Warten in Wilhelmshaven: Ein Schiff ist gekommen

Lange wurde der Jade-Weser-Port vor allem als „Geisterhafen“ geführt. Doch das ändert sich gerade, ein bisschen zumindest

In Reih und Glied stehen sie da, und warten, die roten Van Carrier am Jade-Weser-Port Foto: Jan Zier

WILHELMSHAVEN taz | Ein einziger Anhänger steht in der „Straße von Malakka“, verlassen, ganz am Ende eines Parkplatzes, gebaut für Hunderte davon. Der böige Ostwind zerrt an der blauen Plane, pfeift über die Steppe entlang des „Pazifik“ hinunter zur „Barentssee“. Das Gras hier ist braun und verwittert jetzt im Frühling, ein paar Wühlmauslöcher zeugen davon, dass es hier doch Leben gibt. In der Ferne tollt ein junger Schäferhund über die Wiese, die einmal ein „Güterverkehrszentrum“ werden soll, ein Industriegebiet für den An- und Abtransport von Waren.

Sie sind auf alles vorbereitet hier am Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven. Die seit Jahren so gut wie unbenutzten Wege links und rechts der Firmen, die noch kommen sollen, sie sind in bestem Zustand, ebenso wie die Bürgersteige und Fahrradrouten. Ganz vorn, am „Pacific One“, gibt es inzwischen eine vollautomatische Tankstelle, ganz ohne Shop und Café und so. Und am Horizont sieht man noch den alten, rot-weiß gestreiften Leuchtturm, am Ende der neuen Straße, die sie „Atlantik“ nennen. Er ist lange außer Dienst. Die Autobahn dahinter hört man kaum; auch staut sich da nichts.

Weit über 100 Hektar Industriefläche liegen brach an Deutschlands einzigem Container-Tiefwasserhafen. 50 Meter hoch dürfte hier gebaut werden, wegen der Hochregallager. Gekommen ist bisher ein einziges: von „Nordfrost“. Als Pioniere haben sie schon vor Jahren ein großes Lager am „Pazifik“ gebaut, für Obstimporte aus Übersee. Aber in Wilhelmshaven läuft kein Schiff aus Südamerika mehr ein. Und so kommt das Obst jetzt aus Bremerhaven. Mit dem Laster. Trotzdem bauen sie gleich daneben nun ein neues Tiefkühlhaus, für Frischfleisch, das nach Asien verschifft werden soll. Und den Rechtsstreit mit dem Jade-Weser-Port haben sie friedlich beigelegt. Es ging um die Frage, ob so wenig Hafen so viel Pacht wert ist. „Wir fühlen uns getäuscht“, hatte der Nordfrost-Chef noch im vergangenen Jahr dem Fernsehen gesagt – die Prognosen hier in Wilhelmshaven, sie waren andere.

Mit dem Bau kam die Krise

„Wir sind froh um die vielen freien Kapazitäten“, sagt Anke Sturhan, die am Jade-Weser-Port fürs Marketing zuständig ist, und dass sie im Bremer Güterverkehrszentrum auch zehn Jahre gebraucht haben, eh es voller wurde. Das liegt mitten in der Stadt. Und den Jade-Weser-Port gibt es erst seit 2012. „Es ist viel Druck aufgebaut worden“, sagt Sturhan, „und es ist die Frage, ob das realistisch war zu der Zeit.“ Mit dem Bau des neuen Hafens kam der Zusammenbruch der Lehman-Bank, die Finanzkrise, die Rezession. Zweifel haben sie hier in Wilhelmshaven trotzdem keine. „Weitsichtig“ war die Planung, sagt die Sprecherin des Jade-Weser-Ports, und „zukunftsweisend“. Man erwarte eine „Vervielfachung der Umschlagsmenge“. Bis 2030. Da sind sie wieder, die Prognosen. Der Blick schweift in die Ferne, weit über 200 Fußballfelder sind es von hier bis zum Güterbahnhof mit seinen 16 Gleisen. Selbst im 5. Stock des „Pacific One“ kann man ihn nur erahnen. Ob sie zufrieden ist mit der Entwicklung? „Ja“, sagt Sturhan. „Vor dem Hintergrund der Verhältnisse.“

Ein Schiff wird heute kommen, so wie gestern, so wie morgen und so wie übermorgen.

