Waldwirtschaft und Großbrände: Kein Wald vor lauter Bäumen

In Brandenburg brennen die Kiefernwälder wie Zunder. Doch das Feuer ist auch eine Chance – für eine Rückkehr zum Naturwald.

Rauchwolken über Einfamilienhaus

Bedroht auch Menschen: Der Waldbrand in Brandenburg kurz vor Frohnsdorf Foto: dpa

HAINICH taz | Ein feiner Hauch Rauch liegt in der Luft über Berlin und vermittelt den Städtern eine Ahnung davon, was ein Waldbrand ist. Rund 50 Kilometer südwestlich der Hauptstadt stehen auf 400 Hektar Büsche, Heidekraut und Kiefern in Flammen, vor allem Kiefern. Wenn das Feuer die Baumkronen erreicht, springen die Flammen wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast und sind nicht mehr aufzuhalten. Hunderte Bäume sind verbrannt. Tausende Kiefern stehen noch, die Stämme angesengt und schwarz, Glut glimmt hier und dort am Boden. „Wir haben die Lage so weit im Griff“, befindet Christian Stein, Vize-Landrat der Region am Samstagabend.

Allein: In Brandenburg brennt in Wahrheit kein Wald, sondern ein Forst. Ein Acker aus Kiefern, den Förster in den vergangenen 70 Jahren gepflanzt haben. In der DDR war ein Forst dazu da, regelmäßig abgeerntet zu werden. Auf die Natur nahmen die realsozialistischen Forstleute keine Rücksicht. Ihr Lohn wurde gekürzt, wenn die von ihnen neu gepflanzten Bäumchen nicht nach drei Jahren angewachsen waren. Diese Sicherheit gab ihnen die Kiefer – und nicht die Eiche.

Der Nachteil in Zeiten des Klimawandels mit seinen knochentrockenen Sommern: Kiefern brennen wie Zunder, ihr Harz beschleunigt jeden Brand. Das Brandenburger Umweltministerium warnt im letzten Landeswaldbericht: „In den großen Kieferngebieten besteht eine hohe Gefährdung durch Waldbrand. Am Waldumbau geht deshalb kein Weg vorbei.“

Zwei Drittel der Bäume in Brandenburg sind Kiefern, die meisten wachsen im Süden des trockensten deutschen Bundeslands. Ginge es nach der Natur, dann würden Eichen- und Laubmischwälder die sandigen Flächen bedecken. Doch die preußischen Forstleute haben schon vor Jahrhunderten den Wald abgeholzt – und die Flächen mit Kiefern aufgeforstet. Nördlich von Berlin, in der Schorfheide, hatten die Kiefer-Monokulturen den angenehmen Nebeneffekt, dass die nackten Bäume eine freie Schussbahn für die Jäger ermöglichten, zunächst für Kaiser Wilhelm II, dann für Reichsjägermeister Hermann Göring und später Erich Honecker, die dort auf Rothirsche anlegten. Forst aus Kiefern und Fichten produziert eben schnell wachsende, gerade Stämme für die Holzindustrie, er bringt sicheres Geld und er erleichtert die Trophäenjagd.

Nur Mischwälder können die Trockenheit überstehen

Dabei flöten es die Drosseln aus den Wäldern, dass nur Mischwälder aus Buchen, Ahorn, Linden, Eichen, Tannen, Elsbeeren, Ulmen und auch mal Kiefern im Klimawandel bestehen. Naturnahe Laubmischwälder speichern Wasser auch nach starken Regenfällen, stehen Trockenheit und Stürme durch, halten den Boden zusammen und bilden ein funktionierendes Ökosystem. „Natürliche Wälder haben in langer Evolution ihr Überleben durch Anpassung gesichert – sie passen sich auch an den Klimawandel an, mit allen Individuen des Wald-Ökosystems“, sagt Forstwissenschaftler Lutz Fähser, der als ehemaliger Forstdirektor von Lübeck vor über 20 Jahren damit begann, seinen 5.000 Hektar großen Stadtwald naturnah zu bewirtschaften.

