Wanderarbeiter in China: Straßenschlachten mit der Polizei

Ein Streit eskaliert und treibt Hunderte auf die Straße: Wanderarbeiter in der Provinz Guangdong liefern sich heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei.

Wanderarbeiter haben zum Aufschwung der Provinz Guangdong beigetragen. Sie selbst beklagen Diskriminierungen (Archivibild März 2010). Bild: reuters

PEKING taz | Noch vor kurzem glaubten Regierungsvertreter der südchinesischen Küstenprovinz Guangdong, dass es sich bei dem Phänomen der Wanderarbeit nur noch um ein Übergangsproblem handele. Die Löhne stiegen, viele der Zugezogenen hätten ihre Familien nachgeholt und seien inzwischen selbst zu Wohlstand gekommen.

Vor allem habe Chinas wirtschaftlicher Aufstieg nun auch die bis vor kurzem noch unterentwickelten Inlandsprovinzen erfasst. Die Menschen von dort fänden mittlerweile auch in ihren Heimatprovinzen gute Jobs und müssten nicht mehr wandern. Tatsächlich ist die Zahl der Wanderarbeiter in Guangdong in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen.

Die Probleme sind jedoch nicht weniger geworden. Im Gegenteil: In der Nacht zu Dienstag sind in der Stadt Zhongshan vor den Toren der Provinzhauptstadt Guangzhou heftige Unruhen ausgebrochen. Wie chinesische Mikroblogger berichten, haben sich mehr als 1.000 Wanderarbeiter stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei und der örtlichen Bevölkerung geliefert.

Sie zündeten dutzende Autos und plünderten Geschäfte, auch eine Bushaltestelle stand in Flammen. Die in Hongkong erscheinende Zeitung South China Morning Post (SCMP) berichtet von mindestens 30 Schwerverletzten, Augenzeugen von mindestens 100 Festnahmen. Ob es auch Tote gab, konnte bislang nicht bestätigt werden. Die offizielle chinesische Seite bestätigte lediglich, dass es Proteste gegeben hat. Über den genauen Verlauf gibt sie keine Auskunft.

Den Unruhen vorausgegangen war der SCMP zufolge ein Streit unter Jugendlichen. Ein 13-jähriger Junge einer zugezogenen Wanderarbeiterfamilie aus der zentralchinesischen Stadt Chongqing habe sich am frühen Abend mit einem einheimischen Mittelschüler geprügelt. Polizisten hätten den 13-Jährigen daraufhin gefesselt und zusammengeschlagen.

Zunächst seien nur die Familienangehörigen des 13-Jährigen sehr aufgewühlt gewesen, gegen 22 Uhr waren bereits über 300 auf der Straße, gegen Mitternacht über 1.000. Auch am Dienstagmorgen hatte die Polizei die Situation noch nicht unter Kontrolle. Mehreren Medienberichten zufolge musste sie Verstärkung aus den Nachbarstädten rufen. Angeblich kamen auch Einheiten der Nationalen Volksarmee zum Einsatz.

Von Lokalbehörden diskriminiert

Über zwei Jahrzehnte hinweg hat ein Millionenheer an Wanderarbeitern aus den armen chinesischen Inlandsprovinzen ganz maßgeblich zum wirtschaftlichen Aufstieg Chinas und ganz besonders der Küstenprovinz Guangdong beigetragen. Obwohl vielen von ihnen die Flucht aus der Armut gelungen ist – ein Großteil von ihnen profitiert auch weiterhin nicht von Chinas Aufschwung.

Viele der zugewanderten Arbeiterinnen und Arbeiter fühlen sich zudem von den Lokalbehörden diskriminiert, weil sie nicht über die gleichen sozialen Rechte und Leistungen verfügen wie die Lokalbevölkerung. Und obwohl die Behörden den gesetzlichen Mindestlohn in den vergangenen zwei Jahren deutlich angehoben haben, beklagen viele der Wanderarbeiter weiter zu niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen – auch wegen der stark angestiegenen Verbraucherpreise.

In der Region kommt es denn auch nicht zum ersten Mal zu schweren Arbeiteraufständen. Im vergangenen Jahr hatten wütende Wanderarbeiter nicht weit von Zhongshan in der Stadt Zencheng ein Büro der Provinzregierung angezündet und ebenfalls nächtelang randaliert. In den Nachbarstädten entlang des Perlflussdeltas und in Guangzhou kommt es ebenfalls immer wieder zu zum Teil heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Und bei weitem nicht nur dort: Auch in den Inlandsprovinzen erheben sich immer häufiger die Arbeiter.

Selbst die regierungstreue Akademie der Sozialwissenschaften (CASS) in Peking geht davon aus, dass die Zahl der sozialen Proteste in der gesamten Volksrepublik von knapp 90.000 im Jahr 2005 auf zuletzt rund 130.000 im Jahr zugenommen hat.

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