suchen. Die abgelegenen Bergbaugebiete, die oft nur über holprige Pfade, Flüsse oder alte Holzabfuhrwege zu erreichen sind, schreckten ihn nicht ab. „Meine Familie ist seit Generationen im Bergbau tätig – mein Vater, sein Vater und vor ihm mein Großvater“, sagt er. „Nach meinem Schulabschluss um das Jahr 2005 habe ich angefangen, hauptberuflich im Bergbau zu arbeiten.“
Bergbau als Rückgrat der Wirtschaft
Daniels genießt die Schönheit des Waldes. „Ich liebe die natürliche Schönheit der Region 7 – das tun wir alle.“ Allerdings macht sich Daniels Sorgen um die Abholzung im Zusammenhang mit dem Bergbau und ist sich der Spannungen zwischen wirtschaftlicher Entwicklung und Umweltschutz bewusst. „Die Menschen müssen ihren Lebensunterhalt verdienen und Eigentum für künftige Generationen aufbauen“, sagt Daniels. Heute leitet er die Guyana Small Miners Association, die Vereinigung der Kleinbergbauer.
„Der Bergbau war schon immer ein Rückgrat der Wirtschaft Guyanas, insbesondere in Gegenden, in denen es in den Städten allein nicht genügend Arbeitsplätze gibt.“ So wie in Bartica, der Stadt, aus der Daniels stammt. Sie ist das Tor zu den ergiebigen Gold- und Diamantenminen der Region 7. Die Arbeitsplätze in Behörden, im Bildungs- oder Gesundheitswesen sind rar, sodass die Menschen aus der Region in Scharen dorthin strömen, wo Gold gefunden wird – egal wie abgelegen der Ort ist –, in der Hoffnung, das große Geld zu machen.
Daten des Ministeriums für natürliche Ressourcen zeigen, dass es in Guyana fast 3.000 kleine und mittlere Gold- und Diamantenminen gibt. Große Minen gibt es dagegen nur drei. Laut Guyana Forestry Commission war der Bergbau zusammen mit anderen Aktivitäten 2023 insgesamt für fast zwei Drittel der Entwaldung in Guyana verantwortlich, neuere Daten gibt es bisher nicht. Die Abholzung belief sich laut der Kommission auf nahezu 10.000 Hektar, was aber einer jährlichen Abholzungsrate von lediglich 0,053 Prozent entspricht.
Präzise Daten zur Abholzung
Edward Goberdhan, Kommissar der Guyana Forestry Commission, sagt, dass Guyana weiterhin eine der niedrigsten Abholzungsraten der Welt aufweist, eine Auszeichnung, die durch strenge internationale Bewertungen kontinuierlich und unabhängig bestätigt wurde. „Unsere niedrige Entwaldungsrate ist weltweit ein Vorbild, insbesondere für waldreiche Entwicklungsländer, die sich um ein Gleichgewicht zwischen Entwicklung und Naturschutz bemühen“, erklärt Goberdhan.

Der Waldverlust in Guyana durch Faktoren wie Bergbau, Landwirtschaft und Infrastrukturentwicklung ist laut Goberdhan über die Jahre hinweg gering geblieben. Dies sei kein Zufall, sondern das Ergebnis einer bewussten Politik, sorgfältiger Planung und eines erstklassigen Systems zur Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung.
Das System wurde laut Goberdhan mit internationaler Unterstützung und wissenschaftlicher Genauigkeit entwickelt und liefert präzise und transparente Daten. Sie unterstützen die Entscheidungsfindung auf nationaler Ebene, ermöglichen eine leistungsorientierte Klimafinanzierung und stärken die Glaubwürdigkeit Guyanas auf der Weltbühne. „Es ist ein Eckpfeiler der Strategie für eine kohlenstoffarme Entwicklung (LCDS) von Guyana, die den Weg für eine nachhaltige wirtschaftliche Transformation ebnen soll und gleichzeitig unsere Wälder zum Wohle künftiger Generationen schützt“, so Goberdhan.