Naturnahe Waldnutzung, das bedeutet vor allem, die Bäume und den Wald in Ruhe zu lassen. Also nicht alle fünf Jahre durchforsten, sondern die Bäume wachsen lassen, krumm, schief und verzweigt. Alte und junge Bäume, Sämlinge und uralte Bäume stehen durcheinander. Absterbende Bäume und Totholz bleiben liegen, denn Insekten und Pilze leben davon und sorgen dafür, dass die Nährstoffe in den Boden gelangen. So entstehen in Wäldern dicke Humusschichten, die Wasser speichern und für das feuchtkühle Klima im Wald sorgen. „Das Wirtschaften in Wäldern kann biologisch und wirtschaftlich nur gelingen, wenn man die kostenlose Produktivität und Selbsterneuerung der Natur absichert“, sagt Lutz Fähser, der mittlerweile in Rente ist. Sein Nachfolger im Stadtwald Lübeck führt die naturnahe Waldnutzung aber fort. Und weil sie ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll ist, verleiht der Bundesdeutsche Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management Lutz Fähser im September den diesjährigen BAUM-Umweltpreis.

Aus dem Brandenburger Landeswaldbericht

„In den großen Kieferngebieten besteht eine hohe Gefährdung durch Waldbrand“

Das Feuer in den Kiefernforsten von Brandenburg hat Werte vernichtet. Doch es könnte die große Chance für den Umbau von Forst zu Wald sein. In den Flammen sind die dicken Matten an Nadeln verbrannt, die seit Jahrzehnten unverrottbar in den Kieferplantagen liegen. Da dort kaum Kräuter, Gräser, Pflanzen wachsen, passiert im Boden wenig. Die Kiefernnadeln verbreiten ein saures Klima, in dem Asseln, Tausendfüßler, Springschwänze, Regenwürmer und die meisten anderen tierischen Humusmacher nicht leben. Nur hochspezialisierte Pilze und Mikroben können die Nadeln verdauen, brauchen dafür aber lange Zeit. Das Bodenleben in Kieferforsten ist eingeschränkt, der Nährstoffkreislauf stockt.

Das Feuer hat auch sein Gutes – für den Boden

Das Feuer hat auch sein Gutes: Es hat die in den Nadeln gebundenen Nährstoffe freigesetzt. Auf einen Schlag sind die für Pflanzen entscheidenden Stoffe im Boden und bieten beste Voraussetzungen für üppiges Wachstum. Stickstoff, Kohlenstoff, Phosphor, Calcium, Kalium und Magnesium lauern in der Asche, wo es noch vor Kurzem gebrannt hat.

Beate Michalzik, Bodenkundlerin

„Ein Brand am Boden bedeutet einen kurzfristigen Eintrag an Pflanzennährstoffen – eigentlich schön, wenn die Pflanzen das nutzen. Jetzt muss man schnell bestocken. Da entsteht ein hervorragendes Versuchsfeld, um den Waldumbau voranzutreiben“

„Wenn die Kronen brennen, gehen die Stoffe in Gas über und sind weg“, sagt Beate Michalzik, Professorin für Bodenkunde an der Universität Jena. Bei 500 oder 600 Grad bleibt nur Asche. Wir treffen Michalzik in einem Buchenmischwald der Laubgenossenschaft Kammerforst auf dem Hainich in Thüringen, um zu sehen, wie sich die Dürre auf den Boden und den Wald auswirkt.

„Ein Brand am Boden bedeutet einen kurzfristigen Eintrag an Pflanzennährstoffen – eigentlich schön, wenn die Pflanzen das nutzen“, sagt Michalzik, die für ein Forschungsprojekt selbst schon Waldboden abgefackelt hat. Kurzfristig finden Pflanzen nach einem Brand am Boden mehr Stickstoff, der sie in die Höhe treibt. „Jetzt muss man schnell bestocken“, sagt sie – also Bäume pflanzen und säen. Denn sobald es wieder zu regnen beginnt, rauschen die Nährstoffe durch die Asche und lose herumliegende Sandkörner hindurch und sind verschwunden. „Die Wiederbefeuchtung dauert, die Tropfen perlen erst einmal ab“, sagt Michalzik, die einen Waldbrand wie in Brandenburg gleichermaßen gruselig wie wissenschaftlich faszinierend findet. „Da entsteht ein hervorragendes Versuchsfeld, um den Waldumbau voranzutreiben“, sagt sie.

