Wanderausstellung: Zwangsarbeit in Deutschland: Gesamteuropäische Erfahrung

Historiker haben die Ausbeutung der Zwangsarbeiter des Zweiten Weltkriegs erstmals umfassend recherchiert. Die Wanderausstellung ist derzeit in Hamburg zu sehen.

Unter Zwang: Diese ukrainische Familie wurde 1943 ins niedersächsische Volzum verschleppt. Foto: Braunschweigischer Geschichtsverein e.V./Staatsarchiv Woltenbüttel

HAMBURG taz | „Unter den Fängern spielten die Sadisten die erste Geige“, hat ein Insasse des Warschauer Ghettos 1941 geschrieben. Wer es war, und ob er seinen Brief überlebte, weiß man nicht. Sicher ist, dass er deutsche Wehrmachtssoldaten und SS-Männer meinte, die Juden demütigten und zur Arbeit zwangen.

Doch die Beobachtung ist grundsätzlicher, reicht tief in deutsche Verhaltensmuster während des Nazi-Regimes hinein. Denn dieser Zeuge beschreibt eine jahrelang eingeübte rassistische Grundhaltung der deutschen Bevölkerung, die zwischen „arischen Herrenmenschen“ und „minderwertigen Rassen“ unterschied, zu denen Juden, Sinti und Roma und Slawen zählten.

Diese Klassifizierung galt auch in Bezug auf Arbeit: Den „Herrenmenschen“ adelte sie, den Juden, Russen, Polen demütigte und tötete sie. Und so kommt es, dass auf Fotos des Zweiten Weltkriegs die vorgeblich so arbeitsamen Deutschen als träge, oft hämische Bewacher zusehen, wie Ukrainerinnen Gräben ausheben oder sowjetische Kriegsgefangene unter freiem Himmel darben.

Der Beziehung der Deutschen zu den rund 20 Millionen Zwangsarbeitern widmet sich die derzeit im Hamburger Museum der Arbeit gastierende Schau „Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg“. Angeregt wurde sie durch die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“(EVZ). Sie hat – von Staat und Wirtschaft mit 5,2 Milliarden Euro bestückt – Zahlungen an Überlebende geleistet und müht sich nun um Aufarbeitung. Konzipiert ist das Projekt als Wanderausstellung, die bereits in Berlin, Dortmund, Moskau, Warschau und Prag gastierte und jeweils um ein lokales Fenster ergänzt wird.

In Hamburg ist das die Rüstungsindustrie, an der auch die „New-York-Hamburger Gummi-Waaren Compagnie“ mit 302 von insgesamt 500.000 Hamburger Zwangsarbeitern beteiligt war. In den Räumen dieser Compagnie residiert heute das Museum der Arbeit: Die deutsche Station der „ersten umfassenden Würdigung der Zwangsarbeit als gesamteuropäische Erfahrung“ passiert also am authentischen Ort.

Gesamteuropäisch gestaltete sich auch die Recherche: In 18 Ländern haben Historiker Archive gesichtet, und die größte Überraschung seien die vielen Fotos gewesen, sagt Kurator Rikola-Gunnar Lüttgenau, Vizedirektor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Diese Bilder stammten teils von Propagandafotografen, teils von NS-Vorarbeitern, aber auch von Privatfamilien und Zwangsarbeitern. Diese Fotos bilden, an klaustrophobisch engen Wänden in Leuchtkästen aufgereiht, den roten Faden der Schau. Darunter in Vitrinen Faksimiles der Originale, Briefe, Edikte, Pässe.

Beklemmende Fotos entstanden zum Beispiel 1943 auf Initiative der nationalsozialistischen Wochenzeitung „Der Stürmer“. Er rief Leser auf, demütigende Fotos misshandelter Juden zu schicken, „Rassismus zum Mitmachen“ sozusagen. „Solche Aktionen dienten der systematischen Einübung in den Rassismus“, sagt Lüttgenau. „Den Deutschen wurde beigebracht, wer zur Volksgemeinschaft gehörte und wer nicht.“

Darauf verweisen zum Beispiel Plakate, die die „Deutsche Volksgemeinschaft“ als „Blutsgemeinschaft“ beschwören. Andere Fotos zeigen Männer mit Bannern wie „Kolonne Goldspan lernt arbeiten“: Die als arbeitsscheu diffamierten Juden wurden ab 1933 zu demütigenden, oft sinnlosen Arbeiten gezwungen. „Das war der improvisierte Beginn der Zwangsarbeit“, sagt Lüttgenau.

Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs radikalisierte sich das; Deutschland rekrutierte systematisch Zwangsarbeiter in den okkupierten Ländern, wenn auch – ideologiekonform – nuanciert: Während man in Frankreich um Freiwillige warb, wurden Polen in Razzien zusammengetrieben, um für deutsche Unternehmer zu arbeiten, die sich einheimische Betriebe angeeignet hatten.

Diese Zwangsarbeit im Herkunftsland entsprach perfekt der NS-Rassenideologie, die zunächst nicht vorsah, Ukrainer, Russen, Polen nach Deutschland zu holen und eine „Durchmischung“ zu riskieren. Aber mit fortschreitendem Krieg fehlten in Deutschland Arbeitskräfte, sodass man ab 1942 systematisch Zwangsarbeiter nach Deutschland deportierte.

Sie arbeiteten in allen Branchen: Rüstungsindustrie, Landwirtschaft, Privathaushalte, öffentliche Verwaltung, sogar kirchliche Einrichtungen profitierten von den kostenlosen Arbeitskräften. Allein in Hamburg existierten 1.300 Lager, und solche Massen konnte niemand übersehen. „Zwangsarbeit war ein öffentliches Verbrechen, in das alle involviert waren“, sagt Lüttgenau, „Also musste jeder Einzelne entscheiden, ob er dem ideologischen Angebot folgte, sich als Herrenmensch aufzuspielen oder nicht.“

Allerdings suchte das NS-Regime Menschlichkeit durch drakonische Strafen zu unterbinden. Die Ausstellung zeigt Fotos der Erhängung polnischer Zwangsarbeiter, die Beziehungen zu deutschen Frauen unterhielten.

Herausgekommen sind solche Beziehungen oft durch Denunziationen, auf die die Gestapo verlässlich setzen konnte. Alle wussten über die Zwangsarbeiter Bescheid, hüllten sich nach dem Krieg aber in Schweigen. Der letzte Raum der chronologisch angeordneten Schau ist daher fast leer und verweist auf das lange Fehlen jeder Aufarbeitung. Denn obwohl die Alliierten Zwangsarbeit schon in den Nürnberger Prozessen 1946 als Verbrechen erkannten und benannten, urteilten deutsche Gerichte – wenn überhaupt – stets milde.

Auch die Stiftung EVZ entstand erst 56 Jahre nach Kriegsende auf internationalen Druck. Ihre Zahlungen endeten 2007, und mit dieser Ausstellung geht sie den nächsten Schritt zum Gedenken. Ihre scharfe Analyse der rassistischen Mechanismen schafft zudem den Link zur Gegenwart. Denn nicht zufällig ähneln die Fotos der Zwangsarbeiterlager denen heutiger Flüchtlingsunterkünfte. Der ethische Appell ist klar.

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