Die „Neuenfelde“, die an diesem Tag um 14 Uhr anlandet, ist keiner jener Containerfrachter, für die der Jade-Weser-Port einst gebaut wurde, keiner wie die „MSC Oscar“, dem mit rund 400 Metern Länge und 16 Metern Tiefgang derzeit größten Containerschiff der Welt. Über 19.000 Standard-Container (TEU) haben darauf Platz. Damit könnte es in Wilhelmshaven zu jeder Tages- und Nachtzeit einlaufen. Das geht weder in Bremerhaven noch in Hamburg. „No Tide. No Limits.“ Das ist ihr Slogan hier. Ihr Vorteil. Ihre Hoffnung. Vier der größten Schiffe der Welt hätten im Jade-Weser-Port einen Platz. Gleichzeitig.

Die „Neuenfelde“, die unter der Flagge von Antigua und Barbuda fährt, fasst nicht mal 900 TEU. Immerhin, morgen kommt die „Maersk Stadelhorn“: 10.000 Container, maximal. Erst seit ein paar Jahren werden Schiffe dieser Größe überhaupt gebaut.

Früher war es noch ruhiger

„Es ist lange nicht mehr so ruhig, wie es schon mal war“, sagt Mikkel Andersen, der Geschäftsführer des Hafenbetreibers Eurogate. Vor seinem Büro im „Terminal House“ von Wilhelmshaven verlieren sich ein paar Dutzend Autos auf einem Parkplatz für ein paar Hundert. Ab und zu fährt ein Laster außen herum. Hinten, wo es an der 1,7 Kilometer langen Kaje zu den größten Containerbrücken der Welt geht, über 80 Meter hoch, bereit für Schiffe, so groß, dass sie heute noch keiner baut, hinter dem „Terminal House“ also, stehen die roten Van Carrier von Eurogate, stelzenförmige Portalhubwagen, mit denen man Container auf Züge und Laster verladen kann. Mehr als ein Dutzend von ihnen ist hier aufgereiht, in Reih und Glied stehen sie da, warten. Doch, ab und zu fährt einer durch den Hafen.

Neun Schiffe kommen in der Woche an, sagt Andersen, im Schnitt. Drei davon fahren in Liniendiensten zwischen Europa, dem Mittleren Osten und Asien, weitere vier nach Skandinavien. Das reicht nicht für alle 400, die hier arbeiten. Aber es ist genug, um nicht mehr kurzarbeiten zu müssen.

Allein die deutschen Häfen haben heute Überkapazitäten von acht Millionen Containern. Und die Wachstumsraten im Containerverkehr sinken seit Langem, und so hoch, wie sie in den Neunzigern oder noch in den Nullerjahren waren, „werden sie nie wieder“, sagt Andersen. Was jetzt noch nicht in einen Standard-Container passt, wird auch in Zukunft nicht reinpassen. In den ersten Jahren haben sie gerade mal 70.000 von ihnen in Wilhelmshaven umgeschlagen, eine vernachlässigenswert geringe Menge in einer Branche, die in Millionen denkt. Gut drei Millionen pro Jahr, das könnten sie hier schaffen. Bremerhaven ist doppelt, Hamburg drei, Rotterdam sogar viel Mal so groß.

