Warnblink, Auto kaputt, Nato-Fall: Links und rechts gleichzeitig

Die Stichwahl in der Türkei zeugt von bipolarer Demokratie, und F16-Jets fliegen bis tief in Russland hinein.

Eine Dragqueen im opulenten pinken Kleid liest Kindern vor

Freya Van Kant, Dragqueen aus Österreich, während der Lesung „Drag Storytime 4 Kids“ Foto: Eva Manhart/APA/dpa

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Bachmut. Und weiter Eskalationsrhetorik.

Und was wird nächste Woche besser?

Vielleicht Lula.

Im Zuge der Graichen-Affäre spricht Alexander ­Dobrindt (CSU) von „grünen Clan-Strukturen“, der CDU-Bundestagsabgeordnete Erwin Rüddel teilt auf Twitter einen Post, der die Grünen als „deutsche Mafia“ darstellt. Übertrieben?

Rüddels Erwin ist jecker Multifunktionär, beim Rotkreuz, Fußballpräsident, im Lions-Club, bei den Leichtathleten und Sohn des legendären Rüddel Jupp, der stramme 56 Jahre ortsbürgermeisterte. Da mag er sich die Grünen so vorstellen, wie es bei ihm daheim schließlich auch zugeht. Dobrindt gilt – etwa im „Schwarzbuch Autolobby“ von Greenpeace – als wandelnde Clanstruktur. Ich nehme den Grünen übel, dass solche unreflektierten Filzhüte nicht mal mehr fantasieren müssen, um ihr Elend in anderen anzuprangern.

Als erster US-Bundesstaat will Montana Tiktok verbieten, um seine Bür­ge­r*in­nen „vor der Überwachung durch die Kommunistische Partei Chinas“ zu schützen. Zieht die EU bald nach?

In der NSA-Affäre enthüllte Edward Snowdon, dass so ziemlich alle US-Digitalkonzerne beflissen „backdoors“ für Geheimdienste eingerichtet hatten. Das führte im deutschen Wahlkampf 2013 zu allerhand Empörung, die sich als geheuchelt erwies – die europäischen Dienste machten allesamt mit. Und zu frommen Ankündigungen, die verwehten. In Montana klagen nun InfluencerInnen, die ihren Lebensunterhalt mit Tiktok-Clips verdienen. Das kann, paradox genug, zu einem höchstrichterlichen Urteil führen: Dürfen Dienste in Microblogs spionieren? Und: Will das irgend jemand wissen in den USA? Das Postprivileg der Thurn und Taxis bestand 200 Jahre, weil Fürstens die Briefe gesammelt dem kaiserlichen Zensor in den Hof kippten. Erst nach sorgfältiger Lektüre durch die Obrigkeit wurde zugestellt. Geben wir uns also noch ein paar Jahrhunderte.

Laut Ifo-Institut bleiben in Deutschland aufgrund von Homeoffice durchschnittlich dreimal so viele Büroarbeitsplätze leer wie vor der Pandemie. Wie sähe eine nachhaltige Bewirtschaftung dieser Brachen aus?

Wohnraum. Schon vor Corona förderten etwa Frankfurt, Düsseldorf und Berlin Projekte, Jobsilos in Heime zu verwandeln. Große Flächen, lange Flure, wenig Toiletten – Investoren müssen spitz rechnen, ob ein Abriss günstiger kommt als ein Umbau. Viele Innenstädte sind nachts tot, mit dem Homeoffice stirbt der Tag hinterher. Hier bietet sich der Mieter als Retter des Investors an – dem natürlich unsere erste Sorge gilt.

Erdoğan und Kılıçdaroğlu müssen in die Stichwahl. Besteht noch Hoffnung für die Demokratie in der Türkei?

Kaum für Flüchtlinge. Kılıçdaroğlu will sie „alle nach Hause schicken. Punkt!“ – um die Wähler des rechtsextremen drittplatzierten Ogun abzufangen. Die wähnt man unterwegs zu Erdoğan. In dieser Wirrnis hat Kılıçdaroğlu einen Punkt, wenn er den Europäern vorwirft, dem Krieg in Syrien tatenlos zuzuschauen. Aber er blinkt rechts und links gleichzeitig, vulgo Warnblink, vulgo Auto kaputt.

In München machen CSU und AfD gegen eine Kinderbuchlesung von zwei Dragqueens und einer transgeschlechtlichen Jungautorin mobil. Wird das Thema zum inhaltlichen Bindeglied der Rechten?

Die Kurzfassung dieser Attacken heißt: „Meine sexuelle Identität verträgt nicht die kleinste Irritation.“ Stelle ich mir hübsch vor auf Wahlplakaten.

Vice ist bankrott. Schade?

Vice ich nicht. Natürlich ist Journalismus „näher dran“, wenn er bevorzugt Drogen, Sex und Gewalt miterlebt, statt beobachtet. Und distanzlos, also unjournalistisch. Die brutal authentische Teilnahme galt eine Zeit lang als neuer Maßstab, nun nimmt das Portal brutal authentisch an Marktwirtschaft teil.

Deutschland hat kurz vor dem Besuch Selenskis ein Waffenpaket geschnürt, aber Kampfjets ausgeschlossen. Wann werden die kommen?

In Washingtons „No“ zur Lieferung von Kampfjets durfte man getrost die Idee hineinlesen, die Ukraine vor der Ukraine zu schützen. Und Sorge vor der Ausweitung des Krieges. Der Pilot einer beschädigten Maschine landet sie schnellstmöglich – auch in einem Nato-Land. Die Reichweite taugt auch, den Krieg tief nach Russland hineinzutragen. Beides gilt. Deutschland hat keine F16, hinge jedoch bei einem Nato-Fall mit drin.

Was machen die Borussen?

Liebe taz. Redaktionsschluss 14 Uhr. Um 17.30 Uhr spielt der BVB. Ich bin mental kaum in der Lage, die Frage zu verstehen.

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Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

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