Hotspots mit größerer Entwaldung
Die Bergbauaktivitäten sind im Zentrum Guyanas, wie in Region 7 und der nahe gelegenen Region 8, konzentriert. Die abgebaute Fläche ist zurückgegangen und liegt deutlich unter dem Wert von 2012 (13.664 Hektar), als der Goldpreis den höchsten Stand seit 1980 erreichte.
Romario Hastings, der indigene Häuptling eines Dorfes in Region 7, würdigt die niedrige Entwaldungsrate Guyanas. Er fragt sich jedoch, wie hoch die Rate wäre, wenn man die Entwaldungsraten nach Regionen oder Distrikten messen würde – beispielsweise in seinem Heimatdistrikt Upper Mazaruni, der von den Akawaio und Arecuna bewohnt wird, zwei der neun indigenen Völker im Land. Dieses Gebiet in Region 7 ist reich an Gold und anderen Bodenschätzen und zieht seit Jahrzehnten kleine und mittlere Bergbauunternehmen an.
„Können wir für die Bergbaugebiete wirklich sagen, wie hoch die Entwaldungsraten in den tatsächlichen Hotspots sind?“ Angesichts der Daten auf nationaler Ebene sagt er jedoch, dass ein Teil des Verdienstes den Gemeinden zukommt, die ihre Interessen verteidigen – indem sie bestimmte Erweiterungen ablehnen oder verzögern –, denn sonst hätte es noch schlimmer kommen können.
In seinem Dorf hat die Gemeinde beschlossen, in einem ausgewiesenen Gebiet in geringem Umfang Bergbau zu betreiben. Im benachbarten Dorf Paruima, dem einzigen Dorf des Arecuna-Volkes in Guyana, hat man beschlossen, zum Schutz des Waldes sogar überhaupt keinen Bergbau zu betreiben. „Die Gemeinden spielen eine wichtige Rolle, weil sie mitbestimmen können, wie der Bergbau voranschreitet, wie viel abgebaut wird und wie die Aktivitäten in sensiblen Gebieten kontrolliert werden“, sagt Hastings.
Datengestützte Vergabe von Bergbaurechten
Die Regierung von Guyana bezahlt dem US-Unternehmen Global Venture Natural Resources Consulting 1,8 Millionen US-Dollar für eine Kartierung der Bodenschätze, da die Daten seit sechs Jahrzehnten nicht mehr aktualisiert wurden. Darüber hinaus wurden weitere Mittel für eine Bestandsaufnahme der Bodenschätze bereitgestellt, um einen nachhaltigeren Bergbau im Einklang mit der Strategie des Landes für eine kohlenstoffarme Entwicklung zu ermöglichen.
„Wir sind jetzt besser in der Lage, zu verstehen, was unter der Erdoberfläche unseres Landes liegt, sodass wir fundiertere Entscheidungen treffen können“, erklärte der Minister für natürliche Ressourcen Vickram Bharrat gegenüber der lokalen Nachrichtenagentur News Room. Durch einen datengestützten Ansatz bei der Vergabe von Bergbaurechten werde Guyana „unsere Wälder retten“, so Minister Bharrat.
„Ich halte die Maßnahmen der Regierung zur Kartierung der Bodenschätze unseres Landes für sehr wichtig“, sagt auch der Vertreter der Kleinbergbauer David Daniels. „So wissen wir genau, wo wir nach Gold und Diamanten suchen können, und sparen Zeit und Geld.“
Der indigene Häuptling Hastings nennt das Vorgehen indes ein zweischneidiges Schwert, da die genaue Kenntnis der Lage von Goldvorkommen und anderen Mineralien zu einem aggressiveren Bergbau und damit zu weiterer Zerstörung des Waldes führen könnte. Politiker wie Daniels und Hastings wissen: Die große Herausforderung besteht weiter darin, ein Gleichgewicht zwischen Rohstoffgewinnung und Naturschutz zu gewährleisten, um die grüne Landschaft Guyanas zu erhalten.
Neil Marks ist ein Journalist aus Guyana. Er arbeitet für die Medienplattform News Room Guyana.
Übersetzt aus dem Englischen von Ole Schulz
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