Hoffnung auf eine „leichte Steigerung“

2015 kamen im Jade-Weser-Port 426.000 Standard-Container an. Ein Wachstum gegen den Markttrend. Und dieses Jahr? Andersen will da keine Prognose abgeben. „Wir hoffen auf eine leichte Steigerung“, sagte Eurogate-Chef Emanuel Schiffer dieser Tage. Und dass das nächste Jahr das entscheidende wird für Wilhelmshaven. Dann werden die vier Reederei-Allianzen, die weltweit den Markt kontrollieren, neu gemischt. Die größte unter ihnen heißt „2M“, sie betreibt das Container-Terminal in Wilhelmshaven, zusammen mit Eurogate. Daneben gibt es noch die „G6“, ihr Heimathafen ist Hamburg. Ihre Schiffe müssen 80 Seemeilen tief die Elbe hinunter, und, wenn die Tide stimmt, unter der Köhlbrandbrücke durch. Das ist ihr Manko. Doch ohne „2M“ hätte es den Aufschwung in Wilhelmshaven vom vergangenen Jahr nie gegeben.

Es sei ihm „ziemlich egal“, was die da „auf der grünen Wiese“ machen, sagte einer der Hamburger Hafenmanager vor einiger Zeit – „die sollen nur nicht denken, dass sie uns hier die Chancen wegnehmen können“. Ein neuer Hafen? „In Nordeuropa ist das noch nie gelungen“, sagt ein anderer Hamburger. Gern wird an dieser Stelle auf die Tradition der Hansestadt verwiesen.

Dass sie das ein bisschen arrogant finden, das sagen sie in Wilhelmshaven nur hinter vorgehaltener Hand. „Wir hatten nie den Anspruch, Hamburg Konkurrenz zu machen“, sagt die Marketingfrau Anke Sturhahn. „Die Branche ist ziemlich konservativ“, sagt Eurogate-Geschäftsführer Mikkel Andersen. Und so sehr sie in Niedersachsen die Dimensionen ihres Tiefwasserhafens preisen, mit immer neuen Superlativen, so unbekannt ist er am anderen Ende der Welt, wo die Schiffe herkommen und ihre Ladung. Jene, die dort entscheiden, wo sie am Ende hinfährt, sind „sehr vorsichtig“, sagt Andersen. „Sie gucken sich die Entwicklung lange an, ehe sie was ändern.“ Hamburg kennen sie schon. Wilhelmshaven ist dort Niemandsland.

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nennen sie den Jade-Weser-Port gern einen „Geisterhafen“. Einen wie Andersen ficht das nicht an. „Sonst wäre ich nicht mehr hier.“ Zu oft musste er sich das schon anhören, in den letzten Jahren. Aber Gespräche wie diese, sie werden seltener. Die Zeit arbeitet für ihn. Die Welt titelte vor ein paar Tagen: „Die wundersame Auferstehung des Pleitehafens“.

60 neue Schiffsriesen

Die Schiffe werden größer, und größere Schiffe sind effizienter. So ist die Logik der Branche. In den nächsten gut zwei Jahren wollen die weltgrößten Reedereien 60 neue Schiffsriesen in Dienst stellen. Noch können die, wenn sie nicht voll beladen sind, oder nicht mehr, wenn die Bedingungen stimmen, auch in Bremerhaven oder Hamburg anlanden. Aber am Jade-Weser-Port stimmen die Bedingungen immer. Keine Ebbe, kein Stau, keine Ampeln, kein Platzmangel. Die Kunden wüssten das zu schätzen, sagt Andersen.

In Niedersachsen redet die Politik schon von einer Erweiterung des Tiefwasserhafens, wollen sie dem Meer noch mal eine fast zwei Kilometer lange Kaje „abringen“. Eine Machbarkeitsstudie gibt ihnen recht. Doch Eurogate hat vorerst abgewunken. Erst mal muss Ladung her, die man von hier aus verschiffen kann. Zum Beispiel aus dem benachbarten Güterverkehrszentrum, wo bislang eben nur Nordfrost sitzt. „Da muss was passieren“, sagt Andersen. Also machen sie jetzt mehr Werbung, fahren nach Göttingen, nach Bielefeld und Nürnberg, nach Österreich, sprechen mit Spediteuren und Verladern. „Man muss nur Geduld haben“, sagt Anke Sturhan.

Die noch immer unbenutzten Gullydeckel auf der Brache an der „Barentssee“ entlang des „Pazifik“, sie sind schon rostbraun.

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