Die Blätter der Buchen fallen, dabei ist es August

Im Laubmischwald Hainich in Thüringen brennt nichts. Und doch hat die Trockenheit der letzten Monate den Bäumen schwer zugesetzt. Lindgrün, gelb, beige segeln die Blätter der Buchen hinab und rascheln, wenn sie auf die schon gefallenen Blätter auf dem Boden treffen, so wie wenn ein Stückchen Pappe in einen Haufen von Papierknäueln fällt. Gelb, hellgrün, braun, sattgrün bedecken die Buchenblätter den Waldboden. Sie liegen im August schon so hoch, dass die Füße im papierenen Laub einsinken. Hübsch und farblich harmonisch sieht das aus. Aber hier stimmt etwas nicht. Es ist nicht normal, dass Buchen im August ihre Blätter abwerfen, grün und trocken und eine nach der anderen, obwohl kein Wind die Zweige bewegt.

Die Buchen können nicht mehr. Die Wurzeln haben nicht die Kraft, um die Feuchtigkeit aus Ton, Erde, Sand und Gesteinsritzen zu ziehen. „28 Prozent Wasser in 30 Zentimetern“, sagt Alexander Tischer, der mit langgestreckten Beinen auf dem Buchenlaub sitzt. Er ist Forstwissenschaftler an der Universität Jena und sieht mit bloßem Auge an Blättern und Ästen, dass der Wald vertrocknet. Die Zahlen liest er vom Monitor seines Laptops ab, den er an den Waldboden angeschlossen hat. In einem Kasten neben Tischer laufen durch gummiummantelte Kabel die Daten von acht Messstellen zusammen. Das Wasser in 30 Zentimetern Tiefe sammelt sich nicht etwa in einer Pfütze, sondern durchzieht den tonhaltigen Boden wie ein Hauch. Mit der Hand fühlt sich so ein Erdklumpen dann kühl an. Nicht nass. „In 4 Zentimetern Tiefe haben wir 14 Prozent, 7 Prozent, 11 Prozent“, liest Tischer die Daten der verschiedenen Messbecher vom Bildschirm ab. „Furztrocken“, sagt Beate Michalzik, die ihrem Assistenten Alexander Tischer im Laub gegenübersitzt.

4 Zentimeter tief beginnt die nährstoffreiche Humusschicht mit zermalmten braunen Pflanzenteilchen. 7 Prozent Wasser bedeutet Wüste, zu wenig für Asseln, Milben, Tausendfüßler, Weißwürmer, Springschwänze und die anderen wirbellosen Tierchen im Waldboden. Sie zerkauen dort Blätter, Zweige und was sonst noch den Pflanzen und Tieren im Wald abfällt. Pilze und Mikroben zersetzen die zermalmten Blätter weiter. Einige hochspezialisierte Pilze pulverisieren das Lignin, den harten Stoff, der Holz erst zu Holz macht. Die Kleinstlebewesen sorgen auch dafür, dass die in den Blättern und Zweigen gebundenen Stoffe wie Stickstoff, Phosphor, Kohlenstoff und Magnesium frei werden und als Nährstoffe in den Boden gelangen. Wenn die Tiere, Pilze und Mikroben fertig sind, arbeiten aus diesem Mull heraus die verschiedenen Regenwürmer die Pflanzenfitzelchen in die Erde ein, wo die Nährstoffe von den Baumwurzeln aufgenommen werden. Der Kreislauf ist geschlossen.

Auch den Buchen fehlt der Regen

Die Dürre dieses Sommers unterbricht den Kreislauf des Lebens auch im Mischwald im Hainich. Vor acht Wochen regnete es hier ein wenig, zu wenig, um die 30 Zentimeter dicke Schicht aus Humus und sandigem Boden lange genug mit Wasser zu füllen. Darunter kommen Lehm und dann für Wurzeln undurchdringlicher Muschelkalk. Insofern geht es den Buchen auf Kalkboden nach wochenlanger Trockenheit nicht besser als den Kiefern im Sand. „Der Klimawandel ist auch für naturnahe Wälder nicht harmlos, aber die komplexen Eigenkräfte der Natur ermöglichen eine Anpassung“, sagt Lutz Fähser, der das schon drei Jahrzehnte im Lübecker Stadtwald beobachtet.

In der Dürre verkriechen sich die Regenwürmer weit nach unten, Springschwänze, Tausendfüßler und die anderen rollen sich zu Kügelchen zusammen und harren in einer Art Trockenschlaf aus. Mikroben und Pilze erstarren, bis der nächste Regen sie weckt. Blätter und Zweige bleiben unzerkaut liegen.

Eine staubige Assel krabbelt zwischen Humus und der Sand-Ton-Schicht hervor, die Bodenkundler Schluff nennen. „Der ist so fein, dass es staubt, wenn man die Hände zusammenklatscht“, sagt Professorin Michalzik, die einen Handball großen Brocken zerbricht und tut, was sie gesagt hat. Ein weiß-gelbliches Wölkchen weht heraus. Im Schluff saugen die Pflanzenwurzeln mühelos Wasser, doch zeigen Michalziks Messreihen seit Mai, dass hier schon wochenlang kein Baum an Wasser gekommen ist.

„Die Ökosystemdienstleistungen sind schon beeinträchtigt“, sagt Michalzik: „Die Nährstoffkreisläufe sind gebremst.“ Wegen der Trockenheit fallen Blätter sechs bis acht Wochen zu früh, und das auch noch grün, also mit Chlorophyl in den Blättern, das die Bäume selbst nicht abbauen und nutzen konnten. Die Blätter produzieren eine Masse Laub, die liegenbleibt. Kein Tier und kein Pilz zerkleinert die Blätter. Stickstoff, Phosphor und die anderen für die Gesundheit der Bäume unerlässlichen Nährstoffe gelangen nicht in den Boden. „Bei Regen gibt es dann ein Überangebot, das ausgespült wird“, sagt Michalzik. „Das ein paar Mal hintereinander und die Nahrung der Bäume ist weg.“

Welche Folgen hat Trockenheit für Wälder?

Michalzik leitet ein Projekt im Forschungsverbund Aquadiva, an dem auch das Max-Planck-Institut und das Helmholtz-Zentrum beteiligt sind und das die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert. Die WissenschaftlerInnen wollen an den unterschiedlichen Orten Deutschlands die Zusammenhänge zwischen den Dingen, die auf dem Boden passieren, und den Geschehnissen in Boden und Grundwasser besser verstehen. Michalzik und ihr Team aus drei WissenschaftlerInnen erforschen also, was die Dürre und die ganzen Blätter im Grundwasser anrichten.

„Im schlimmsten Fall Zustände wie in der Landwirtschaft“, sagt Alexander Tischer. Wenn das hochgradig mit Nährstoffen angereicherte Wasser nach dem Regen durch trockenen Boden läuft, gelangt der Stickstoff ins Grundwasser. Und schädigt von dort als Nitrat das Trinkwasser.

Vom Waldboden blickt Tischer in die Baumkronen des Kammerforsts. 25, 30 Meter weiter oben ragen die kahlen Äste einer Buche in den Himmel. Ein paar Zweige hängen noch, aber Forstwissenschaftler Tischer sieht, dass die Buche stirbt. Das dauert ein paar Jahre, doch wenn die Krone ausdünnt, geht der Baum ein. Und schafft Licht auf dem Boden, Grundnahrungsmittel aller Pflanzen. Die knöchelhohen Ahorne und die jungen Buchen, die Tischer schon über den Kopf wachsen, können dann nachwachsen. Einige Buchen haben es auf 8, 12 Meter gebracht und warten nur darauf, durch das Blätterdach zu wachsen. „Eine zweite Baumschicht ist die Rückversicherung, wenn die oberste Baumschicht abstirbt“, sagt Tischer, der eben nicht nur Ökologe, sondern auch Förster ist.

Wirtschaft und Wildnis widersprechen sich nicht im Wald, wie Lutz Fähser im Stadtwald Lübeck zeigt. Auch im Kammerforst auf dem Hainich wachsen verschiedene Baumarten zwischen den Buchen, da eine Elsbeere, am Rand eine Weide und Ulme, zwischendrin Bergahorn. Sie stärken das Ökosystem und, wie Alexander Tischer sagt, sie „teilen sich die Produktionsräume im Wald“. Die einen wachsen langsam heran, die anderen schnell.

Für die Fichten endet ihr Leben im Hainich bald. Der Sturm Kyrill hat die meisten schon vor ein paar Jahren gefällt. Das ist auch gut so, denn Fichten wachsen natürlich in den Alpen und in den nordischen Tundren. So wie die Kiefer, die ohne den Menschen kaum nach Brandenburg gekommen wäre.

„Die Fichte stirbt“, sagt Tischer und deutet auf einen 25 Meter hohen Baum, mit kräftigen Ästen und vielen, vielen Zweigen, die zeigen, dass er vor Kurzem noch prächtig dastand. Die Hälfte ist braun, die Nadeln hängen in trockenen Büscheln. Die Fichte ist der Hitze und Dürre nicht ­gewachsen. So wie die brennenden Kiefern in Brandenburg.

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